Neurochirurg Etan überfährt einen illegalen Einwanderer. Es gibt keine Zeugen, und der Mann wird ohnehin sterben - warum also die Karriere gefährden und den Unfall melden? Doch tags darauf steht Sirkit, die Frau des Opfers vor seiner Haustür und macht ihm einen Vorschlag, der sein geordnetes Leben komplett aus der Bahn wirft.
Interessante Idee - eine Kollision der Welten. Auf der einen Seite Etan, erfolgreicher Arzt aus der wohlhabenden Mittelschicht, auf der anderen Seite Sirkit, geflüchtet aus Eritrea, ohne Halt und Rechte. Auch wenn Ayelet Gundar-Goshen es durchaus schafft, die Selbstgerechtigkeit und das Befremden Etans zu zeigen - genau wie sein Ringen mit sich selbst, seine Sorgen und seine Hilfsbereitschaft, die sich ab und an Bahn brechen, gerät der Roman doch zur Nabelschau. Die Autorin beleuchtet über weite Strecken fast ausschließlich das Innenleben des Arztes und seine ausgesprochenen und unausgesprochenen Konflikte mit seiner Frau sowie deren Seelenleben und ihr Hadern mit ihrer Rolle als (vermeintlich betrogene) Ehefrau und junge Mutter. Das ist eben das Publikum, für welches das Buch geschrieben wurde, und es gibt viele davon.
Was mich aber wirklich geärgert hat ist die Tatsache, dass Sirkit - ebenso wie alle anderen Geflüchteten im Roman - völlig konturlos bleibt und bloß als Hintergund dient, vor dem Etan ausführlich seine Gefühls- und Gedankenwelt ausbreiten kann. Sie ist "stark", "schweigsam", eine "Sphinx" und mutet seltsam unmenschlich an, ihre "vollen Brüste" und "samtigen Augen" dürfen dann aber selbstverständlich Etans nächtlichen Phantasien inspirieren. Über ihre Erfahrungen, Wünsche, Träume, Verletzungen erfahren wir fast nichts.
Alles in allem doch nur ein weiterer Eheroman und ausführliche Studie der weißen Mittelschicht, wenn auch mit einigen guten Einblicken in eine gespaltene Gesellschaft wie wir sie auch hier finden. Sirkits Perspektive hätte mich ihn diesem Fall mehr interessiert. Auch glaube ich, dass dem Roman eine deutliche Kürzung gut getan hätte. Immerhin die wirklich schönen (hebräischen?) Kosenamen von Etan und seiner Frau - Tul und Tani - werde mir im Gedächtnis bleiben.