Rezension zu "Krezmers Wirren" von Benedikt Theis
Ein Erzähler, dessen Erzählen mit dem Satz beginnt “Ich bin der Einzige hier, der nicht verrückt ist!” sollte den Leser grundsätzlich misstrauisch machen. Erst Recht die Beteuerung, er, der Erzähler, sei nicht Insasse, sondern einfacher Besucher einer Nervenheilanstalt. Wenn ein Erzähler gleich zu Beginn jede Form von Psychose vehement negiert, darauf besteht, auf keinen Fall verrückt zu sein, weiß der routinierte Leser, dass höchste Vorsicht geboten ist. Diesem Erzähler kann man nicht trauen. Wahrscheinlich ist er verrückt. Nervenheilanstalten und die Negierung von Verrücktheit sind in der Literatur typische Signale der Unzuverlässigkeit. Der Typ des unzuverlässigen Erzählers aber ist einer der spannendsten Varianten in der Literatur. Er hält den Leser auf Trab. Er will dem Leser Dinge für wahr verkaufen, die sich als Lüge herausstellen werden. Aber jetzt wird es noch spannender. Peter Krezmer, nicht Insasse sondern einfacher Besucher der Laurensteiner Nervenheilanstalt, versucht nicht etwa Ärzte und Patienten und damit auch den Leser davon zu überzeugen, dass er die Wahrheit sage, während er lügt. Er erzählt und versucht diejenigen, die ihm zuhören, zu überzeugen, er lüge wie gedruckt, und dabei stellt sich heraus, dass er die Wahrheit sagt. Von der Lüge zur Wahrheit oder zu ihrer Entdeckung verlaufen die Wege wirr und abstrus, aber höchst amüsant. Das ist so kunstvoll gemacht, so konsequent durchgehalten, das Verhältnis von Wirrnis zu realistischem Erzählen oder zu dem, was wiederum dafür gehalten werden soll, wobei es auch nach der Aufdeckung der wirren Lage weiter wirr bleibt, dass man sich als Leser am besten dem Strom überlässt, dem Strom aus Sprache, aus Abenteuerlichkeit, aus Philosophie, aus Komik, aus Lüge. Denn wer lügt, das ist nicht nur Peter Krezmer. Die Lüge ist ein perfides System aus neuen medizinischen Methoden zur Behandlung von Verrücktheit (“wir nennen unsere Bewohner nicht verrückt”), die den Geisteskranken Peter K. auf seinem Weg begleiten, der unbedingt seinen Freund Lysander Elsterhazy treffen will, der wiederum der Mörder des gemeinsamen Freundes Johann sein soll.
Der gewünschte und immer wieder vereitelte Besuch bei Lysander zieht sich als roter Faden durch die Erzählung, unterbricht wiederholt Peter K.s Lust am Fabulieren über Ungeheuerlichkeiten von Alltag bis Abenteuer, bis sich das Verhältnis aus Wunsch und Lust schließlich umkehrt. Peter K. verweist zugleich darauf, dass er Skeptiker ist, am Zeitgeist zweifelt, in der Schriftstellerei die Möglichkeit zur Flucht vor einer Realität sieht, die ihm absurd und unerträglich erscheint. Jeder Zeitgenosse, über den er spricht, kommt dem Leser ebenfalls über die Maßen verrückt vor und gleichzeitig wird im Berichten über die Verrücktheit der Welt immer wieder vertrauenheischend darauf hingewiesen, wo gesponnen, spekuliert, im Geiste ergänzt wird, wo der Erzähler auch den anderen Erzählenden misstraut – “Ich glaube ihm kein Wort”, sagt er über die Lebenserzählung eines Patienten und kurz darauf über sich selbst: ‘”Ich erzähle Ihnen nichts als die Wahrheit!”, feiere ich meine eigene Ehrlichkeit’, bis man fast bereit ist zu glauben, der Erzähler habe Recht und er sei wirklich der Einzige, der noch klar sehe, bis man ihm also beinahe, wenn man nicht aufpasst, auf den Leim geht.
Bravourös an diesem Romandebüt ist nicht nur das Spiel aus Lüge und Wahrheit, sondern auch die Sprache in Melodie, Rhythmus, Lakonie. Besonders lohnen sich die Dialoge: ‘”Ich liebe dich”, sagte ich. Sie liebte mich auch.’ Hier wird auf Natürlichkeit zugunsten von Komik verzichtet, die durch kleine überraschende Wendungen entsteht. Die Komik aber entsteht auch auf anderen Ebenen, ist immer subtil, nie platt, ergibt sich aus einer verfremdenden Detailverliebtheit heraus, aus diesem pedantischen Beobachten und Bewerten aus der Distanz, mit dem der Erzähler die eigenen Fremdheitsgefühle dem Verhalten der Mitmenschen gegenüber ebenfalls im Leser entstehen lässt, der aber, anders als der Erzähler, die Bedeutung der komischen Situation nicht ignorieren kann: “In dieser Zeit liebte ich Susanne und Susanne, so schien mir, liebte mich und Klara hatte Brezeln mitgebracht”. Bravo auch für die Episode des arbeitslosen Johann, über dessen Arbeitslosigkeit nicht gesprochen werden darf: “…nicht so wie Johann, der kratzte sich am Kopf und bohrte in der Nase als wäre er arbeitslos.” Dann ist es wieder der Wechsel von Traumsequenzen zur Realität, von Chaos und Absurdität zu Banalität und Alltäglichkeit, der Komik erzeugt. Und überhaupt, ist das Erzählen völlig souverän. Mal glaubt man sich in Thomas Manns “Zauberberg” versetzt, mal in die Arbeit der Eifersucht, wie sie bei Alain Robbe-Grillet zu lesen ist, mal könnte auch Erich Kästner die Feder geführt haben.
Peter Krezmer scheitert an der eigenen Akzeptanz der Dinge, aber die Aufdeckung dessen, was er nicht akzeptieren kann, überrascht, nachdem der Leser sich längst ein Bild gemacht hat und glaubt, den guten Peter Krezmer erkannt zu haben, glaubt, verstanden zu haben, was sein Problem ist. Nach guter alter literarischer Tradition ist es der Karneval, der die Verhältnisse umkehrt, alles auf den Kopf stellt…
Fazit: Ein anspruchsvolles Lesevergnügen, das bis zur letzten Seite nicht verloren geht.
Die Originalrezension wurde für den Blog Autorenfreiheit. Die Seite für unabhängige Literatur erstellt www.autorenfreiheit.de