„I have a man‘s mind but a woman‘s might“ legt Shakespeare der Portia in „Julius Ceasar“ in den Mund. - „Zu männlich ist dein Geist strebt viel zu hoch“ lautet hingegen der Vorwurf gegen die Titelheldin des Trauerspiels „Bertha“, das die Droste 16-jährig schrieb. Die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern war ein Thema, das die junge Annette von Droste-Hülshoff stark bewegte. Und wenn ich irgendeinen stichhaltigen Grund nennen soll, weshalb wir meines Erachtens die Finger vom "Gendern" lassen sollten, dann nenne ich die Dichterinnen Tove Ditlevsen und Annette von Droste-Hülshoff. Barbara Beuys sagt vom Werk der Letztgenannten, dass es „[...] die Droste zu einem der größten Dichter deutscher Sprache macht.“ Peng. Jawohl. Da müssen wir nämlich nicht erst die Gruppe der „Dichterinnen“ definieren, um ihr eine Nische zu geben. Sie gehört auch so dazu. - „Ein Mädchen kann nicht Dichter werden“ konstatierte Toves Vater (in „Kindheit“von Tove Ditlevsen). Kann es aber eben doch.
Annette, das zweite Kind, kommt als Frühgeburt zur Welt, und es ist eine aus dem Dorf bestellte Amme, Maria Catharina Plettendorf, die dem schwächlichen Kind durch liebevolle Fürsorge das Leben rettet. Anrührend ist es, zu lesen, wie diese Verbindung, nachdem die Amme in ihr Dorf zurückgekehrt ist, doch ein Leben lang hält. Annette und ihre Mutter nehmen später die alte verwitwete Amme in ihr Rüschhaus auf.
Wir lesen, in welche Welt die kleine Annette im katholischen Münsterland hineingeboren wird: die Begeisterung und die Schrecken der französischen Revolution sind noch ganz frisch; die Säkulisierung setzt 1803 einen scharfen Einschnitt für den Adel. 1802 sind die Preußen in Münster einmarschiert. 1806 feiern die Münsteraner die Nachricht vom Zusammenbruch Preußens und eines weiteren Triumphes Napoleons. Aber nur einen Tag lang. Zu bald zeigen die Besatzer ihr unschönes Gesicht. Später wird Annettes Onkel, Werner von Haxthausen, sich an einer Verschwörung gegen Jérôme Bonaparte, den König von Westfalen, beteiligen.
Annette ist 12 und verarbeitet die politischen Widersprüchlichkeiten in ihren Gedichten.
„Sie sah den preußischen Adler am Rathaus von Münster und wenig später die Guilloutine vor dem Dom.“
Annette wächst behütet auf, fühlt sich aber oft einsam und isoliert, da die pragmatische Lebenseinstellung der Mutter „eiserne Grenzen“ setzt „für ein Kind, das andere Bedürfnisse hatte, das sich mit seinen hellen und seinen angstmachenden Phantasien mitteilen wollte.“ „Das heftige, sensible, mitteilungsfreudige Kind Annette - voller Sehnsucht nach Nähe, erfüllt von Ängsten - musste lernen zu unterdrücken, was sie bewegte.“
- Auch hier eine Maske. Wie bei Tove. -
Als Jugendliche setzt sich die hochbegabte Wortgewandte dichterisch kritisch mit dem Krieg und der Stellung der Frau auseinander und erfindet nebenbei sozusagen den Poetry Slam.
Als junge Frau ist sie der Meinung, dass auch ein Mann zart empfinden können sollte. Einen solchen Mann findet die 23jährige in dem mittellosen Dichter Heinrich Straube. Die Unmöglichkeit dieser Verbindung verleitet Annettes Verwandtschaft zu einer abscheulichen Intrige ...
16. April 1820. Annette und Straube verabschieden sich nach längerer gemeinsamer Zeit auf dem Bökerhof.
Mitte Juli 1820. August von Arnswaldt trifft auf dem Bökerhof ein.
„Arnswaldt muss mich von Anfang an sehr gehasst haben, denn er hat mich behandelt wie eine Hülse, die man nur auf alle Art drücken und brechen darf um zum Kern zu gelangen ...“
Annette hat nicht mit dieser bösartigen Gerissenheit gerechnet. Im August erreicht sie der fatale Brief aus Göttingen. Arnswaldt hat ihn zusammen mit Straube abgefasst ...
Überzeugend wird das perfide Spiel, in dem die Verwandtschaft Annette um ihre Jugendliebe brachte, von der Biografin seziert. (Wer es ein kleines bisschen dramatischer haben möchte, bedient sich hier zur bunten Illustration am besten der hervorragenden Romane von Tanja Kinkel oder Karen Duve.)
Der Wille und der Drang, in Worte zu fassen und kunstvoll zu formulieren, was sie bewegt, trägt sie fort aus dem persönlichen Teufelskreis.
Die Dichterin überlebt ihre „Jugendkatastrophe“, indem sie aufwühlende geistliche Gedichte schreibt, versucht sich im Schauerroman, besucht die Verwandtschaft. Als ein paar Jahre später der Vater stirbt, zieht sie mit ihrer Schwester Jenny und der Mutter ins Rüschhaus bei Münster. Sie betreibt Hintergrundrecherche für einen Roman, sammelt antike Münzen und Versteinerungen, springt pflegend ein, wenn Verwandte krank sind, erkrankt selber schwer, findet Hilfe durch Homöopathie.
Annette ist jetzt über dreißig, und ihre Mutter kann ihr eine Reise in die Schweiz verbieten, kann sie durch Ablehnung eines Verlobten dazu bringen, die Verlobung zu lösen ... das kann nicht gutgehen. Schwester Jenny verliebt sich in der Schweiz, die Mutter sagt nein, aber Jenny und ihre durchaus gute Partie setzen sich schließlich durch. Annette findet erst mit vierzig Jahren die Freiheit, der Mutter zu sagen, dass sie bei einer Reise lieber allein zu Hause bleiben will.
Den jungen Levin Schücking, Sohn einer verstorbenen Freundin, empfindet Annette bei ersten Kontakten als eitel, aber später nimmt sie ihn unter ihre Fittiche, und offensichtlich wird mehr daraus als nur ein anregender literarischer Austausch ... Schücking ist es endlich, der die richtigen Kontakte hat und veranlasst, dass Annettes Werke gedruckt und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
1841 reist Annette nach Meersburg am Bodensee, wo Jenny sich inzwischen mit ihrem Mann niederglassen hat. Annette kann dort von ihren Honoraren das Fürstenhäuschen erwerben.
Schücking, von Annette weggeschickt, weil sie glaubt, dass die Beziehung keine Zukunft hat (obwohl sie ihn nach wie vor abgöttisch liebt), verliebt sich in Sophie von Gall, die ebenfalls schriftstellert. Diese neue Konstellation führt aber zu nicht unerheblicher Eifersucht auf Seiten der alternden Dichterin.
Im Revolutionsjahr 1848 verstirbt Annette von Droste-Hülshoff und wird auf dem Friedhof oberhalb von Meersburg begraben.
Neben der hervorragend recherchierten und spannend präsentierten Chronologie der Ereignisse bringt uns Barbara Beuys auch die Qualität der Dichtkunst der Droste nahe und verknüpft diese eng mit der Biographie der Dichterin. Stellenweise fand ich es sehr bewegend, wie dicht man durch den klugen Einsatz der Gedichttexte dran ist am Fühlen und Denken der Dichterin.
Mitunter holt die Biografin etwas aus, um dem Leser Zeitströmungen und die aktuelle politische Lage fühlbar zu machen, aber auch solche Exkurse bleiben stets spannend.
Manchmal ist Barbara Beuys allerdings so in ihre Ausführungen vertieft, dass sie darüber ein wenig den Leser vergisst und ihre eigenen Gedankensprünge für selbsterklärend hält. So wird es hin und wieder etwas unübersichtlich. War es nun August oder Werner von Haxthausen, der sich mit dem preußischen Staat anlegte und vor Gericht landete? Ich überfliege die Abschnitte nochmal und nochmal, und weiß es immer noch nicht... Aber dann liest man wieder so kleine, kurze, geniale wie sarkastische Charakterisierungen wie die von Christoph Bernhard Schlüter: „... ein treuer Freund, seine Belehrungen gut gemeint, aber konventionell. Vor allzu persönlichen Gesprächen schreckte er zurück. Bücher waren sein Leben, sie grenzten es ein und ab.“
Dadurch, dass die Biografin sich innerhalb der größeren Zeitabschnitte eher thematisch denn chronologisch orientiert, entsteht bisweilen eine leichte zeitliche Verwirrung. Aber dadurch ist sie auch so dicht an der Psyche der Dichterin, immer messerscharf sezierend, aber ohne zu verurteilen. Immer wieder deckt sie Klischees in der Droste-Rezeption auf. So manche Doppelbödigkeit in der Korrespondenz der Droste versieht die Biografin mit einem Fragezeichen.
Eine sehr lohnende Lektüre, die mir Leben und Fühlen der großen deutschen Dichterin nahegebracht hat.