"Love Letters to the Dead" von Ava Dellaira ist bei Hot Key Books erschienen. Diese Rezension bezieht sich auf die englischsprachige Originalausgabe.
Triggerwarnung, die im Buch leider komplett fehlt: implizierter SA und implizierte Vergewaltigung, Gewalt, Tod, Alkoholkonsum, Suizid.
Cover
Schon bei "Auf der Suche nach dem Kolibri" hatte das Cover es mir besonders angetan. Bei diesem Buch ist es genauso. Das Cover fängt die Nostalgie und Melancholie ein, die beim Lesen aufkommt und die man bei Laurel verspürt. Viele Szenen spielen abends oder nachts und die Farbtöne passen da sehr gut zu.
Inhalt
Laurel muss für Englisch einen Brief schreiben. An eine Person, die gestorben ist. Sie entscheidet sich für Kurt Cobain. Er ist jung gestorben, genau wie ihre Schwester May. Bald werden aus dem einen Brief mehr. Laurel schreibt an Janis Joplin, Heath Leadger, River Phoenix, Amelia Earhart und Amy Winehouse. Nur in den Briefen fühlt sie sich verstanden und findet die Kraft, in Worte zu fassen, was passiert ist und was sie durchmacht. Zwischen den Briefen lernt sie langsam mit dem Verlust umzugehen, findet in Sky ihre erste Liebe, neue Freunde und zum ersten Mal in ihrem Leben steht sie vor der Frage: Wer ist sie wirklich? Wer möchte sie sein? Und ist es ihre Aufgabe, ihre Identität in May zu finden, oder lohnt es sich, sie selbst zu sein?
Der Plot ist langsam. Action gibt es keine, aber das kann man sich vom Klappentext her schon denken, glaube ich zumindest. Es ist eine Coming-of-age-story, bei der man Laurel begleitet, wie sie mit Verlust umgeht und versucht, sich aus den Scherben ihres Lebens etwas aufzubauen. Sie weiß selbst nicht, wer sie wirklich ist, weil sie so lange wie May sein wollte. Ohne ihre Schwester muss Laurel erst lernen, ihre Stimme und ihre Identität zu finden. Zwischen nostalgischen und melancholischen Momenten, Partys, sternenklaren Herbstnächten und Erinnerungen, Nirvana und langen Autofahrten, lernt Laurel mit Sky die Liebe kennen und mit Hannah und Natalie, Tristan und Kristen die Freundschaft.
Es gibt eine Menge reflektierter Momente, Versuche, tiefsinnig zu sein und Laurels innere Monologe, wo sie versucht, irgendwie mit dem klarzukommen, was passiert ist und das Loch zu stopfen, das Mays Tod hinterlassen hat. Dabei erfährt man nach und nach von ihrer Vergangenheit und wie es zu Mays Tod gekommen ist. An dieser Stelle muss ich sagen, dass das Buch in dem Moment auch eine sehr heftige Wendung nimmt. Da hätte vermutlich eine Triggerwarnung nicht geschadet. Ohne zu spoilern, es geht um sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung, sowie Suizid. Zwar wird nichts beschrieben, aber stark impliziert. Laurel versucht ihre Gefühle im Alkohol zu ertränken, was auch zu einem (problematischen) Konsumverhalten führt.
Insgesamt war das Buch düsterer als ich es vom Cover und Klappentext her vermutet hatte. Abgesehen von den oben genannten Themen spielen Selbstliebe, Akzeptanz, Freundschaft, (erste) Liebe, Trauer, Depressionen, Queerness und Selbstfindung eine große Rolle. Das Buch hat mich ziemlich nachdenklich zurückgelassen.
Schreibstil
Der Schreibstil war flüssig und unkompliziert. Wie schon bei "Auf der Suche nach dem Kolibri" schafft die Autorin es, die melancholische und nostalgische Momente einzufangen und zu beschreiben. Ich liebe ihre Beschreibungen.
Charaktere
Laurel ist 15 oder 16, als ihre Schwester May stirbt und ihr Leben ein einziger Scherbenhaufen wird. Sie ist unsicher und hat ihre eigene Stimme und Identität noch nicht gefunden, denn sie hatte May immer bewundert. May, die mit älteren Männern ausging, May die nachts auf Partys verschwand und mit Alkoholatem und glänzenden Augen zurückkam. May, die cool war, im Gegensatz zu Laurel, und damit alles war, was Laurel sein wollte. Nach Mays Tod versucht Laurel, genau wie May zu sein. Sie trinkt, versucht ihre Gefühle im Alkohol zu ertränken und imitiert Mays riskantes Verhalten. Ich mag Laurel nicht, hasse sie aber auch nicht. Ich konnte sie verstehen und mit ihr mitfühlen. Besonders als man erfahren hat, was ihr passiert ist, hat es mir unfassbar leid für sie getan.
May war Laurels Schwester. Sie war schön, klug, cool, geheimnisvoll und liebte riskantes Verhalten. Erst im späteren Verlauf der Geschichte versteht man May besser und erst da mochte ich sie dann auch. Sie wurde am Ende mein dritter Lieblingscharakter, womit ich am Anfang nicht gerechnet hatte.
Skay war mein Lieblingscharakter in der ganzen Geschichte. Ich mochte seine Art und seine Persönlichkeit echt gerne. Daran hat auch seine Vergangenheit nichts geändert, die man im Verlauf der Geschichte erfährt. Er hat eine sanfte Seite, liebt Laurel und versucht ihr zu helfen und sie zu beschützen. Auch er hat tiefsinnige Momente, die mir gut gefallen haben.
Hannah & Natalie: Die beide waren okay. Sie sind queere Charaktere und wie alle anderen Charaktere gut geschrieben, finde ich. Die Queerness hat sich nicht gezwungen angefühlt, das hat mir gut gefallen. Hannah hat mir leid getan wegen ihrem Bruder und mir hat das Ende ihrer Geschichte gut gefallen. Natalie ringt ziemlich lange mit ihrer Queerness und hat Schwierigkeiten sie (nüchtern) zu akzeptieren. Die beiden sind Laurels beste Freundinnen und ihre Freundschaft hat sich echt angefühlt.
Tristan & Kristen: Tristan ist auf jeden Fall mein zweiter Lieblingscharakter. Er ist ein Punk und rebellischer unterwegs als die anderen, das mochte ich total geerne. Trotzdem hat auch er seine tiefsinnigeren Momente und bietet Laurel Freundschaft. Kristen war auch ganz okay, sie wirkte etwas verträumter und erinnerte mich an die Hippies aus den 60er. Die beiden als Paar haben mir echt gut gefallen.
Am wenigsten mochte ich Jason und Billy.
Fazit
Melancholisch und nostalgisch, mit heftigeren Themen als erwartet. Fehlende Triggerwarnung. Trotzdem lohnt es sich, der Geschichte eine Chance zu geben. Es ist ein Buch über Geschwisterliebe, Liebe, Verlust und Trauer und was es bedeutete, sich selbst zu finden, wenn man verloren ist.