Wer den Bau der berühmten Villa San Michele lesend mitverfolgen möchte, wird sich gedulden müssen. Zunächst wird die entsprechende Neugier des Lesers geweckt. Der junge Axel Munthe (1857-1949) aus Schweden fährt nach Capri und besteigt den Berg nach Anacapri (275m):
„Ein Weilchen saß ich da auf der Terrasse, verzaubert blickte ich nieder auf die holde Insel zu meinen Füßen und wunderte mich, wie in aller Welt ich es machen würde, meine Sphinx aus rotem Granit zum Gipfel dieser Klippe heraufzuschleppen.“ (S. 31)
Weite Teile des Buches sind autobiografische Erzählungen des Autors zu den Stationen seines Lebens in Paris, Neapel und Rom. Munthe versteht es hervorragend, die ihn prägenden Ereignisse in Szene zu setzen. Die Sprache ist literarisch elaboriert. Inhaltlich scheinen sich reale Ereignisse und Fiktion zu überschneiden. Das dient dem Aufbau von Spannung und fördert sehr die Lust am Lesen. Ich hatte vielfach den Eindruck, dass der Autor sein Leben zur Legende geformt hat. Der wahre Kern realer Geschichten erfährt dabei eine überhöhte Ausschmückung. Vor allem die eigene Rolle als Arzt wird durch zahlreiche Fallschilderungen in ein besonderes Licht gerückt. Das tut dem Romanesken der Biografie keinen Abbruch.
Diesen Eindruck konnte ich durch Lektüre der Munthe-Biografie von Thomas Steinfeld (Der Arzt von San Michele) erhärten.
Die Inhalte der Arztgeschichten zeugen vielfach von der Weisheit Munthes.
Hierzu nur wenige Beispiele:
- „… und die Angst vor der Tollwut ist ebenso gefährlich wie die Krankheit selbst.“ (S. 67)
- „ du vergisst, dass es eine Frage des Glaubens und nicht des Wissens ist, wie der Glaube an Gott. Die katholische Kirche, erklärt nie etwas und bleibt die gewaltigste Macht auf der Welt, die protestantische Kirche versucht, alles zu erklären, und zerfällt in Trümmer. Je weniger deine Patienten von der Wahrheit wissen, umso besser für sie.“ (S. 155)
- „…aber etwas wusste ich: dass keine Medizin so stark ist wie Hoffnung, dass die geringste Spur von Pessimismus im Ausdruck oder den Worten eines Arztes seinem Patienten das Leben Kosten kann.“
Schließlich kam ich mit meiner Erwartung, etwas über den Bau, die Einrichtung und das Leben in der Villa San Michele zu erfahren, doch noch auf meine Kosten. Da ich Glück und Vergnügen hatte, die Villa mehrfach in meinem Leben zu besuchen, hat mir diese Lektüre dazu verholfen, den heute stark musealen Charakter des realen Ortes, der eine wahre Touristenattraktion auf Capri wurde, mit einem Stück realem Leben aus der beschriebenen Vergangenheit zu veredeln. Dies wird gegen Ende des Textes erst richtig spannend. Da kann man nämlich lernen, wie es einem berühmten Modearzt selbst im Alter ergehen kann.
Mein Fazit: Die Lektüre lohnt bei aller anfänglichen Entäuschung über den offensichtlich verkaufsfördernden Titel des Buches.





