Cover des Buches Löwen wecken (ISBN: 9783036957142)
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Rezension zu Löwen wecken von Ayelet Gundar-Goshen

Im Raubtierhaus des Lebens

von Himmelfarb vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Atemberaubend gut!

Rezension

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Himmelfarbvor 9 Jahren


Ayelet Gundar- Goshen hat einen Roman von biblischer Wucht geschrieben.

Es geht um nichts weniger als Schuld und Sühne, Recht und Unrecht, Liebe und Tod, um Gnade und Menschlichkeit.

„Löwen wecken“ heißt dieses Meisterwerk.


Etan Grien ist Anfang 40, arbeitet an einer Klinik als Neurochirurg, ist verheiratet mit der Kriminalbeamtin Liat, hat zwei kleine Söhne, und sich in seinem privilegierten Leben in einem Bungalow am Rande der Negev Wüste eingelebt.

Eines Nachts, als er mit seinem Jeep in der Wüste herumkurven will, um Stress abzulassen, überfährt er einen eritreischen Flüchtling und lässt diesen sterbend liegen, um Fahrerflucht zu begehen.

Die Ehefrau des Eritreers, Sirkit, aber hat alles beobachtet und erpresst Etan mit ihrem Wissen, fordert von ihm, andere afrikanische Flüchtlinge heimlich zu behandeln.

Mehr und mehr muss Etan sich von seinem sicheren Leben entfernen. Und je näher er Sirkit und den anderen Migranten kommt, umso mehr stellt er sein Leben, die israelische Gesellschaft und sich selbst infrage.


Die 1982 in Israel geborene Autorin erzählt dies alles (und mehr) in einer unerhörten Abgeklärtheit, mit einer psychologischen Finesse (studierte sie doch selbst Psychologie) in einer poetisch - realistischen, wortgewaltigen Sprache, die ihresgleichen sucht.

Sie geht dabei das Wagnis ein, ihrem Heimatland, aber auch den Lesern, den Spiegel vorzuhalten. Unweigerlich fragt man sich:“Wie hätte ich reagiert?“

Indem Gundar-Goshen immer wieder in die Vergangenheit ihrer Protagonisten geht, legt sie Schicht um Schicht von deren Persönlichkeit frei, und verdichtet ihre Geschichte.

Alle Personen in „Löwen wecken“ sind Getriebene, von Traumata Verfolgte.


Indem der Leser immer mehr weiß, als die Figuren, macht Gundar-Goshen ihn zum Mitwisser, eventuell zum Richter. Aber können wir wirklich richten?

Gundar-Goshen ist auch Humanistin, und so findet sie für die Handlungsweise aller Personen eine Erklärung.

Es gibt in diesem Roman keine simple Moral, kein schwarz und weiß.


Im Verlauf der Handlung nähern sich Etan und Sirkit in dem Maße an, in dem Etan sich von seiner Frau Liat, die auch noch mit der Aufklärung des Falles des getöteten Eritreers betraut wurde, entfernt. Nacht für Nacht arbeiten Etan und Sirkit

in der abgelegenen Werkstatt, die als illegales Hospital dient, nebeneinander, um den verletzten Flüchtlingen zu helfen. Dabei wächst die gegenseitige Anziehungskraft.


Wie fragil ein menschliches Leben ist, zeigt Gundar-Goshen auf beeindruckende Weise. Nicht nur, was den bloßen Körper angeht, sondern wie ein ganzer Lebensentwurf von einer Sekunde zur anderen zerbrechen kann.


Und es ist ein Roman über Beziehungen, die vielleicht das Fragilste überhaupt im menschlichen Leben sind.


Wer das Leben verstehen möchte, der sollte „Löwen wecken“ lesen.

Und man sollte sich dessen Autorin merken!


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