Rezension zu "Kafkas Reise durch die bucklige Welt" von Bernhard Setzwein
Kafka mal anders: Im Jahr 1961 fährt er zusammen mit dem polnischen Schriftsteller Marek Hłasko in einem gestohlenen Fiat Ollearo durch die bucklige Welt; so heißt auch eine Gegend in Niederösterreich.
Kafka ist ein alter Herr von 78 Jahren, lebt in Meran und arbeitet im Apollo-Kino als Billeteur. Er hat sich mithilfe seines Freundes Klopstock aus seinem ersten Leben davongeschlichen, damals aus dem Lungensanatorium in Kierling. Seine Kleidung hat er nicht verändert – Dreiteiler, Vatermörder und Bowlerhut. Jeden Morgen praktiziert er „das Müllern“, seinen Frühsport. Und mit dem Essen gibt es in Südtirol auch keine Schwierigkeiten, wo „der Himmel voller Trauben und Äpfel, Walnüsse und Kastanien hing“. Er gilt als liebenswürdiger und gutmütiger Kauz, der junge Leute auch mal ohne Eintrittskarte ins Kino lässt – in Erinnerung an sein altes Leben, in dem das Kino der Ort war, „wo er weinen konnte“. Warum ausgerechnet Meran? Es gibt da Erinnerungen aus seinem ersten Leben. Eines Abend trifft er den betrunkenen Hłasko, einen verwegenen polnischen James Dean. Kafka, der nur Ovomaltine und Almdudler trinkt, spendiert ihm eine Flasche Ramazzotti. Und ehe er sich versieht, sitzt er auf dem Beifahrersitz des Fiat.
Eine wahnwitzige Reise über den Jaufenpass nach Graz, durch die Bucklige Welt, nach Wien, Kierling und München folgt. Wir verfolgen den „Doktor“ durch wichtige Stationen aus seinem ersten Leben, treffen Figuren aus dem „Schloss“ und anderen Werken, manche gar nicht damit einverstanden, dass sie unvollendet geblieben sind. In Wien trifft er H. C. Artmann, von dem er auf einem nächtlichen Streifzug durch Wien in die Geheimnisse der Bestellung am Würstelstand eingeführt wird. Literarische Anspielungen gibt es zuhauf, Kafkazitate im Original und auch abgewandelt. Beispielsweise, als sich die beiden über Literatur unterhalten. Hłasko meint: „Ein Buch muss sein wie ein Faustschlag in die Magengrube. Oder was würdest du sagen?“ Ein anderes Mal räsoniert Kafka, was gewesen wäre, hätte er die Auswanderung nach Palästina gewagt und den „Prozess“ dort geschrieben. Den Anfang würde jedes Kind dort hersagen können: „Jemand musste Josef K. plötzlich gebraucht haben, denn ohne dass er etwas Nützliches getan hätte, wurde er eines Morgens gerufen, den Kibbuz mit aufzubauen.“ Zwischen die aberwitzigen Szenen der Reise (z. B. in einer unterirdischen Eisenwarenhandlung im Grazer Burgberg) sind immer wieder wichtige Episoden aus Kafkas erstem Leben eingeflochten, insbesondere seine Liebschaften. Zum Schluss die denkwürdige Lesung in München, bei der Damen in Ohnmacht fielen.
Wem Kafka bisher nicht sympathisch gewesen ist, nach der Lektüre dieses Buches ist er jedem ans Herz gewachsen.