Rezension zu "Cuddy – Echo der Zeit" von Benjamin Myers
Fast wäre ich in das Wehklagen eingefallen, als ich mich durch die ersten hundert Seiten gequält habe. Du meine Güte, was ist das denn? Ein preisgekröntes Buch? Ich hätte es wissen müssen, denn solche Bücher sind nichts fürs breite Publikum. Und Menschen, die viel lesen, sind zwar auf so manches gefasst, aber was sich da im ersten Teil dieses Buches abspielt, ist eine Zumutung. Vielleicht denken manche Leser in Ehrfurcht vor einem aus der Literaturblase gelobten Buch, sie wären einfach zu dumm, um die "Genialität" des ersten Teils zu verstehen. Sie sollten sich nicht einschüchtern lassen.
Der Heilige Cuthbert wurde im 7. Jahrhundert geboren. Seine Geschichte kann man glauben. Oder man lässt es eben, denn ohne diese Legende wäre der gute Cuthbert kein Heiliger. Vielleicht ist der Anfang seiner Geschichte wahr, aber dann wurde sie weiter erzählt und weiter erzählt und weiter erzählt, und dann weiß man nicht mehr, was man davon halten soll. Cuthbert war Bischof in Nordengland, starb und wurde eingesargt. Dann, so die Legende, wurde er über viele Jahrzehnte in seinem Sarg durch die nordenglische Gegend gefahren, weil man keine würdige Ruhestätte fand. Im ersten Teil dieses Buches versucht Myers nun diese wilde Geschichte zum Teil nachzuerzählen und zum Teil durch Zitate der Legendenbildner zu untermauern. Dabei benutzt er zum Teil wirklich abenteuerliche Stilmittel, wie etwa die stetige Verkleinerung der Schriftgröße im Text und anderes dummes Zeug.
Hat man diesen Teil überstanden, was eine beachtliche Geduldsleistung ist, wird das Buch wesentlich besser. Nun folgen gut erzählte Geschichten, die irgendwie mit der Kathedrale von Durham zusammenhängen. Für sich genommen sind diese Kurzgeschichten nun auch nicht unbedingt preisverdächtig. Aber in der Summe bilden sie zum Teil den Verlauf der Geschichte etwas ab und machen das Buch in den Augen der literarischen Blase zu etwas Besonderem. Zumindest außergewöhnlich ist dieses Buch tatsächlich.
Die Kathedrale von Durham wurde an dem Ort errichtet, an dem die unendliche Reise von Cuthbert in seinem Sarg ein Ende fand. Auch heute noch liegen seine Gebeine dort. Nun ist dieses Bauwerk tatsächlich ein architektonisches Monument, ein romanischer Prachtbau, wie man ihn selten sieht. Aber eben auch ein gewaltiger Klotz. Man liest, er wurde 1093 erbaut. Natürlich stimmt das nicht, dafür ist diese Kathedrale einfach zu groß. Es muss also Jahre gedauert haben, bis sie fertig wurde.
Und seltsamerweise erfährt man darüber nichts im Buch. Während Myers sich über die ewige Reise Cuthberts in seinem Sarg in aller Ausführlichkeit auslässt, findet man über seine letzte Ruhestätte eigentlich nichts in diesem Buch. Vielmehr werden dann die drei weiteren Kapitel für Kurzgeschichten genutzt, die dieses Bauwerk nur noch als Bühne benutzen.
Um es kurz zu machen – ich finde dieses Buch völlig überbewertet. Wenn man das erste Kapitel durchhält, findet man sich in Myers angenehmen Erzählstil wieder. Und dann kann man es leidlich aushalten. Ja, es wird sogar ganz gut. Aber in der Gesamtkonzeption ist es ein etwas aufgesetztes Werk, das man eigentlich nur dann schreibt, wenn man einen Preis möchte. Denn das Publikum schreckt man ansonsten mit einer solchen Zumutung, wie es das erste Kapitel ist, nicht ab.
Ich weiß nicht, wie ich dieses Buch bewerten soll. Eigentlich hätte es höchstens drei Sterne verdient. Aber die letzten drei Kapitel haben mich dann doch etwas versöhnt.