Rezension zu "Der halbe Mann und andere Geschichten" von Astrid Reimann
Wer im Leben neugierig auf Menschen ist, dem wird dieses Büchlein viel Freude bereiten. Die Autorin ist eine genaue und stille Beobachterin, die ihre liebevolle und oft augenzwinkernde Aufmerksamkeit auf kleinste Details menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns richtet, auf unausgesprochene Wünsche, unerfüllte Träume und Sehnsüchte. Wenn ihre Figuren ihren "Fantasiemotor" anstellen, darf man kurz in das Innenleben ihrer Alltagshelden schauen. Ich bin beim Lesen oft überrascht, dass ich mich mitunter selbst, aber auch gute Freunde oder Nachbarn in vielem wiedererkenne. Andererseits schöpfe ich aus diesen Geschichten immer wieder Anregungen, meine Mitmenschen eher schmunzelnd und ein Stück weit zugewandter, auf jeden Fall aber aufmerksmer zu beobachten. Astrid Reimanns Geschichten regen mich an, die vielen kleinen Glücksmomente unseres Alltags auch als solche wahrzunehmen, zu erleben und nicht unbemerkt verstreichen zu lassen. Klar, nicht alles endet gut im Leben. Auch daraus Kraft für einen Neustart zu schöpfen oder mehr Gelassenheit an den Tag zu legen, das nehme ich nach der Lektüre mit.
Was die Erzählweise für mich als Leserin besonders anziehend macht: Die Autorin lässt Wörter "lebendig werden", sie spielt mit Andeutungen und ich spüre, wie auch mein "Fantasiemoror" anspringt.
Es lohnt sich meiner Meinung nach in jedem Fall, sich auf diesen Lesegenuss versprechenden Kurzgeschichtenband einzulassen.
Viola Schubert
Berlin, den 29.5. 2023