An einem Gründonnerstag fährt die junge Mutter Barbara in den Supermarkt, um Ostereinkäufe zu machen. Während sie den Einkaufswagen mit Ostereiern für ihre Kinder Timo und Valentina vollpackt, klingelt das Handy. Am anderen Ende ist die bebende Stimme von Valentinas Tagesmutter zu hören: Es habe einen Unfall mit einem Clownwagen gegeben. Barbara solle ja nicht zum Unfallort, sondern zu ihrer besten Freundin Sabine fahren. Später würde sie dort “versorgt und in ein warmes Bett gepackt”, wie die Autorin schreibt. Barbaras Ehemann Heli hatte einen Bahnübergang übersehen. Der Zug war mit voller Wucht in den Wagen gerammt; Heli war auf der Stelle tot, der siebenjährige Timo und die anderthalbjährige Valentina wurden schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht, in dasselbe Krankenhaus, in dem Barbara und Heli als Spitalclowns zeitlebens ein Lächeln in die Gesichter todkranker Kinder gezaubert hatten.
Was wie ein Szenario aus einem Actionfilm klingt, ist die harte Realität, die der Autorin dieses Buchs widerfahren ist. Die eigene Familie auf solche Weise zu verlieren gehört wohl zum Erschütterndsten, was man sich vorstellen - oder eben nicht vorstellen - kann. Solche Bücher sind wichtig, weil sie uns die Brüchigkeit des Lebens vor Augen führen.
Barbara Pachl-Eberhart ist Jahrgang 1974, ein Jahr älter als ich, und ich habe das Buch auch als Stimmenzeugnis einer Generation gelesen. Unserer Generation wird nachgesagt, dass wir in Watte gepackt worden seien. Wir wurden im Wohlstand geboren - das einzige, woran wir uns vielleicht noch knapp erinnern können, ist der drohende Atomkrieg in den 1980er-Jahren. Ansonsten blieb unser Leben von politischen Tragödien verschont. Mehr noch: Wir haben die Deutsche Wiedervereinigung mitgekriegt. Friede, Freude, Eierkuchen.
So naiv diese Sicht auf die sogenannte Generation X ist, so naiv ist mir stellenweise Pachl-Eberhardts Buch vorgekommen. Das Buch handelt davon, wie gut sich die Ärzte, die Familie und die Freundinnen um Barbara gekümmert haben, als sie ihrem kleinen Sohn die lebenserhaltenden Maschinen abstellen musste. Den vor lauter Prellungen und Brüchen vermutlich kaum wiederzuerkennenden Leichnam ihres Mannes in der Leichenhalle findet sie, so schreibt sie, “wunderschön”. Und als sie für einen Moment im Wald spazieren geht, um Luft zu schnappen, spürt sie auf einmal eine Riesenfreude. Im gleichen Augenblick, so erfährt sie Minuten später, war die kleine Valentina gestorben. Barbaras Vater hatte das Kind in den Tod begleitet und Barbara nach ihrem Waldspaziergang die Nachricht überbracht.
Ich denke, es liegt an diesem “vermittelten” Charakter der existenziellen Ereignisse, dass das Buch ein seltsames Unbehagen in mir hinterlassen hat. Die Autorin und Protagonistin scheint Zuschauerin ihres eigenen Lebens zu sein. Sie wird von der Unfallstelle abgewendet, sie ist nicht da, als ihre Tochter stirbt. Und auch die Begegnung mit Helis Leichnam sowie die Beschreibung der Beerdigung kamen mir seltsam gedeckelt und flach vor. Zweifellos erfordert es Mut, ein solches Buch zu veröffentlichen und bestimmt war es eine Hilfe für die Autorin, mit dieser existenziellen Tragödie umzugehen. Im Buch selber habe ich vom Tragischen wenig erfahren; mir begegnet darin eine seltsam verspielte, um nicht zu sagen kindliche Erfahrungswelt, die ganz sich selbst im Blick hat und die Welt als Traum oder Illusion empfindet - die gewissermassen in der magischen Phase stecken geblieben ist, wie Barbaras Mutter in einem Interview mal erzählte.
Die Erzählstimme (die Autorin ganz bestimmt nicht!) kreist um sich selbst, wie man sich um sie kümmert, was man ihr gesagt hat, wie es ihr geht, was man ihr Gutes oder Schlechtes tut. Vielleicht liegt dies an der Wucht des Traumas, vielleicht liegt dies aber auch tatsächlich an der Gedanken- und Gefühlswelt unserer Generation. Vielleicht wurden wir tatsächlich zu sehr in Watte gepackt und entsprechend magisch fällt dann unsere Wahrnehmung sowie unser Schreibstil aus.