Cover des Buches Der böhmische Samurai (ISBN: 9783709972861)
Rezension zu Der böhmische Samurai von Bernhard Setzwein

Der böhmische Samurai

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 7 Jahren

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 7 Jahren

Der Autor Bernhard Setzwein hat eine Biographie über die außergewöhnliche Adelsfamilie Coudenhove-Kalergi geschrieben, die ein hervorragendes Beispiel für Multi-Kulti darstellt.

Die Familie der Coudenhoves ist uralter Adel (seit 1099 aufgrund der Kreuzzüge) und ursprünglich aus Brabant kommend. Heinrich Graf Coudenhove-Kalergi ist als sprachbegabter (18 Sprachen) Diplomat in der KuK-Monarchie zuletzt in Japan tätig. Dort lernt er seine Ehefrau Mitsuko – die Tochter eines Samurai, also selbst adlig – kennen und lieben. Trotz aller Widerstände heiratet er sie, was eine weitere Arbeit im Diplomatischen Dienst eigentlich schier unmöglich macht. Er hat mit ihr 7 Kinder, vor allem deren Leben, bis Ende des Zweiten Weltkriegs, sind in diesem Roman beschrieben.


Das Buch liest sich gut und flüssig, obwohl es zwei Erzählebenen besitzt. Denn die Hauptperson Johann erzählt die Familiengeschichte, während er aufgrund der Benes-Dekrete inhaftiert wird. Begriffe, die nicht jedem bekannt sein dürften – handele es sich um historische Personen oder Begriffe aus Dialekten – werden sehr schön in einem Glossar zusammengefasst. So weit so gut.


Leider hat mich das Buch trotzdem sehr enttäuscht, viele spannende Möglichkeiten und Aspekte wurden verschenkt.


Warum der Autor sich ausgerechnet die langweiligste Person von allen Familienmitgliedern als Protagonist erkoren hat bleibt mir unklar. Johann/Hansi ist nur ein ichbezogener Langweiler, der sich wohl vorgenommen hat Ludwig dem II. von Bayern nachzueifern. Und mit Akteuren des III. Reiches flirtet. Zumindest schließt er sich nicht völlig dem Regime an.

Die anderen Figuren bleiben da völlig im Hintertreffen und werden nur dürftig gezeichnet. Eine Ausnahme ist Richard/Dicky, doch selbst dieser wird vernachlässigt.


Richard/Dicky ist meines Erachtens die interessanteste Person dieser Geschwister, ein früher Europäer, der den ersten Karlspreis überhaupt 1950 verliehen bekam. Auch die Idee zu unserer Europahymne stammt von ihm. Bei einer derart bekannten Person muss man natürlich seine literarische Phantasie ein wenig zügeln.Mit Details wird vom Autor allerdings manchmal ein wenig lässig umgegangen. z. B. soll Richard im Roman ein wichtiges Buch des Vaters zum Antisemitismus beenden, dabei hatte sein Vater dieses Buch sehr wohl beendet und wie geplant als Dissertation vorgelegt.


Gut, Johann/Hansi ist der Haupterbe, wie es damals dem Erstgeborenen zukam, dies mag wohl ein Grund gewesen sein ihn in den Vordergrund zu stellen. Seine anderen Geschwister sind jedoch viel interessanter, auch menschlich gesehen. Sie bleiben jedoch sehr im Hintergrund, sodass manche Entwicklung unklar bleibt.


Warum wird die Mutter auf einmal derart despotisch, aufbrausend und cholerisch? Wie mag sie sich wohl gefühlt haben, allein, in der Pampa, der Sprache nicht mächtig mit dem Wissen, dass sie Japan und ihre Familie nicht wiedersehen wird?

Warum wendet sich seine Schwester Ida urplötzlich dem Katholizismus in einem sehr strengen Sinne zu? Anfangs hatte man den Eindruck Kirchenbesuche seinen eher ein gesellschaftliches Muss statt Ausdruck tiefen Glaubens. Und Ida wird vorher als Wildfang beschrieben.

Von Elisabeth hört man quasi gar nichts, dabei war sie Sekretärin bei Dollfuß und hätte sehr gut in den historischen Kontext gepasst, der den Hauptteil des Buches umfasst.

Auch Karl/Eri wird eigentlich nur mit einem Jugendstreich erwähnt,

Olga als Opfer der Mutter gekennzeichnet.

Was ist mit Gerolf? Seine Entwicklung vom kriegsbegeisterten Jungen zu jemanden, der aus der erzwungene Zusammenarbeit mit Heydrich, seine Konsequenzen zieht ist viel zu ungenau.


Wie war es für die Kinder, dass sie immer auf ihr exotisches Aussehen reduziert wurden? Der Aspekt des erlebten Fremdenhasses wird im Buch nur kurz gestreift.


Warum erfahren wir über die Geschwister nach Ende des Zweiten Weltkrieges nichts mehr? Schließlich war Ida so bedeutend, dass Ratzinger anlässlich ihres Todes die Gedenkrede hielt.


Daher – obwohl ich den Romanaufbau und Schreibstil sehr wohl für gelungen halte – und besonders aufgrund der Detailgenauigkeit vergebe ich nur drei Sterne.

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