Rezension zu "Die gekränkte Gesellschaft" von Barbara Strohschein
Es ginge auch anders….
Carl Rogers hat in der Entwicklung der personenzentrierten Psychotherapie drei „Variablen“ gesetzt und entfaltet, die seiner Ansicht nach (und seitdem tausendfach erprobt) als „Haltung des Therapeuten“ die Grundbedingung einer gelingenden Therapie darstellen.
Ohne diese drei Variablen gelingt eine Therapie nicht, so seine Erkenntnis, egal, nach welcher Methode übrigens der jeweilige Therapeut seine Arbeit angeht.
Thomas Gordon hat, im Sinne Rogers, diese Erkenntnisse weiter und allgemeiner gefasst. Jene drei Variablen bilden letztlich die Grundlage wirklich gelingender, offener, konstruktiver und sich entwickelnder Beziehungen (zu sich und zu den anderen).
Empathie (Einfühlungsvermögen und Einfühlungsbereitschaft in einem), Kongruenz (Echtheit in der eigenen Person und in der Kommunikation) und Akzeptanz (bedingungslose Wertschätzung der Person des anderen (nicht unbedingt dessen, was er oder sie tut, sondern was er oder sie ist und mit seinem oder ihrem Handeln ausdrückt) sind jene drei Variablen, die zu einer konstruktiven Beziehung und einer sich kreativ entwickelnden Lebenshaltung und Haltung sich selbst und anderen gegenüber führen.
Variablen, die besondere Formen der Kommunikation (nicht wertende Kommunikation) bedürfen, eines inneren Umdenkens und tatsächlich viel Übung, die dann aber nachweislich jene Erfolge mit sich bringen, die Rogers, Gordon Gentlin und dutzende andere im Lauf der Jahre beobachtet und vorgelegt haben.
Dieser Exkurs in die Geschichte und Methode einer Ausprägung der Psychotherapie ist insofern von Bedeutung, als das Barbara Strohschein auf genau die gleichen „Grundhaltungen“ und „Werte“ und „Kommunikationsstrukturen“ rekurriert, die von Rogers damals zu Grunde gelegt wurden.
Somit könnte man dieses vorliegende Werk als „philosophisches Weiterdenken“ oder „philosophischen Überbau“ für jene Kommunikationspraxis und die darin ausgedrückte wertschätzende Haltung dem und den anderen gegenüber durchaus bezeichnen.
Dass Gewalt und Krieg nicht „vom Himmel fällt“, sondern von Menschen mit je persönlicher Lebensgeschichte und Lebensprägung „angerichtet“ werden und dass ich in den erwachsenen Ausdrücken von Gewalt massive eigene Erfahrungen der persönlichen (und gesellschaftlichen) Entwertung widerspiegeln gehört dabei genauso in dieses System von Wertschätzung und Anerkennung, wie die vielfachen Analysen Strohscheins im Buch, wie massiv Entwertungen und Entfremdungen im aktuellen menschlichen Miteinander vorliegen.
Wie im Aufwachsen bereits Entwertung erfahren wird (als Teil des Systems, nicht unbedingt als Schicksal, bei „kühlen Eltern“ aufwachsen zu müssen).
Wie der Mensch sich im Blick auf sich dann selbst ständig entwertet, meint, nicht zu reichen, zu dumm, zu dick, zu anders zu sein. Wie der Körper „angepasst“ werden soll, um nur ja „begehrenswert“ zu sein (zumindest zu scheinen) und vieles mehr, das im Buch sorgsam vorgelegt nachzulesen ist.
„Entwertung“ somit ist in den Augen Strohscheins das „Grundproblem“ mit zunehmender Verschärfung.
Demgegenüber „Anerkennung“ (positive Verstärkung, Akzeptanz, bedingungslose Wertschätzung) in dem Menschen, der dies erlebt, die konstruktiven und kreativen Fähigkeiten hervorholt und mit Mut versieht. Hinzu einem selbstbestimmten Leben, in dem durch Selbsterkenntnis Selbstwert gefunden wird und damit der „Entwertung“ eine „Aufwertung“ gegenüber gestellt wird.
Das geht, wie Strohschein an einigen beeindruckenden Praxisbeispielen aufzeigt und das ist zwar nicht neu in der Erkenntnis, aber doch anregend zu lesen in der philosophischen Herleitung und Ausformung, die Strohschein sorgfältig recherchiert und formuliert vorlegt.