Rezension zu "Tante Karos Gefühl für Stil" von Beate Berger
@ Tante Karo: Vermute, dass ich eine der Letzten bin, die sich zu Wort meldet, wenn nicht gar die Letzte. Es tut mir leid, dass ich mich mit meiner Rezension so spät melde. War viel los bei mir in den letzten Wochen. Tante Karo hat mir von dem frischen Buchcover herunter zwar immer wieder auffordernd zugezwinkert, aber ich wollte mir unbedingt Zeit lassen für die Besprechung.
Der Roman Tante Karos Gefühl für Stil hat mich nicht nur sehr gut unterhalten, er ist ganz unerwartet auch ein wichtiges Buch für mich geworden. Er hat meinen Horizont erweitert, hat mir ein paar Vorurteile gegen Mode genommen und er hat mir eine Einsicht vermittelt, die mich immer wieder beschäftigt: Wir ziehen uns jeden Tag an für die Bühne, die unser Leben ist.
Das ist nur einer von vielen lebensklugen Sätzen, die Tante Karo im Laufe des Romans äußert. Seit ich sie gelesen habe, ist mir bewusst geworden, wie allgegenwärtig Mode eigentlich ist. Wir können uns ihr nicht entziehen. Vor ein paar Tagen ist mir zufällig ein Zitat von Coco Chanel begegnet, das mich an die Modeweisheiten von Tante Karo erinnerte: „Mode ist nichts, was nur in Kleidung existiert. Mode ist in der Luft, auf der Straße, Mode hat etwas mit Ideen zu tun, mit der Art wie wir leben, mit dem, was passiert.“
Diese Aspekte habe ich in dem Roman von Beate Berger wieder gefunden. Sie beschreibt Kleidung im Zeitgeist und als Kommunikationsmedium. Sie holt das Thema Mode aus den Hochglanzgazetten und bringt es hinein ins alltägliche Leben und auch in die Politik: Die hart umkämpften ersten Hosenanzüge für Frauen zum Beispiel, die Kleidung der „Ökos“ und der Punks als Mode und Protesthaltung zugleich. All das Zeit- und Modegeschichtliche verpackt die Autorin in eine liebenswerte, anrührende Familiengeschichte.
Die Romanfigur der Tante Karo erinnerte mich manchmal an die alten Mode-Sendungen von Antonia Hilke. Da im Anhang des Buchs bestimmt nicht zufällig auf die legendäre deutsche Modereporterin hingewiesen wird, kann man davon ausgehen, dass ihr mit der resoluten Tante Karo eine augenzwinkernde Referenz erwiesen werden soll.
Der Roman ist flott und leicht geschrieben, ein echter „Pageturner“ (wie ich es sonst eher von Krimis kenne). Beate Berger hat mich mitgenommen auf eine Zeitreise, sie hat mich hinter die Kulissen der großen Modehäuser schauen lassen und sie hat mir gleichzeitig fast vergessene Bilder aus meiner eigenen Biographie wieder ins Gedächtnis gerufen. – Da waren sie plötzlich wieder, die Kittelschürzen meiner Mutter und Tanten, die kruden Ökouniformen der 70er, die Popper, die Punks, dann meine breitschultrigen Blazer in den 80ern...
Doch es geht in diesem Roman nicht nur um Kleider. Die modische Bedeutung der Haare zieht sich sozusagen als Nebenschauplatz wie ein roter Faden durch das ganze Buch. Gleich zu Beginn gibt es während einer Oscar-Verleihung einen ersten Hinweis auf den New Yorker Friseur Kenneth Battelle. Gegen Ende des Romans flaniert man als Leser im Geiste durch seinen berühmten Salon mitten in Manhattan. In diesem Kapitel beweist die Autorin, die ja auch als Journalistin arbeitet, ihr erzählerisches Können. Wie selbstverständlich verknüpft sie die reale und akribisch recherchierte Lebensgeschichte der Friseurlegende mit der fiktionalen Romanhandlung. – Dieses erzählerische Prinzip zieht sich übrigens durch den ganzen Roman. Alle mode- und zeitgeschichtlichen Bezüge sind real und bis ins Detail stimmig, der Rest der Geschichte ist erfunden. Mir ist erst nach und nach aufgefallen, wie geschickt die Fakten mit der Romanhandlung verwoben wurden.
Meine Lieblingsszene ist die, als Kenneth, der ja der Lieblingsfriseur der Monroe gewesen war, während eines Fotoshootings in den 90er Jahren einem männlichen Model eine richtige Turmfrisur verpasst. Da kommt alles zusammen: der Fortschritts-Optimismus der 60er, der unterkühlte Zeitgeist der 90er, der Aufstieg der Supermodels, die zunehmende Bedeutung der Modefotografie. Und gerade in diesem Kapitel wird deutlich, was in den 90er Jahren passierte. Das Zeitalter der digitalen Bilderflut begann, die Welt wurde komplexer, rasanter und auch ein bisschen ärmer. Die Kunst der Modeillustration zum Beispiel verschwand damals vollkommen von der Bildfläche und war nur noch in den Museen und Archiven zu bewundern. Daran erinnern die vielen wunderschönen Modeillustrationen von Maria Kleinschmidt, die den Charakter des Buchs verstärken und ihm eine besondere Wertigkeit verleihen.
Hinreißend und amüsant sind auch die Geschichten, die nur in den Illustrationen weitererzählt werden. Da gibt es einen verrückten kleinen Hund, der allerhand erlebt und da gibt es die immer wieder die wechselnden Sportwagen der Tante Karo, die so manchem 911er-Fan das Herz höher schlagen lassen dürften.
Tante Karos Gefühl für Stil wird im Untertitel als Moderoman angekündigt. Da ich den Begriff vorher noch nie gehört hatte, fing ich an zu recherchieren. Dabei traf ich auf drei interessante Ergebnisse: Die deutsche Übersetzung von „Fashionable Novel“ (dazu der Duden: englischer Roman der Übergangszeit zwischen Romantik und Realismus im 19. Jahrhundert, der die Welt des Dandyismus behandelt). Das zweite Ergebnis: „Depeche Mode: Roman“. Das dritte – und meistgenannte – Ergebnis war dann „Tante Karos Gefühl für Stil.“ Womöglich hat Beate Berger ja ein neues Genre geschaffen. Sie und Maria Kleinschmidt haben sich auf jeden Fall auf Neuland gewagt und ein faszinierendes Buch vorgelegt. ...