Barbara Honigmann erzählt in „Georg“ das Leben ihres Vaters. Er war so vieles – Bohemien, Kommunist, Spion, exzessiver Theatergänger –, hat so viele Stationen gemacht – aufgewachsen als Sohn eines jüdischen Arztes in Wiesbaden und bei seiner Großmutter in "Dammschtadd", Odenwaldschule, Frankfurt, Düsseldorf, Exil in London, Internierungslager in Kanada, sowjetische Besatzungszone in Berlin – und so viele Partnerinnen – stets junge – gehabt. Und doch bleibt er selbst trotz dieser Fülle an Informationen, die Honigmann uns aus seinem sehr ereignisreichen Leben gibt, ungreifbar, ja als Mensch/als ein Ich ziemlich vage. Und dieses Unbestimmte ist genau das, dem Honigmann in ihrem Roman nachspürt, auch um gleichzeitig mehr Klarheit über sich selbst – über die persönliche "Erbschaft", die ihr ihre Eltern für ihr Leben mitgegeben haben – zu finden. Warum war ihr Vater kaum bindungsfähig und wechselte ständig seine Partnerinnen – und mit ihnen gleichzeitig die Freundeskreise und seine Überzeugungen? Das einzig Beständige in seinem Leben scheint die Beziehung zu seinen beiden Töchtern gewesen zu sein. Rührend und erschreckend zugleich, wie er seine Tochter ganz selbstverständlich in Beschlag nimmt ("[...] ich sollte Anteil nehmen, weil ich ja ein Teil von ihm war, wie sein Arm oder sein Bein, so schleppte er mich durch sein Leben."), sie – beinahe wie einen Freundesersatz – mit "wir Männer" anspricht. Und trotz aller Eigentümlichkeiten und Leerstellen im Leben von Georg, die Honigmann zeitlebens vor Rätsel gestellt haben, spürt man diese besondere Nähe zwischen Vater und Tochter sehr stark.
Ich mochte sehr, wie sie ihren Vater beschreibt – sehr anschaulich und oft mit einer humorvollen Note. Seine Lebensgeschichte ist an sich schon sehr spannend, aber was mich insbesondere fasziniert hat, ist, wie Honigmann das Zerrissen-sein ihres Vaters, sein ewiges Zwischen-den-Stühlen-Sitzen, schildert und (sich selbst) mögliche Erklärungen dafür liefert. Er ist stets auf der Suche, kann aber leider nie seinen eigenen Platz finden.
"Vielleicht erhoffte er ja, [...] eine Gemeinschaft zu finden, in der man sich weder für seine prominent nose noch für das doppelte "n" in seinem Namen interessierte, in der er weder Jude noch Deutscher und noch weniger beides zusammen war, sondern einfach ein Mensch."
Ein sehr lesenswertes Buch!
Barbara Honigmann
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Barbara Honigmann
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Soharas Reise
Bilder von A.
Ein Kapitel aus meinem Leben
Alles, alles Liebe!
Damals, dann und danach
Georg
Roman von einem Kinde
Neue Rezensionen zu Barbara Honigmann
Barbara Honigmann schreibt über ihren Vater Georg. Fünfzehn Jahre nachdem sie sich in „Ein Kapitel meines Lebens“ ihrer Mutter genähert hatte. Diese ist vor allem als Ehefrau des britisch-sowjetischen Doppelspions Kim Philby bekannt, der als Vorbild für John le Carrés „Dame, König, Ass, Spion“ diente und die junge österreichische Kommunistin 1934 in Wien heiratete und dadurch dem Zugriff des austrofaschistischen Regimes entzog. In London lernte sie den Journalisten Georg Honigmann kennen, der dort durch eine glückliche Fügung seit 1931 als Korrespondent der Vossischen Zeitung tätig war. In Deutschland wäre er als aus einer assimilierten jüdischen Familie stammend Ziel der Verfolgung durch die Nationalsozialisten geworden. Vielen Mitgliedern seiner aus Breslau und Darmstadt stammenden Familien gelang die Flucht ebenso.
1903 geboren verlor Georg seine lange leidende Mutter früh, mit elf Jahren. Vier Jahre später fiel sein älterer Bruder Heinrich auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs in Frankreich. Georg wuchs nach dem Tod der Mutter nicht beim Vater, der Arzt und später Professor in Gießen war und sich nicht um seinen Sohn kümmern konnte und wollte, auf, sondern bei seiner liebevollen Großmutter Anna in Darmstadt. Diese schickte ihn später auf die berühmte Odenwaldschule, die für ihre Reformpädagogik bekannt war. Mit der Großmutter verband ihn eine innige Beziehung. Nach dem Studium in Breslau, Berlin, Prag und Gießen lebte er mit seiner ersten Frau als Redakteur in Gießen. 1931 gingen sie dann nach London. Dort fand er, der sich als „Reformjude“ immer irgendwie zwischen allen Stühlen sitzend fühlte, Zugehörigkeit dann bei kommunistischen Gruppierungen, befördert durch die Bekanntschaft mit seiner eifrig agitierenden späteren Ehefrau Litzy. Bereits hier arbeiteten die beiden zeitweise für den sowjetischen Geheimdienst. Im Krieg wurde er als „enemy alien“ vorübergehend nach Kanada verschifft. Nach dem Krieg kehrte das Paar nach Deutschland zurück, bald in die sowjetische Besatzungszone. 1949 kam Tochter Barbara zur Welt.
Georg war zeitlebens ein „homme à femmes“, auf vier Ehefrauen (Litzy war die zweite, die bekannte Schauspielerin und Sängerin Giesela May die dritte), die bei den Hochzeiten stets um die Dreißig waren, ungeachtet des fortschreitenden Alters des Bräutigams, konnte er schließlich zurückblicken. Wirklich glücklich war keine der Ehen. Georg konnte in Gesellschaft sehr charmant sein, im Privaten holte ihn die Traurigkeit und Zurückgezogenheit oft ein. Ein „charmanter, unwiderstehlicher Misanthrop“ nennt ihn Tochter Barbara einmal. Zu ihr hatte er aber ein sehr liebevolles Verhältnis. Später kam es mit Barbara zu politischen Differenzen. Diese verließ 1984 die DDR, ging nach Frankreich und wandte sich dem Thora-Judentum zu.
Barbara Honigmann erzählt nicht chronologisch. In der Anfangsszene trifft sie als Teenager ihren Vater nach dessen Trennung von Ehefrau Nummer drei in einem kleinen, schäbigen möblierten Zimmer. Für sie ein irritierendes Szenario und vielleicht das erste Mal Anlass, über ihren Vater nachzudenken.
„Richte, liebes Kind, Dein Leben heute so ein, dass Du nicht später sagen wirst, oh, hätte ich doch damals – wie es sich dein armer Vater immer wieder sagt.“
Sie erzählt anekdotisch, sehr liebevoll, aber mit wachem Blick. In vielem versteht sie Georg nicht. Eine Frage, die sie umtreibt, ist, wie er im ihn als Exilanten aufgenommenen England, Innbegriff der Demokratie, der Freiheit, eine so große Nähe zur Sowjetunion aufbauen konnte, deren dunkle Seiten er komplett ausblenden konnte. Auch seine große Nähe zum DDR-Regime ist für Barbara Honigmann unverständlich.
Es ist kein Buch der Anklage, aber auch keines der Verklärung. Honigmann findet eine wunderbare Lage dazwischen, vielleicht gerade dadurch, dass sie ihrem Vater stets nah stand. Sie nähert sich ihm durch dieses schmale Buch erneut, versucht, seine Beweggründe zu entschlüsseln, erkennt, dass er sich zeitlebens immer ein wenig zwischen den Stühlen fühlte, als Jude in Deutschland, als Deutscher in England, als Bildungsbürger bei den Kommunisten. Das Buch ist ein Zeugnis seines Lebens, aber auch eine Erzählung über deutsche Geschichte. Sehr lesenswert.
Barbara Honigmann beschreibt das alltägliche Leben in der Rue Edel in Strasbourg. Das ist manchmal aufregend, manchmal langweilig, genau wie das Leben selbst. Gleichzeitig ist es ein Plädoyer dafür wie Kulturen miteinander und nebeneinander leben können.
In der Rue Edel leben neben Juden, die ihre Religion mehr oder weniger ernst nehmen, auch Kurden, Araber, Asiaten und "Schwarze in allen Abstufungen von Schwarz". Man kennt einander hier in dem Viertel, in dem die meisten Häuser nur Betonklötze sind und man vor allem eins gemeinsam hat: Die Hoffnung auf eine schönere Zukunft.