Cover des Buches Capriolen (ISBN: 9783981780925)
Rezension zu Capriolen von Barbara Hauck

Homosexualität zu einer Zeit, in der diese unter Strafe stand, historisch beleuchtet,empfehlenswert

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Ein offenes Geheimnis im Haus Hessen, von der Autorin sehr gut recherchiert

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 6 Jahren
Da ich mich seit über 30 Jahren nun mit der letzten Zarenfamilie von Russland befasse, blieb natürlich auch das Haus Hessen nicht aus. Denn die letzte Zarin war eine geborene Prinzessin von Hessen und bei Rhein. Zudem schreibe ich gerade eine Biographie über eine seiner Nichten, wofür man mich vom Archiv in Hessen aus auf dieses Buch aufmerksam machte. Im Kaiserreich war die Homosexualität schon allein aufgrund der preußischen Moralvorstellungen verpönt. Am 15. Mai 1871 wurde der § 175 eingeführt und damit sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts wieder im ganzen Kaiserreich unter Strafe gestellt. Man konnte nicht ins Gefängnis kommen, sondern auch seinen Doktortitel verlieren, die bürgerlichen Ehrenrechte etc. Der Großherzog Ernst Ludwig V. von Hessen und bei Rhein steht hier aber, wenn auch als Adeliger, als ein Beispiel für homosexuelle Männer der damaligen Zeit. Es gab die Möglichkeit, die er auch nutzte, seinen Neigungen auf Capri nachzugehen, wo sich junge Fischerjungen den Männern anboten. Ernies erste Gattin, Victoria Melita, hatte schon während der Ehe angemerkt, daß ihr Mann Stallburschen verführe, Bedienstete. Und, als sie einmal ihren Gatten mit einem eben dieser jungen Männer im Bett überraschte, erschütterte es die junge Frau zutiefst. Nicht nur, weil ihr Gatte mit einem Mann beisammen lag, sondern auch, weil die relativ unaufgeklärte junge Dame noch nie von so etwas gehört hatte. Letztendlich scheiterte die Ehe auch an der Vorliebe Ernies für Männer, was aber nicht im Scheidungsprotokoll genannt wurde, denn seine Gattin wollte ihn nicht buchstäblich ans Messer liefern. Man gab daher an, daß beide unüberbrückbare Differenzen hätten, wobei Victoria Melita oder auch Ducky, damit schuldig geschieden wurde. Man hatte die kleine Tochter Elisabeth und nahm auch Rücksicht auf diese.
Das sehr sanfte und emotionsgeladene Naturell Ernies war seinen Geschwistern schon lange bekannt und ebenso auch seine Vorliebe für Männer. Er pflegte Briefkontakte zu Männern, mit denen ihn zarte Liebesbande und ein reger Austausch von Liebesgedichten verband. Dennoch konnte er sich nicht öffentlich ausleben und in zweiter Ehe unterband er selbst seine Homosexualität- mit anderen Worten, er verstellte sich seiner zweiten Gattin und den beiden Söhnen zuliebe.
Man kann nun bewerten, wie man möchte- doch es ist natürlich kein leichtes Leben, wenn man nicht so leben darf, wie man möchte. Da leben wir heute natürlich viel aufgeklärter und freier.
Haucks Buch präsentiert eine Kurzbiographie über diesen Kunstkenner und Kunstliebhaber, der ein sehr fürsorglicher Vater und Familienmensch war und von dem jeder wusste, wo, bis 1905, also zur zweiten Ehe, seine wahren Neigungen lagen- wenn man mir auch diesen Terminus aus grauer Vorzeit verzeihen möge.
Ich kann dieses doch recht kurze, aber sehr informative Buch jedem empfehlen, der sich für Ernie und auch für die Stellung von Homosexuellen in jener Zeit interessiert. Und mag man nun denken, ich würde da eventuell wertend Begriffe verwenden- jeder Mensch muss so leben dürfen, wie er möchte, niemand sich verstellen und ich- verzeiht- ich habe zwei schwule Freunde, von denen ich lernte, daß der Begriff sie nicht nur auf ihre Sexualität beschränkt, und ich mache keinen Unterschied. Leben und leben lassen, akzeptieren, respektieren.
Wie war das Raab-Straßeninterview damals?
Raab zu einer alten Dame: "Was halten Sie von Heterosexualität?"
Alte Dame: "Das finde ich widerlich und ungeheuerlich!"
Ebend. :)

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