Rezension zu Die Leinwand von Benjamin Stein
Rezension zu "Die Leinwand" von Benjamin Stein
von Claudia-Marina
Rezension
Claudia-Marinavor 14 Jahren
Rot und blau. Blau und rot. Ergibt lila. Wie bei einem Hämatom - ausgelöst durch einen heftigen Zusammenprall in der Mitte – schmerzhaft für alle Beteiligten. Ein Vermischen von Welten und Erinnerungen. Rot. Jan Wechsler ist orthodoxer Jude und schon die Annahme eines Pakets am Samstag gestaltet sich schwierig. Ein schwarzer Pilotenkoffer mit merkwürdigem Inhalt. Angeblich hat er ihn auf einer Israelreise verloren. Er kann sich nicht erinnern. Blau. Amnon Zichroni, geboren in Israel, hat eine seltene Begabung: er kann die Erinnerungen anderer Menschen nacherleben. Er studiert in den USA und lässt sich zum Psychoanalytiker ausbilden um sich schließlich in Zürich niederzulassen. Rot und blau. Zwei Lebenswege, sehr verschieden, und doch miteinander verbunden. Und nun? Wie dieses Buch rezensieren? Ich stehe vor einer Wand und komme nicht weiter. Ich muss wohl ganz von vorne anfangen. Wie dieses Buch lesen? Erst die eine und dann die andere Seite, wobei, mit welcher Seite anfangen? Würfeln, losen? Eine Münze werfen? Zahl = rot und Kopf = blau? Oder dann lieber doch nach jedem Kapitel wechseln? Schon vor dem lesen stellt mich Die Leinwand vor eine schwere Entscheidung, denn wenn ich mich jetzt für eine Art zu lesen entscheide, verpasse ich vielleicht etwas. Ich will aber nichts verpassen. Vielleicht ist die Geschichte dann eine andere, fügen sich beide Seiten zu einem völlig anderen Bild zusammen. Also gut, es hilft ja nichts, sonst halte ich das Buch in zehn Jahren noch in der Hand, es von einer Seite auf die andere drehend – ich entscheide mich dafür nach jedem Kapitel zu wechseln, also brauche ich auch zwei Lesezeichen – kein Problem, davon habe ich ja genug. Ich beginne mit rot, denn diese Seite sieht für mich eher wie die Vorderseite aus, außerdem ist hier die Signatur des Autors. „Für gewöhnlich öffnen wir am Schabbes nicht die Tür, wenn es läutet.“ Ich genieße die ruhige Sprache, die Benjamin Stein gewählt hat, von ihr geht etwas sehr beruhigendes aus. Kapitel zu Ende, Lesezeichen rein und umdrehen. „ Ich glaubte lange Zeit, ich hätte so etwas wie einen sechsten Sinn.“ Hier wird es unruhiger, aufwühlender. Aber auch hier versinke ich in die Geschichte. Kapitel zu Ende, Lesezeichen rein und umdrehen. Nach jedem Kapitel. Bis zur Konfrontation in der Mitte. Durch Die Leinwand gibt es viele Wege, und jeder ist es wert, gegangen zu werden. Es macht auch keinen Unterschied, welchen man geht, denn am Ende erwartet einen unausweichlich der Aufprall. Und der ist äußerst schmerzhaft. Rot und blau. Blau und rot. Lila. Wie ein Hämatom eben.