Rezension zu "Cracking India" von Bapsi Sidhwa
Die 7-jährige Lenny lebt mit ihren Eltern im bis zur Teuilung 1947 noch indischen Lahore. Sie gehört zur Minderheit der Parsen, die im Zuge der Islamischen Expansion nach Indien kamen und als kleine Minderheit vor allem durch Anpassung und Assimilation überlebten. Im Zuge der britischen Kolonialzeit assimilierten sie sich auch in diesem Sinn und wurden zu Unterstützern der Briten - nicht zuletzt, weil unter der Kolonialherrschaft eine Form von Religionsfreiheit existierte, von der sie profitierten.
Im Zuge der Unabhängigkeitsbewegung wurden religiöse Identitäten wichtiger und die Aushandlung, wer nach den Briten die Herrschaft über Indien übernehmen sollte, wandelten sich in teilweise fanatische Glaubenskämpfe zwischen Hindus, Muslimen und Sikhs. Die Folge war eine blutige Teilung des Landes in Indien und Pakistan, begleitet von Massenmigration, Pogromen und mit dem Ergebnis, dass die lokalen, religiös gemischten Gemeinschaften flächendeckend zerstört wurden.
Dieses historisch für Indien und Pakistan bis heute prägende Ereignis wird aus kindlicher Perspektive erzählt, wodurch sehr viel deutlicher Kritik an religiösen Narrativen und nationalistischer Ideologie geübt werden kann.
Lenny, die aufgrund einer Polio-Infektion körperlich behindert ist, wir stets von ihrem Kindermädchen, der Ayah begleitet. So erhält sie Einblick in verschiedenste soziale Schichten und religiöse Gemeinschaften in Lahore, während sie zu Hause gleichzeitig von der relativ privilegierten Stellung ihrer Eltern unter den Briten profitiert.
Neben den Traumata und Schrecken durch religiösen Fundamentalismus wird vor allem auch die geschlechtsspezifische Gewalt behandelt. Da alle drei streitenden Religionen patriarchal geprägt waren und sind, wurden Frauen zu Kriegsbeute, die vergewaltigt und so "verunreinigt" werden konnte. Das Thema der verschleppten Frauen war lange ein Tabuthema - hier hat gerade dieser Roman nach seinem Erscheinen Ende der 1980er dazu beigetragen, dass offener darüber diskutiert wurde.
Das Buch wurde auch als Filmvorlage genutzt - Deepa Mehtas "Earth" beruht darauf.
Insgesamt ist es ein Coming-of-Age-Roman, der durch die relative Neutralität Lennys (die Parsen selbst erhoben keinen Anspruch auf Regierung) die Teilung und ihre Auswirkungen auf die lokalen Gemeinschaften beschreibt. Ich denke, dass man sich etwas Hintergrundwissen aneignen muss, um das Buch in all seiner Vielschichtigkeit zu verstehen - insgesamt ist es aber sehr lesenswert, wenn man mehr über das Thema erfahren will.