Cover des Buches Der sterbende König (ISBN: 9783499259036)
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Rezension zu Der sterbende König von Bernard Cornwell

Wyrd bið ful aræd

von Stefan83 vor 10 Jahren

Rezension

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Stefan83vor 10 Jahren

Liest man sich die vielen doch arg negativen Rezensionen zum sechsten Band der „Sachsen“-Saga mal so durch, könnte man auf den Gedanken kommen, dass sich dessen Titel viel mehr auf seinen Autor (hinsichtlich der Schilderung des brutalen dunklen Mittelalters für mich ungekrönter König im Bereich historischer Unterhaltung) bezieht, als auf Alfred den Großen, dessen letzte Tage der Regentschaft das diesmalige Handlungskorsett bilden. Langweilig, langatmig oder uninspiriert sind da noch die nettesten Bezeichnungen mit denen Cornwells Werk dabei bedacht wird. Doch auch zu Recht? Fakt ist sicherlich: „Der sterbende König“ ist alles andere als ein typisches Buch des englischen Autors, der mit seinem Hang für Dramatik und drastische Szenen Bekanntheit erlangt und noch jedes Mal für ein großes, blutiges Schlachtengemenge gesorgt hat. An seiner statt überwiegen diesmal jedoch Dialoge und ruhige Passagen, entspinnt sich der rote Faden in einem bedächtigen Tempo. Das mag gewöhnungsbedürftig sein, passt aber zur beschriebenen Epoche und der politischen Lage am Ende von Alfreds Herrschaft, weshalb ein Abgesang auf Cornwell und die Reihe im Allgemeinen mir hier eindeutig zu früh kommt. Doch dazu später mehr.

Kurz zum Plot: Den Anfang nimmt das Buch im Jahre 898, womit es einige Monate nach „Das brennende Land“ spielt und auch in vielerlei Details auf die dort beschriebenen Ereignisse näher eingeht. Alfred der Große ist noch König von Wessex, Cent und Teilen Merciens, konnte aber nach der Schlacht von Beamfleot nur einen äußerst brüchigen Frieden mit den Dänen erwirken, dem vor allem Uhtred, das Schwert der Sachsen, nicht traut. Während Alfreds Kirchenmänner schon den Sieg über die in ihren Augen heidnischen Nordmänner feiern, bleibt der in die Jahre gekommene Krieger skeptisch. Für ihn ist der Frieden nicht mehr als eine Atempause, die Ruhe vor dem Sturm, welche vor allem der Feind nutzen wird, um an Stärke zu gewinnen. Neue Bündnisse werden geschmiedet, alte Eide gebrochen. Unruhe keimt in den Grenzregionen auf, in denen man Wessex' Vorherrschaft nicht ohne Widerspruch hinnehmen will. Und auch in Alfreds eigener Familie fehlt es an Einigkeit. Den Thronanspruch seines Sohnes Edward unterstützen nicht alle. Selbst Uhtred hadert mit einer Entscheidung, trägt sich mit dem Gedanken endlich gen Bebbanburg zu ziehen, um sich sein Erbe zurück zu erkämpfen und die Sachsen sich selbst zu überlassen.

Als Alfred schließlich stirbt endet damit nicht nur eine Dynastie – es ist auch gleichzeitig das Fanal für den vermeintlich letzten und entscheidenden Angriff der Dänen...

Politische Ränkespiele, diplomatische Friedensmissionen, ein sesshaft gewordener Uhtred? Wie bereits oben erwähnt, müssen sich Kenner der Reihe doch erst einmal ein wenig auf die neuen Gegebenheiten einstellen, welche sich so frappant vom sonstigen Tenor der „Sachsen“-Serie unterscheiden. Geschuldet sind sie aber schlicht und einfach dem historischen Kontext, den Cornwell zwar in seinen Büchern immer mal wieder biegt und erweitert, aber nie gänzlich unter den Tisch fallen lässt. Wenn man also dem Leser nicht eine Lücke von mehreren Jahren zwischen den einzelnen Bänden zumuten will, muss man sich dem zeitlichen Ablauf der Geschichte beugen. Und das wiederum heißt: Frieden und eben kein Krieg, den Cornwell wie kein anderer Autor in all seinen Facetten auf Papier zu bringen vermag. Und ja, da müssen wir ganz ehrlich sein, darunter leidet dann letztlich auch der Spannungsbogen. „Der sterbende König“ ist somit das Luftholen vor der eigentlichen Schlacht, die Einleitung zum Kampf, der in den kommenden Büchern nicht nur um den Thron, sondern auch um die Einheit aller Sachsen ausgefochten werden wird. (Nur so nebenbei: All dies geschah in erster Linie im Süden Englands, was wiederum der Grund ist, warum Cornwell bisher darauf verzichtet hat, Uhtred den Weg in die Heimat antreten zu lassen.)

Wer nun Angst hat, dass Band sechs der Saga nur so dahinplätschert, der kann aber beruhigt werden, da sich auch diese Lektüre äußerst kurzweilig verschlingen lässt. Das liegt nicht zuletzt an der knackig-knappen Schreibe und dem schwarzen Humor. Im Besonderen verkörpert von dem Hauptprotagonist (und gleichzeitig rückblickend erzählenden) Uhtred, der mit dem Alter zwar keine Weisheit erlangt hat, dafür aber in Punkto Kriegskunst inzwischen fast jeden Braten riecht und immer wieder für eine Überraschung gut ist. Das müssen auch diesmal wieder seine Gegner erfahren, unter denen der Respekt vor dem Schwert der Sachsen immer mehr wächst. Ansonsten passiert – und auch das ist typisch Cornwell – was die Weiterentwicklung der Figur angeht, nicht wesentlich viel. Zudem ist Uhtred mit Mitte 40 für damalige Verhältnisse bereits fast im Greisenalter, was, angesichts des hohen Anspruchs an geschichtlicher Authentizität, seine führende Rolle in jedem Schildwall langsam etwas unglaubwürdig macht. Da der Autor in dieser Reihe die Werdung Englands in Gänze abbilden will und bis zu Æthelstans Wirken noch fast 25 Jahre vergehen, sollte sich dieser langsam etwas einfallen lassen bzw. die Rolle Uhtreds seinem fortgeschrittenem Alter anpassen. Oder wird seine große Enttäuschung, der bibelfeste, Psalmen singenden Sohn gleichen Namens gar doch noch zum wackeren Krieger?

Trotz fehlender Dramatik und dem nicht durchgängigen Spannungsbogen: Auch „Der sterbende König“ ist wieder eine äußerst packende, weil unheimlich plastisch und nachvollziehbar geschilderte Geschichtsstunde, in der natürlich trotzdem am Ende wieder die Schwerter für ein (für Cornwellsche Verhältnisse) kleines Gemetzel aus der Scheide gezogen werden. Ein Appetizer auf das hoffentlich kommende Festmahl (Jetzt zieh endlich gen Bebbanburg, Uhtred!), von dem Quereinsteiger aber die Finger lassen sollten. Schon vorher war es schwer sich einfach so in die Reihe reinzulesen – mittlerweile ist es allein aufgrund der vielen Figuren und ihre Verbindungen gänzlich unmöglich.

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