Rezension zu "Reise nach Jerusalem" von Ayman Sikseck
Ein Zuhause finden
Gerade in der aktuellen, wieder einmal aktuellen Spannung in und um Israel herum, gerade in der aktuellen Auseinandersetzung zwischen arabischen Einwohnern, Palästinensern und Juden in Israel selbst, wäre Ayman Sikseck in Person eigentlich bestens geeignet als ein Symbol der Integration der Kulturen. Als einer, der alle beteiligten, in Spannung stehenden Strömungen „bearbeiten“, mit und in seiner Person ein wenig ausgleichen könnte.
Statt aber seine „eine Identität“ leben „zu dürfen“, lebt er in (mindestens) „zwei Identitäten“. Ganz real. Einer, der aus der „arabischen Ecke“ Israels stammt, auf der hebräischen Universität studiert hat und in Hebräisch schreibt. Der erlebt nicht das „Zusammenwachsen“ der Kulturen im Land, sondern am eigenen Leib die radikale Trennung, der niemand so recht beikommt und die sicherlich eines der grundlegenden Probleme der Region darstellt.
Eine Trennung in „zwei Leben“, die Sikseck nun in seiner ruhigen, auslotenden und treffenden Sprache in seinem Debüt in Romanform gegossen hat. Ein Roman, der letztlich seine eigene Geschichte nacherzählt, denn wie der Autor selbst ist auch der Protagonist des Romans einer, der in Jaffa geboren, in Jerusalem studiert hat und nun einfach sein äußeres, vor allem aber inneres Zuhause sucht.
Der Geburtsort wird durch die schnell sich wandelnde Siedlungsstruktur mehr und mehr zu fremden Terrain, die „neu erworbene“ Kultur passt noch nicht so recht zum Inneren.
Ein Zustand, der sich auf alle Bereiche seines Lebens, auch auf sein Liebesleben nachhaltig niederschlägt. Auch hier findet er sich „zwischen den Welten“ wieder, nicht gerade zum Verständnis seiner Familie, die durchaus sich strecken musste, um ihm das Studium zu ermöglichen (zum Glück hat Samaher, seine Schwester, früh geheiratet). Und die irritiert zusehen muss, wie ihr Sprössling auch mit einer israelischen Soldatin engen Umgang zu pflegen scheint (neben Shahiran, einer moslemischen jungen Frau). Ein Unbehagen im Übrigen, dass der junge Mann gut nachvollziehen kann, ist er doch selbst noch mit einigen inneren Ressentiments gegenüber Israel versehen)
Auf seinem Weg wandelt der junge Mann zwischen den Lebensformen und Sikseck versteht es ganz hervorragend, nicht nur die äußere Kultur der verschiedenen Identitäten im Land zu beschreiben, sondern auch die entsprechende Haltung hinter den äußeren Ausdrucks- und Lebensweisen sichtbar zu machen. Die Alltäglichkeiten zwischen „Macht“ und dem verständlichen Bedürfnis nach Sicherheit (Israel) und „Repressionen“ (gegen israelische Araber). Die oft und oft unreflektierten Haltungen auch in der jungen Generation aller Kulturen im Land, die „Selbstverständlichkeit der Fremdheit“, die teils lapidar, teils dramatisch in den Raum des Romans tritt.
Eine Lösung kann auch Sikseck nicht unbedingt anbieten, auch nicht in der fiktiven Welt seines Romans. Wohl aber versteht er es, das eigentliche Problem der „trennenden Selbstverständlichkeiten“ und der Aggression, die auf jeder Seite je aus dem Verhalten der anderen Seite fast zwingend entstehen muss, dem Leser eindrucksvoll vor Augen zu führen. Nach der Lektüre versteht man tatsächlich, worauf die inneren Probleme der Region beruhen und dass zwei entgegengesetzte Verständnisse des Lebens und der Lebensart so gut wie unvereinbar aufeinander prallen. Es bräuchte mehr und mehr solcher Romane und solcher sprachfähiger Autoren, um der Beschreibung des Ist-Zustandes eine innere Einsicht und, vielleicht in mittlerer Zukunft, ein inneres Umdenken folgen lassen zu können.