Rezension zu "Wo der Wolf lauert" von Ayelet Gundar-Goshen
Von der Autorin ist dies bereits mein dritter Roman, sie alle verbindet eine enorme psychologische Kraft und eine ernste, nachvollziehbare Gedankenstruktur. Dabei legt sie das Augenmerk immer auf die inneren Sichtweisen Ihrer Protagonisten, verliert aber das große Ganze nicht aus dem Blick und schafft in ihren Rahmenhandlungen eine gewisse Präsenz des Alltäglichen.
Inhalt
Die zentrale Figur dieses Romans ist Lilach Schuster, die gemeinsam mit ihrem Mann Michael und dem Sohn Adam nach Amerika emigriert ist, und dort versucht trotz aller Gegensätzlichkeit Fuß zu fassen. Und obwohl Hebräisch nur zu Hause gesprochen wird, bleibt Lilach trotz einiger Bemühungen eine Fremde im neuen Land, obwohl sie auch mit einer Rückkehr in die Heimat keineswegs liebäugelt. Ihre größte uns schwerste Aufgabe ist jedoch die als Mutter des 16-jährigen Adams - einerseits fällt es ihr ausgesprochen schwer ihn ziehen zu lassen, weshalb sie ihn auf Schritt und Tritt überwacht, andererseits bedauert sie die innere Entfremdung und versteht die Welt nicht mehr, in der sie anscheinend keinen Einfluss mehr auf ihr Kind haben soll. Gespräche gibt es keine, nur Misstrauen, Abwehr und Rückzug. Und je mehr sie versucht ihn zu halten, desto dramatischer wird die Situation. Als Adam schließlich ins Visier der Polizei gerät, weil er möglicherweise am plötzlichen Drogentod eines Mitschülers Schuld sein könnte, beginnt Lilach auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen.
Meinung
Das faszinierende an der Erzählweise des Romans ist der innere Blick, den der Leser vorwiegend in die Seele der Protagonistin wirft, denn sie erzählt durchweg ihre Geschichte mit all den wilden, traurigen, besorgten und wütenden Gedanken, die sie jeden Tag verfolgen. Dabei ist man ihr aber keineswegs sonderlich nahe, ganz im Gegenteil - oftmals habe ich den Kopf geschüttelt, wenn ich mir ihre Überlegungen und Handlung vor Augen geführt habe. Das schöne jedoch ist die Tasache, dass man trotz dieser Distanz, jedes Wort nachvollziehen kann. Spannend wird die Handlung besonders durch das Auftreten eines weiteren Protagonisten, ein Landsmann aus Israel, der nun nach seiner Trennung allein in Amerika lebt und bemüht ist, seine finanziellen Sorgen loszuwerden. Uri Ziv, ein charismatischer Mann, der sich über den Kontakt zum Sohn mit der Familie Schuster anfreundet. Doch immer wieder beschleichen Lilach Zweifel, ob der Fremde wirklich so idealistisch und hilfsbereit ist, wie er vorgibt - allerdings ist ihre Auslegung von Vertrauen und Misstrauen längst nicht so ausgeprägt, wie sie meint.
Fazit
Ich vergebe begeisterte 5 Lesesterne für diesen psychologischen Unterhaltungsroman mit Tiefgang - eine mannigfaltige Themenwahl begonnen mit Elternschaft, Vertrauen, Emigration, Rassismus, Ausgrenzung und Fehlverhalten machen das Lesen zum Vergnügen. Die Spannungskurve ist sehr hoch, dass Damoklesschwert schwebt stets sichtbar über der Familie, nur kann man lange nicht vorhersehen, in welcher Form das Schicksal nun tatsächlich zuschlagen wird (in diesem Zusammmenhang hat mir auch die Wahl des Buchtitels ausgesprochen gut gefallen, denn genau diese Lauerstellung macht den Mehrwert des Buches aus).
Sehr vorteilhaft ist die wenig beurteilende Stimmung, es geht ganz objektiv um Verhaltensweisen, ohne Kommentare und langwierige Vorerzählungen. Der Leser selbst kann beurteilen, wie er zu all dem steht und an welcher Stelle eine Umkehr noch möglich gewesen wäre. Tatsächlich liebe ich solche Bücher, die eine Reihe von Ressonanzen hervorrufen - ganz klar auch ein absolut geeignetes Buch für Debatten jedweder Art. So etwas wäre auch gut geeignet für Schullektüre - trifft vielleicht sogar den Nerv der Altersklasse. Für mich ein Highlight!