Rezension zu "Ludwig XVI. (5615 569)" von Bernard Fay
Ludwig XVI. (1754-1793) war der letzte König Frankreichs, der vor der Revolution den Thron bestieg. Wer sich als Deutscher näher mit diesem Monarchen beschäftigen möchte, der findet nur mit Mühe brauchbare Biographien. Zwei aktuelle Standardwerke, die Biographien des Franzosen Jean-Christian Petitfils (2005) und des Briten John Hardman (2016), wurden nicht ins Deutsche übersetzt und haben hierzulande jenseits von Historikerkreisen sicherlich keine Leser gefunden. In deutscher Übersetzung liegen drei ältere Werke vor. Zwei stammen aus der Feder französischer Historiker. Es handelt sich um die Biographien von Bernard Faÿ (1955) und Evelyne Lever (1985). Eine Sonderstellung nimmt das Werk des britischen Sachbuchautors Vincent Cronin von 1974 ein. Cronins Buch ist eine Doppelbiographie Ludwigs XVI. und seiner Gemahlin Marie-Antoinette (1755-1793). Diese drei Bücher sind in Bibliotheken und Antiquariaten immer noch verfügbar. Doch aufgrund ihres Alters kommen sie für eine ernsthafte Beschäftigung mit Ludwig XVI. heute eigentlich nicht mehr in Betracht. Die Bücher der fünf Autoren – Faÿ, Cronin, Lever, Petitfils und Hardman – werden hier vergleichend rezensiert. Die Biographie von Bernard Faÿ erschien 1956 beim Münchener Callwey-Verlag erstmals auf Deutsch. Passend zum Revolutionsjubiläum von 1989 brachte der Heyne-Verlag die Biographie als Taschenbuch erneut heraus. Das ist in zweierlei Hinsicht problematisch. Zum ersten ist diese Neuausgabe nur ein unbearbeiteter Nachdruck der Callwey-Ausgabe von 1956. Ein historisches Sachbuch mehr als 30 Jahre nach seiner Entstehung unverändert nachzudrucken, ist aus wissenschaftlicher Sicht kaum zu rechtfertigen. Hinzu kommt, dass Faÿs Buch einem spezifischen geistigen Nährboden entsprungen ist und einen tendenziösen Charakter aufweist. Der Heyne-Verlag hätte einen Historiker beauftragen sollen, in einem Nachwort Werdegang und Weltanschauung des Autors zu skizzieren und das Buch historiographisch einzuordnen. Da diese kritische Auseinandersetzung mit Verfasser und Werk unterblieben ist, erscheint der Nachdruck des Buches aus heutiger Sicht als kolossaler Missgriff. Die Biographie „passte“ gar nicht in die Zeit um 1990.
Bernard Faÿ (1893-1978) – die für die Heyne-Ausgabe verwendete Schreibweise "Fay" ist nicht korrekt – zählte in der Zwischenkriegszeit zu den bekanntesten und meistgelesenen Historikern Frankreichs. Er war ein Experte für die Geschichte der französisch-amerikanischen Beziehungen, und so ist es keine Überraschung, dass Frankreichs Beteiligung am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) breiten Raum in seiner Biographie Ludwigs XVI. einnimmt. Faÿ stammte aus einer streng katholischen und monarchistisch gesinnten Familie. In den 1920er und 1930er Jahren bewegte er sich in rechtskonservativen und royalistischen Kreisen. Er diente sich dem Vichy-Regime an und leitete von 1940 bis 1944 die Nationalbibliothek. Darüber hinaus beteiligte er sich aktiv an der Verfolgung von Freimaurern. Die Tätigkeit für das Vichy-Regime trug Faÿ nach Kriegsende den Verlust der Bürgerrechte und eine mehrjährige Haftstrafe ein. Der Hass auf das Freimaurertum und die schroffe Ablehnung der Revolution ziehen sich wie ein roter Faden durch Faÿs wissenschaftliches Werk, auch jene Bücher, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Am Ende der Biographie Ludwigs XVI. steht das Verdikt, mit der Revolution habe Frankreich seine Tradition, seine Kultur, seinen Glauben verleugnet (S. 480). Faÿ hielt die Ideen von 1789 – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – für "unfranzösisch". Er war überzeugt, die Revolution sei das Ergebnis einer Verschwörung von Freimaurern gewesen. Dieses ideologisch verzerrte Geschichtsbild prägt und ruiniert die Ludwig-Biographie, die durchaus Vorzüge besitzt. Das Buch ist kenntnisreich und quellennah geschrieben, und die deutsche Übersetzung gibt den erzählerischen Schwung des Originals vorzüglich wieder. Doch Faÿs Schwarz-Weiß-Malerei ist schwer zu ertragen. Am besten lesbar sind die ersten beiden Teile der Biographie, die die Zeit bis 1789 behandeln. Der dritte Teil ist weniger gut lesbar. In den Kapiteln über die Revolutionsjahre herrscht ein dichtes Personengewimmel, das für Leser mit begrenzten Vorkenntnissen kaum zu durchschauen ist.
In Faÿs Darstellung sind alle Rollen klar verteilt. Es besteht kein Zweifel, wer die Helden und wer die Schurken des Stückes sind. Auf der einen Seite steht der König: Edelmütig, hochherzig, arbeitsam, fromm, im persönlichen Leben bescheiden und anspruchslos, als Herrscher stets von den besten Absichten beseelt. Eine kleine Schar treuer Ratgeber unterstützt den Monarchen, etwa der langjährige Außenminister Vergennes und die reformorientierten Finanzminister Turgot, Necker und Calonne. Auf der anderen Seite stehen einzelne Personen und ganze soziale Gruppen, die Ludwig das Leben und Regieren schwer machen: Die hohlköpfige Marie-Antoinette und die nichtsnutzigen jüngeren Brüder des Königs, der Adel, die hohe Geistlichkeit, Philosophen und Freimaurer. Geradezu schwelgerisch schildert Faÿ das vergnügungssüchtige und skandalträchtige Leben des Adels. Hart geht er mit pflichtvergessenen und "atheistischen" Bischöfen ins Gericht, die sich nicht um die Gläubigen kümmern und der "Entchristlichung" Frankreichs Vorschub leisten. Die Freimaurerbewegung will das angestammte monarchische System umstürzen. Zu ihrem Oberhaupt stilisiert Faÿ den Vetter des Königs, Ludwig Philipp von Orléans (1747-1793), der sich nach Beginn der Revolution Philippe Égalité nannte und Anfang 1793 im Konvent für den Tod Ludwigs XVI. stimmte. Was Faÿ über den Herzog von Orléans schreibt, trägt dämonisierende Züge. Folgt man Faÿ, so hatte Ludwig XVI. neben der Sanierung der Staatsfinanzen nur ein politisches Ziel: Er wollte "das alte Frankreich retten", eine Gesellschaftsordnung, die auf dem Katholizismus und der Familie beruhte (Kapitel 15). Vichy lässt grüßen! Der Gedanke, dass diese rückwärtsgewandte politische Vision in den 1780er Jahren unzeitgemäß gewesen sein und zum Scheitern des Königs beigetragen haben könnte, kommt Faÿ nicht in den Sinn. Die Schuld für Krise und Zusammenbruch der Monarchie sieht Faÿ ausschließlich bei reaktionären Adligen und Geistlichen, die die gut durchdachten Reformpläne des Königs und seiner Minister abgelehnt hätten, um ihre althergebrachten Privilegien zu verteidigen (Notabelnversammlung im Frühjahr 1787).
FAZIT
Auch wenn sie nicht in deutscher Übersetzung vorliegen, kommen nur die Biographien von Jean-Christian Petitfils und John Hardman für eine nähere Beschäftigung mit Ludwig XVI. in Frage. Gegen die Bücher von Faÿ, Cronin und Lever sprechen das Alter sowie inhaltliche Defizite und Mängel.