Martina Wildners “Zu schnell für diese Welt” ist ein Jugendroman, der sich mit Themen wie Freundschaft, Talent, Ehrgeiz und sozialer Ungleichheit auseinandersetzt. Durch die lebendige Sprache und tiefgründige Figurenzeichnung gelingt es Wildner, einen fesselnden Einblick in die Lebenswelten zweier Jungen zu geben, die unterschiedlicher kaum sein könnten – und doch eine enge Verbindung zueinander haben.
Die Geschichte dreht sich um Jay und Dennis, die in derselben Vorstadtsiedlung aufwachsen, aber aus sehr unterschiedlichen Verhältnissen stammen. Dennis lebt in einer behüteten, kleinbürgerlichen Familie, in der Sicherheit und Ordnung eine große Rolle spielen. Jay hingegen wächst bei seiner arbeitslosen Mutter auf, die oft antriebslos wirkt und sich wenig um ihren Sohn kümmert. Während Dennis ein eher zurückhaltender und vorsichtiger Typ ist, lebt Jay von seinem Instinkt, handelt impulsiv und ist stets auf der Suche nach einem Kick. Trotz ihrer Unterschiede verbindet die beiden eine enge Freundschaft.
Eines Nachts werden die beiden beim Sprayen eines Graffitis erwischt. Doch statt sie anzuzeigen, bietet ihnen der ältere Mann, der sie ertappt hat, eine Alternative an: ein Training in einem Leichtathletikverein. Dort entdeckt Jay sein außergewöhnliches Lauftalent – er ist schneller als alle anderen, beinahe zu schnell für diese Welt. Von da an geht alles rasend schnell: Jay wird mehr und mehr zum neuen Laufstar des Vereins, erhält mehr und mehr Aufmerksamkeit und genießt die Bewunderung, die ihm durch sein Talent zuteil wird. Doch mit dem wachsenden Ruhm kommen auch die Schattenseiten: Jays ungestüme Art und seine fehlende Disziplin stehen ihm im Weg, bisherige Spitzentalente fühlen sich durch ihn bedroht.
Die Geschichte ist nicht nur eine Geschichte über eine Sportlerkarriere, sondern eine über Freundschaft, Jugend, Selbstfindung und Gesellschaft. Die Frage, die sich durch die ganze Geschichte zieht: Kann Jay sein Talent richtig nutzen oder wird er sich selbst im Weg stehen?
Wildners Stärke liegt in der Figurenzeichnung. Jay ist kein einfacher Held, sondern ein Charakter mit Ecken und Kanten. Seine Impulsivität, sein Drang nach Aufmerksamkeit und sein Unvermögen, sich selbst zu zügeln, machen ihn zu einer Figur, die faszinierend und gleichzeitig absolut nervig ist. Man fiebert mit ihm, hofft, dass er seinen Weg findet, und gleichzeitig ärgert man sich über seine Selbstsabotage.
Dennis ist das komplette Gegenteil: überlegt, vernünftig, loyal – aber auch jemand, der sich von Jays Energie mitreißen lässt. Diese Dynamik zwischen den beiden Figuren macht den Roman spannend, denn er erzählt nicht nur von sportlichem Ehrgeiz, sondern auch von einer Freundschaft, die hin und wieder hart auf die Probe gestellt wird.
Besonders beeindruckend ist die Authentizität, mit der Wildner die soziale Ungleichheit beschreibt. Jays Herkunft wirkt sich auf seinen Charakter aus: Er hat gelernt, sich durchzuschlagen, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, aber auch, dass ihm kaum jemand eine zweite Chance gibt. Die Geschichte zeigt, wie hart es ist, aus schwierigen Verhältnissen auszubrechen, und dass Talent allein nicht reicht, wenn keine Strukturen vorhanden sind, die Halt geben.
Die Geschichte wird mit einer klaren und sehr direkten Sprache erzählt, die besonders für jugendliche Leser:innen gut zugänglich ist. Die Szenen sind bildhaft beschrieben, insbesondere die Laufsequenzen vermitteln ein Gefühl von Geschwindigkeit und Rausch, sodass man Jays Talent förmlich spüren kann. Auch die Gegensätze zwischen den Welten von Jay und Dennis werden eindrucksvoll dargestellt. Während Dennis in einem Haushalt lebt, in dem Regeln und Zukunftspläne selbstverständlich sind, wächst Jay in einer Umgebung auf, in der es keine langfristige Perspektive gibt. Wildner zeigt, wie sich diese Unterschiede auf die beiden Jungen auswirken, ohne dabei klischeehaft oder moralisierend zu werden.
So spannend die Geschichte ist, das Ende könnte für manche Leser:innen etwas unbefriedigend sein. Einige Handlungsstränge wirken nicht ganz auserzählt, und man hätte sich vielleicht mehr Einblick in Jays weitere Entwicklung gewünscht. Dies kann jedoch auch als bewusstes Stilmittel interpretiert werden: Nicht jede Geschichte hat ein klassisches Happy End, und manchmal bleibt die Zukunft ungewiss – genau wie im echten Leben.
“Zu schnell für diese Welt” ist mehr als ein Sportroman. Er erzählt von Freundschaft, Identität und den Herausforderungen, die es bedeutet, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, in der Chancen ungleich verteilt sind. Wildner gelingt es, diese Themen mit einer spannenden, dynamischen Erzählweise zu verbinden, die besonders jugendliche Leser:innen anspricht. Wer eine tiefgründige Geschichte über Talent, Ehrgeiz und den Preis des Erfolgs sucht, findet hier eine lohnende Lektüre. Besonders für junge Leser:innen, die sich für Sport interessieren oder sich in der schwierigen Phase zwischen Kindheit und Erwachsenwerden befinden, kann dieses Buch inspirierend sein.
Empfohlen für:
✔ Jugendliche ab 12 Jahren
✔ Leser:innen, die Geschichten über Sport und Talent mögen
✔ Fans von Büchern über Freundschaft und gesellschaftliche Herausforderungen
✔ Alle, die authentische und tiefgründige Charaktere schätzen