Rezension zu "Tante Safîja und das Kloster" von Baha Taher
Das Dorf ist DER Bezugspunkt in so vielen südlichen und orientali-schen Ländern. Herkunftsort der meisten Familien, auch wenn sie in die Städte abgewandert sind, mit verzweigten Familienbanden. Und das Dorf ist Synonym für Heimat, für die eigenen bodenständigen Wurzeln. Und in den Erinnerungen legen sich diese wie ein schützender Mantel um die verlorene Kindheit.
So lässt uns auch Baha Taher an seinen Kindheitserinnerungen an sein Dorf in Oberägypten, in der Nähe von Luxor teilhaben. Wo alle um viele Ecken miteinander verwandt und verbunden waren. Wo es zwischen den Kopten des Klosters und den muslimischen Dorfbewohnern ein Geben und Nehmen gab, ein Miteinander bei Festen, wo es Wertschätzung und Toleranz gab.
Dieser kleine Roman enthält verschiedene Erzähl- und Deutungs-Kompo-nenten : das soziale Leben, die ökonomische Situation, festgefügte Regeln von Anstand und Sitte, eine tragische Liebesgeschichte, Fatalismus und Blutrache, Einzug der Moderne in Form von gepflasterten Straßen, von Automobilen und Tourismus. Und die erwähnte militärische Niederlage des 1967er Krieges gegen Israel ist Teil dieser Moderne.
Wir lesen von der tragischen Liebesgeschichte der Tante Safiya und Harbi, beides ausgesprochen schöne junge Menschen, deren Schicksal sich nicht in Liebe verbindet, sondern deren Schicksalsfäden tragisch auseinander laufen. Und in Hass und Blutrache kulminieren. Dabei ist der aufgestaute Hass nur Ausdruck einer zutiefst enttäuschten Liebe.
Baher Taher gelingt es meisterhaft, uns als Leser in dieses dörfliche Gefühlsleben hineinzuziehen, die Bewunderung des erzählenden Knaben für seine Tante Safiya zu fühlen, seine Achtung des Vaters, eines Hadsch, seine Faszination für den alten Mönch Pater Bishai, den Ehrenkodex einer gefürchteten Räuberbande zu erleben.
Eine leise Wehmut durchzieht die Erinnerungen des Erzählers, des Knaben, der aus der Rückschau von dreissig Jahren sein Dorf und seine Kindheit wiederbelebt.
Sind Erinnerungen nicht immer wehmütig? Spielt da nicht immer eine Prise Proust „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ hinein?