„Er hat einige wahnhafte Schnörkel dazugedichtet, wie die pochenden Herzen im Suppentopf, aber im Großen und Ganzen dürfte er die Wahrheit gesagt haben. Und wenn Sie mich fragen: Er hat mächtig Schwein gehabt, dass er ein amtsbekannter Irrer ist und seine Ärztin eine ebenso amtsbekannte religiöse Närrin, sonst wären sie beide längst nicht mehr am Leben. Der Verschleierte Orden macht kurzen Prozess mit lästigen Leuten.“
STORY
Ein Patient des Universitätsspitals, der 17-jährige Claudio Rainer, hat den Ärzten eine merkwürdige Geschichte zu erzählen, die sogar Polizei und die Staatsanwaltschaft auf dem Plan ruft. Claudio, ein aus unsicheren Verhältnissen stammender Streuner, kränkelnd und nicht mit übermäßiger Intelligenz geschlagen, gerät in die Hände des zwielichtigen Anatol Mehring, der den Jungen bei sich wohnen lässt. Mehring ist finanziell unabhängig und gilt manchen doch als verwahrloster und bösartiger Sonderling, der sich in seinem Domizil, dem alten Henkershaus von Bruchtal, mit dem Studium dunkler Mächte beschäftigen soll. Andere bescheinigen dem Mann eine überdurchschnittliche Intelligenz und ein berechnendes Wesen.
Zwischen Claudio und Mehring besteht eine absonderliche, krankhafte Beziehung. Der Alte quält den jungen, von Anfällen geplagten Mann geistig und körperlich, peinigt ihn mit bizarren Ritualen und doch scheint Claudio ihm treu ergeben.
Die Polizei hat keine eindeutige Handhabe, so dass sich Polizeioberkommissar Jasper Willebrands an einen Bekannten, Dr. Pratt, wendet, der mit seiner Agentur Erfahrung mit unerklärlichen Fällen hat und auf ein Netzwerk an Spezialisten zurückgreifen kann. Miriam Hannay, die Nichte des örtlichen Arztes, und Wendelin Hallecker, ein Nachfahre des Henkers vom Bruchtal, sollen im Auftrag der Agentur herausfinden, was an der Claudios Geschichte tatsächlich dran ist.
„Sie stand auf der Seite einer stumpfsinnigen Bravheit, einer Tugendhaftigkeit, die nichts anderes als Verklemmtheit war, während sich auf der seinen ein riesenhafter, glänzender Gobelin entfaltete, voll von Drachen und Einhörnern, gefundenen Schätzen, enthüllten Geheimnissen, befriedigten Sehnsüchten. Wäre sie nicht eine so vernünftige Frau gewesen, hätte er sie mitgerissen.“
MEINUNG
„Der verschleierte Orden“ ist ein Kurzroman, der sich nicht leicht in eine Schublade stecken lässt. Motive und Entwicklungen eines romantischen Gothic Thrillers (sgn. „Frauengrusel“) gehen hier Hand in Hand mit verstörenden, bizarren und teils auch derben Szenen, die sich an eine weniger zart besaitete Klientel richten. Desweiteren herrscht ein ungewöhnlich respektvoller Umgang zwischen den beiden Lagern im Roman. Dies geht sogar so weit, dass der verletzte Anatol Mehring bei Miriams Onkel Asyl und eine ärztliche Behandlung bekommt.
Die Autorin Barbara Büchner vermischt und bricht hier so viele Genre-Klischees, so dass der Roman gar nicht funktionieren dürfte. Auch sprachlich herrscht eine amüsante Mischung vor. Die Ausdrucksweise ist teils künstlich gestelzt, teils ungezwungen hemdsärmelig. Doch gerade diese Unvorhersehbarkeit macht den Roman reizvoll und der unkonventionelle Schreibstil zieht den Leser in die mysteriöse und abgeschiedene Welt des Bruchtals, wie in einen Traum. Garniert ist die Geschichte mit einigen Büchner-typischen Horrormomenten, die urplötzlich eine bedrohliche Atmosphäre aufbauen, etwa wenn der „Blut-Engel vom Bruchtal“ noch ins Spiel kommt, eine Art Ghul, der dort seit Jahrhunderten sein Unwesen treibt.
„Der verschleierte Orden“ ist Teil einer Reihe, die gar nicht als solche gekennzeichnet ist. Ein weiteres Abenteuer von Miriam Hannay und der Agentur ist in Gespenster-Krimi (2019) 34, „Die Brut aus der Gräberstadt“, zu lesen. Auch in einigen Mitternachts-Romanen scheint es schon Geschichten aus dem Bruchtal zu geben (alle unter Pseudonym erschienen).
FAZIT
Ungewöhnliche und unvorhersehbare Mystery-Story, die verschiedenste Genre-Versatzstücke vermischt.