Vermutlich wirst du, ebenso wie ich, schon über den Titel stolpern: „Das ist ein Ball“ steht da, aber der Pfeil verweist auf einen Würfel, oder etwa nicht? Und so versteckt sich hinter diesem Buchdeckel ein geschickter, philosphischer Diskurs für Kinder und Erwachsene, der zudem noch richtig witzig ist.
Ich musste sofort an Magrittes Bild „Ceci n’est pas une pipe“ (Dies ist keine Pfeife) denken. Und auch im Fortlauf des Buchs geht das Spiel mit Wahrnehmung weiter. Denn es gibt immer die Diskrepanz zwischen den Bildern und dem Text. Die simplen wie eindringlichen Illustrationen stellen immer etwas anderes dar, als im Text benannt wird.
Der Klappentext spielt darauf an, dass so aufgebrochen wird, dass die Großen immer recht hätten, und stattdessen die Kinder sie berichtigen könnten. Neben dem größer gesetzten „Beschreibungstext“ gibt es auch immer noch einen etwas kleineren Text, der als Antwort auf die möglichen Reaktionen der Kinder dient:
„Hast du irgendwas an den Augen? Vielleicht sollten wir mal Fieber messen?“
Die Reaktion der Kinder ist also schon quasi interaktiv ins Buch eingeschrieben, woraus sich sicherlich auch das Konzept der impliziten Leser:in erklären ließe.
Dieses Spiel funktioniert sicherlich schon bei Kindergartenkindern hervorragend und auch mein 8jähriger hatte jetzt viel Spaß daran, mich mit viel Nachdruck zu korrigieren. Besonders witzig dürfte das allerdings bei 3- und 4jährigen sein, weil sie erst in diesem Alter etwas das Konzept der Lüge verstehen. Das Schlagwort ist „Theory of Mind“, ganz kurz zitiert von Wikipedia: „Erst wenn die Meinung eines anderen von der eigenen unterschieden werden kann, und wenn Auffassungen von Sachverhalten als falsch erkannt werden können, ist die Theory of Mind entwickelt.“ Und dieses zauberhafte Buch spielt damit.
Doch über zwei weitere Aspekte lässt sich bei diesem Kinderbuch trefflich philosphieren: 1. Ausgehend von der Theory of Mind kann man gemeinsam mit den Kindern überlegen, dass wir alle auch immer eine andere Sichtweise haben. Stichwort: radikaler Konstruktivismus, der vermeintlich gegebene Sachverhalte hinterfragt. 2. Hier kann man trefflich mit den Kindern über Diversität nachdenken. Denn im Buch wird eine Prinzessin benannt, die wie ein Monster (oder ein Alien aussieht) und ein Monster, das wie eine Prinzessin dargestellt wird. Im ersten Moment könnte man überlegen, ob hier nicht ein Gender-Klischee reproduziert wird. Aber wer sagt uns eigentlich, wie eine Prinzessin auszusehen hat? Warum kann nicht ein grünes Wesen mit vier Armen und einem großen gelben Mund nicht eine Prinzessin sein? Und grinst das Wesen mit dem lila langem Kleid nicht gar monsterhaft? Und ist eine Prinzessin überhaupt weiblich?
Über solche Fragen haben wir, mein Sohn und ich, darüber viel gelacht und empfehlen dieses tolle Kinderbuch von Herzen weiter.
PS: Klett Kinderbuch ist übrigens ein kleiner, unabhängiger Verlag aus Leipzig und „Das ist ein Ball“ eignet sich daher auch toll fürs #buecherhamstern zum Ausfall der Leipziger Buchmesse 2020.