Cover des Buches Lolita lesen in Teheran (ISBN: 9783421058515)
rumble-bees avatar
Rezension zu Lolita lesen in Teheran von Azar Nafisi

Rezension zu "Lolita lesen in Teheran" von Azar Nafisi

von rumble-bee vor 12 Jahren

Kurzmeinung: Ich wollte es eigentlich nur aufklappen und hineinschnuppern, bin aber prompt hängengeblieben... wundervoller Stil...

Rezension

rumble-bees avatar
rumble-beevor 12 Jahren
Dieses Buch handelt von wahren Ereignissen, von der verändernden Kraft der Literatur - und es hat viele Vorschusslorbeeren und gute Rezensionen kassiert. Drei gute Gründe für mich, es auch einmal zu versuchen. Nun - fünf Sterne werden es bei mir nicht. Dafür ist das Buch dann doch ein wenig zu sehr von dem abgewichen, was ich erwartet hatte. Wenn man sich allerdings konzentriert, und das Buch als das betrachtet, was es ist, und was es sein will - dann hat es vier Sterne mindestens verdient. Das Buch handelt eben nicht (!) hauptsächlich von einer privaten Leserunde, welche die Professorin Azar Nafisi mit ein paar Studentinnen bei sich daheim abhielt. Die Leserunde kommt leider nur am Rande vor; für mich etwas zu wenig. Allerdings muss ich gestehen, dass es wahrscheinlich nötig war, so weit auszuholen - im Iran kann man nichts schildern, ohne den politischen Hintergrund und persönliche Schicksale zu beleuchten. Das halte ich der Autorin zugute, und dies hat sie auch sehr gut umgesetzt. Das Buch ist in vier Abschnitte untertelt, die alle etwa ein Viertel des Gesamtumfangs ausmachen. Abschnitt Eins, "Lolita", handelt von der Gründung der Lesegruppe, von der Nabokov-Lektüre, aber auch von den privaten Hintergründen der Mädchen. Abschnitt Zwei, "Gatsby", behandelt das persönliche Vorleben von Azar Nafisi, ihre Rückkehr in den Iran nach langem Auslandsaufenthalt, den Beginn der islamischen Revolution, und viele Studentenunruhen. Abschnitt Drei, "James" (bezogen auf Henry James) behandelt den Iran-/Irak-Krieg, und die vielen Repressalien, denen Azar Nafisi und andere Lehrende in dieser Zeit ausgesetzt waren. Abschnitt Vier schließlich, "Austen", erzählt von der langsamen Auflösung der Lesegruppe, von Ausreisewünschen und Hoffnungen. Jeder Abschnitt ist also einem Schriftsteller oder einem Werk zugeordnet. Dabei ist diese Zuordnung eher lose, wie auch die ganze Erzählweise von Azar Nafisi eher "rhapsodisch" ist. Ich habe das aber als sehr stimmungsvoll empfunden. Der Stil ist eben sehr "orientalisch", mal abschweifend, mal ausführend, dann wieder zum Hauptthema zurückkehrend. Rückblickend kann ich nur sagen, dass das Buch wesentlich (!) politischer war, als erwartet. Es wurde von der Autorin sehr viel Wissen vorausgesetzt, was die Zustände im Iran betrifft. Besonders im zweiten und dritten Abschnitt fiel mir dies auf, und hat auch meine Lektüre eher verlangsamt. Sie erklärt nichts, schildert nur Vorgänge, Leidenswege, und Wirren aller Art. Das war schon recht herausfordernd. Mich hat es aber als privilegierten Westler auch ein wenig beschämt, weil hierzulande ein solch ausgeprägtes politisches Bewusstsein, zumal unter Studenten und jungen Leuten, eher selten geworden ist. Uns geht es doch viel zu gut! Ferner hat mich tief beeindruckt, mit welcher Hingabe im Iran mit Literatur umgegangen wurde. Ich war auch einmal Studentin, und muss zu meiner und unserer Schande gestehen, dass hier bei uns nicht in solcher Tiefe über Autoren und Werke diskutiert wurde. Man stelle sich nur vor, Azar Nafisi hat, auf Drängen eines besonders eifrigen Studenten, sogar in ihrem Unterricht dem Buch "The great Gatsby" den Prozess machen lassen, komplett mit Ankläger, Staatsanwalt und Geschworenen (mit verteilten Rollen!). Die Diskussionen waren nach den Vorlesungen auch beileibe nicht zu Ende. In Cafés, auf Fluren und auf der Straße wurde die Autorin von ihren Studenten umzingelt und eingeholt, um noch offene Fragen zu besprechen. Das nenne ich Einsatz! Mich hat das Buch auf jeden Fall sehr zum Nachdenken angeregt. Leicht konsumierbar war es ganz gewiss nicht, eher verschlungen und komplex. Aber möglicherweise liegt genau darin sein Wert. Die Autorin, und ihre heimlichen Studentinnen sind sehr für ihren Mut und ihre Hingabe zu bewundern.
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks