Eine besondere Frau - ein nicht ganz überzeugendes Buch
Es gibt viele berührende Momente in diesem Buch, vor allem, wenn es um die wesentlichen Dinge im Leben eines Menschen geht - um Liebe, das Verhältnis zu Eltern und Geschwistern, die Suche nach menschlicher Nähe: das Tagebuch der Mazie Phillips-Gordon beschreibt solche Momente aus ihrem eigenen Leben und dem Leben derer, die ihr begegnen (und die teilweise auch selbst - in Interviewschnipseln - zu Wort kommen): Ihr Ziehvater Louis, ihre mütterliche Schwester Rosie, ihre jüngere Schwester Jeannie, der lebenslange Liebhaber und Freund „Captain“ Ben, schließlich George Flicker, mit dem Mazie eine sich langsam entwickelnde Freundschaft und kürzere Liebesbeziehung verband, und natürlich ihre beste Freundin und Mit-Aktivistin im Kampf gegen das Elend der Obdachlosen, die Nonne Schwester Te, für die zeitweise gar lesbische Gefühle angedeutet werden.
Aber diese vielen zu Herzen gehenden Begegnungen und Berührungen machen auf die Länge von 400 Seiten noch kein spannendes Buch aus, von dem man "komplett gefangen" ist (wie von Susanne Meyer auf dem Umschlag versprochen). Die Geschichte über ein fiktives Tagebuch zu erzählen, funktioniert nur ansatzweise. Es mag uns hier und da Mazie persönlich näherbringen, sorgt aber für viele Wiederholungen und Längen und stört doch den Erzählfluss. Noch dazu wird es - von ebenfalls fiktiven - „Zeitzeugen“-Erzählungen unterbrochen, die nicht immer wesentliches beitragen. George Flickers Beiträge waren von Bedeutung und gaben der Geschichte eine zusätzliche Perspektive, aber vor allem die „neueren“ Stimmen, in denen es um die Veröffentlichungsgeschichte der Tagebücher ging, taten kaum etwas zur Sache. Dass immer wieder die fiktive Autorin hinter der eigentlichen Autorin angesprochen und mit belanglosen Bemerkungen „sichtbar“ gemacht werden sollte, empfand ich als überflüssig und gekünstelt. Spätestens dann verliert sich auch jede Authentizität, weil sie eben als „gewollt“ erfahrbar wird, und das ganze Konstrukt aus Realität und Fiktion wackelt.
Und an dieser Stelle spürt man auch die Intention der eigentlichen Autorin, und es wirkt stellenweise wie schlichtes Framing: in unseren Zeiten der Krisen und Unsicherheiten braucht es eine Person, die solche und schlimmere Zeiten durchgemacht und sich in ihnen wie eine Idealfigur verhalten hat. Ja, es ist gut, auf die Situation der Obdachlosen aufmerksam zu machen, es ist gut, ihnen so selbstlos zu helfen, ja, es ist auch ein Appell an Werte wie Nächstenliebe, Toleranz und Demut. Und ja, wir finden es heutzutage auch nicht mehr moralisch verwerflich, wenn sich eine junge Frau für ein Leben am Rande der Gesellschaft entscheidet, mit kurzzeitigen Affären und Alkohol als Ausgleich für Mann und Kinder. So passt dieser Roman halt in unsere Zeit, aber man wird das Gefühl nicht los, dass Mazies Geschichte - gerade aufgrund der aufgesetzten Authentizität- passend gemacht wurde.