Bettina Scheiflinger

 3,8 Sterne bei 8 Bewertungen
Autor*in von Erbgut.

Lebenslauf

Bettina Scheiflinger, geboren 1984 in der Schweiz. Auf das Lehramtsstudium und einige Jahre Unterrichtstätigkeit folgte 2017 der Umzug nach Wien. Studium der Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst sowie am Literaturinstitut Biel. Sie schreibt Theaterstücke und Kurzhörgeschichten, veröffentlicht Prosa in Literaturzeitschriften und Anthologien. „Erbgut“ ist ihr Debütroman.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Bettina Scheiflinger

Cover des Buches Erbgut (ISBN: 9783218013291)

Erbgut

 (8)
Erschienen am 16.08.2022

Neue Rezensionen zu Bettina Scheiflinger

Cover des Buches Erbgut (ISBN: 9783218013291)
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Rezension zu "Erbgut" von Bettina Scheiflinger

Welche Lasten werden uns vererbt?
TashaWintervor einem Jahr

„Lassen Sie ihn, Lionel. Er mag aussehen wie aus der Gosse, aber sie haben doch Freddy Mongoose nicht vergessen, oder?“

Freddy hätte nicht aufblicken müssen, um zu wissen, dass es sich um Llewellyn Thornton handelt. Er steht auf dem ersten Absatz der Treppe, an das Geländer gelehnt, mit einer Aura von Selbstsicherheit, die Freddy seit jeher hasst. Sein heller Anzug ist aus einem silbrigen Stoff, umspielt seinen schlanken Körper. Jedes seiner hellblonden Haare sitzt perfekt, das leichte Lächeln auf seinen schmalen Lippen bringt Freddy zur Weißglut. Wie eine Statue, denkt er wieder einmal. Die hohen Wangenknochen wie gemeißelt, die bleiche Haut, der Blick aus seinen eisblauen Augen kalt und berechnend. Ein Thornton durch und durch. Seine bloße Anwesenheit jagt Freddy eine Gänsehaut den Rücken hinunter.

„Und schon möchte ich selbst am liebsten wieder gehen“, sagt er, zieht seinen Mantel aus und wirft ihn in Richtung von Lionel, der ihn gekonnt auffängt und keine Miene verzieht. 

„Wärm dich zumindest etwas auf“, sagt Llewellyn. „Das wird dir guttun, mein Lieber.“

Ist das eine Anspielung auf Freddys abgenutzte Kleidung, oder auf die Tatsache, dass er es sich in diesem November kaum leisten kann zu heizen? Weiß Llewellyn wie schlecht es um seine Finanzen steht? Der Gedanke treibt ihm Hitze in die Wangen.

„In deiner Gegenwart könnte mir niemals warm werden“, sagt er.

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Cover des Buches Erbgut (ISBN: 9783218013291)
B

Rezension zu "Erbgut" von Bettina Scheiflinger

Die transgenerationale Weitergabe von Traumata
buchlesenliebevor einem Jahr

Inwiefern sind wir als Menschen von den unverarbeiteten Belastungserfahrungen und erlittenen Verletzungen unserer Vorfahren geprägt? Was wissen wir wirklich über unsere Eltern, Großeltern, Urgroßeltern? Über wie viel und über welche Themen der Vergangenheit wurde und wird der Mantel des Schweigens gehüllt? Welche Familiengeheimnisse bestehen? Welche Traumata haben die Familienangehörigen erlitten? Welche dunkle Vergangenheit haben sie möglicherweise? Was ist das „Erbgut“, das wir von Generation zu Generation weitertragen? Inwiefern beeinflusst es unser Jetzt, unser Ich, unser Leben, unsere Handlungen, Denkweisen, verinnerlichten Glaubenssätze, unsere Beziehung zu uns selbst und zu anderen, unsere  körperlichen sowie seelischen Schmerzen? Und ist es überhaupt möglich sich von diesem „Erbe“ zu befreien? Zu einem ganzheitlichen, eigenen „Ich“ zu werden? 

Es ist die Auseinandersetzung mit diesen Fragen, zu denen Bettina Scheiflinger in ihrem Debütroman anregt. Das spannende Thema der transgenerationalen Weitergabe von Traumata. Für viele von uns ist die eigene Familiengeschichte vermutlich bruchstückhaft, fragmentiert, unvollständig, verzerrt, basiert auf Erinnerungen und Auslassungen, leisen Zwischentönen, mündlichen Überlieferungen, schriftlichen Dokumenten, eigenen Projektionen, Flashbacks, Leerstellen oder auch auf konspirativem Schweigen – ein scheinbar unlösbares Puzzle. Äußerst authentisch ist somit auch der Erzählstil der Autorin, der diese Phänomene eindrucksvoll widerspiegelt. Ein Figurenensemble bestehend aus vier Frauen, einem Mann, einigen familiären Nebenfiguren aus mehreren Generationen. Ihre Schicksale und Lebensläufe, verortet zwischen der Schweiz, Österreich und partiell auch Italien, lernen wir in kurzen, nicht chronologischen Kapiteln kennen. Die Multiperspektive ist das bestimmende narrative Element. Im Fokus eine Ich-Erzählerin, die auf der Suche nach sich selbst ist, nach Bewältigungs- und Verarbeitungsstrategien und die wir in verschiedenen Lebensphasen begleiten. Eine Geschichte, - nein, mehrere Geschichten – verbunden durch Motive und Themen, die sich immer wieder, ähnlich oder auch in einer Neu-Übersetzung, einer Re-Inszenierung zeigen: Mutterschaft, Schwangerschaftsabbruch, Verlusterfahrungen, Brustkrebs, Körperlichkeit, eine Nazivergangenheit, Kriegsgefangenschaft, Rassismus, Heimatverlust, Identitätssuche. 

Thematisch und sprachlich entspricht „Erbgut“ genau der Literatur, die ich gern lese. Doch aufgrund der Erzählstruktur hat mich die Autorin leider zu oft verloren, denn das Lesen erfordert enorme Konzentration und Aufmerksamkeit. Auch einen familiären Stammbaum hätte ich mir gewünscht. Ich mag Bücher, die es Leser*innen nicht zu einfach machen, die fordern. Aber hier bleibe ich leider mit dem Gefühl zurück, dass die Figuren und ihre Schicksale schon bald verblassen, weil „das Lösen des familiären Puzzles“ während des Lesens aufgrund der eigenwilligen Narration zu sehr im Vordergrund stand. Das ist sehr schade. Nichtsdestotrotz bin ich sehr gespannt, was da seitens der Autorin noch folgt. 

 

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Cover des Buches Erbgut (ISBN: 9783218013291)
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Rezension zu "Erbgut" von Bettina Scheiflinger

Etwas anderer Generationenroman
KataRafvor einem Jahr

»Bei meiner Geburt jage ich meiner Mutter einen Schrecken ein. Niemand muss mich herausholen, ich will von selbst heraus. (...) Ich presse mein Gesicht durch den Geburtskanal. Augen voran komme ich zur Welt. Ich will ihr frontal begegnen, mich ihr entgegen strecken und sofort sehen, was da ist.«

Stark startet »Erbgut«, auch sonst hat
Scheiflinger ein überzeugendes Debüt vorgelegt. Der Sound ist souverän, pointiert, der mitunter knappe, dichte Stil korrespondiert mit dem spannungsgeladenen Schweigen der Figuren.

»Erbgut« führt uns nach Kärnten, nach Wien, in die Schweiz und nach Italien. Es enthält Nazi-Vergangenheit, Kriegsgefangenschaft, Verschleppung, patriarchale Strukturen, Migration, Diskriminierung, Endometriose und Brustkrebs. Innere Härte, Schweigen, Gewalt, ein starker Drang, die Erwartungen anderer zu erfüllen, eine gefangene Sehnsucht zu wandern, nach einem besseren Leben woanders zu suchen und eine schweigsame Liebe tragen sich von Generation zu Generation weiter.

Einige Mosaiksteine verstehen wir und die Ich-Erzählerin tiefer, andere bleiben lose, im Halbklaren, können nicht auserzählt werden.

Es werden fast alle von uns, ob mit Migrationsgeschichte oder ohne, Aspekte von sich wiederfinden in diesem etwas anderen Generationenroman. Erbgut regt uns an, darüber nachzudenken, was die Versatzstücke unserer Familien in uns sind, wie sie in uns wirken, ob es möglich ist, sie zu verändern und wie das geht, Eigenständigkeit.

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