Cover des Buches Die Stimmen über dem Meer (ISBN: 9783827012524)
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Rezension zu Die Stimmen über dem Meer von Bettina Storks

Das bretonische Herz

von Dreamworx vor 9 Jahren

Rezension

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Dreamworxvor 9 Jahren

„In der Bretagne stirbt man nicht, hier schwimmt man hinaus aufs Meer. Man geht nur auf Reisen.“ (S. 111)

Morgane war 10 Jahre alt, als ihre bretonische Mutter Elaine bei einem mysteriösen Badeunfall in der Bretagne tödlich verunglückte. Als nun Morganes Tante Fanny stirbt, vermacht diese der Nichte ihr Klippenhaus im Örtchen Le Conquet im Finistère. Morgane, die als Übersetzerin für französische Belletristik arbeitet und deren Beziehung zu ihrem Lebensgefährten Stefan gerade in einer schwierigen Phase ist, entscheidet sich dafür, in die Bretagne zu reisen, obwohl sie sich einst nach dem Tod der Mutter geschworen hat, niemals mehr zurückzukehren. Die Landschaft, das Meer und ihre Erinnerungen an die Vergangenheit nehmen Morgane bei ihrer Ankunft sofort gefangen und lassen ihr bretonisches Blut wieder aufleben. Deshalb entschließt sie sich, das Erbe ihrer Tante anzunehmen und ihr Leben neu einzurichten. Das Klippenhaus hat eine Renovierung dringend nötig, und Morgane hat nicht nur in dieser Hinsicht zu tun, sondern muss sich auch mit ihrer „Mitbewohnerin“ Paulette auseinandersetzen, die ihre Tante bis zu deren Tod gepflegt und ein lebenslanges Wohnrecht im Haus hat. Außerdem fühlt sich Morgane immer mehr wie angekommen, obwohl ihre Gedanken sich um Schulden, ihre verfahrene Beziehung mit Stefan und auch um den Tod ihrer Mutter drehen. Werden Land und Leute sie überzeugen können, ihr Leben in der Bretagne zu verbringen? Aber vor allem: wie ist ihre Mutter nun wirklich gestorben?

Bettina Storks hat mit „Die Stimmen über dem Meer“ einen wunderschönen und berührenden Roman vorgelegt. Der Schreibstil ist wunderbar gefühlvoll und bildhaft, manchmal ein wenig melancholisch. Er rührt am Herz des Lesers, der sich beim Lesen nach den ersten Zeilen bereits in den Schatten der Hauptprotagonistin begibt und dieser nicht mehr von der Seite weicht. Die Landschaftsbeschreibungen sind ebenso gewaltig wie lebensecht. Die eingestreuten Geschichten und Legenden um die bretonische Küste, die über die Jahre von Generation zu Generation überliefert werden, verleihen der Gegend einen Hauch von Mystik und erinnern an die Kindheit, in der man diesen Geschichten gelauscht und sich an diesen Ort geträumt hat. Die Autorin erzählt alles so authentisch, dass man den Duft der Kräuter, das Salz des Meeres und sogar den Geruch von Calvados in der Nase verspürt, man ein Fernweh empfindet zu einer Gegend, die so rau und unbezähmbar ist und dennoch so liebenswert aufgrund ihrer kauzigen Bewohner mit ihren Eigenheiten.

„Die Menschen ändern sich nicht, sie entfalten sich nur.“ (S. 311)

Die Charaktere sind sehr vielfältig und detailliert skizziert, jeder hat seine Ecken und Kanten, seine Eigenheiten, aber auch eine harte Schale, die innen ganz butterweich ist, man muss nur zu ihr vordringen. Morgane ist ein unsicherer Mensch, seit dem Tod ihrer Mutter trägt sie diesen Riesenverlust in sich und hofft, ihr auf ihrer Reise in die Bretagne wieder etwas näher zu kommen. Aber sie ist auch auf der Suche. Morgane wirkt verloren und unglücklich, als wäre sie in sich selbst eingesperrt und sucht einen Weg, sich selbst zu befreien. Ihre Entwicklung im Verlauf des Romans ist wunderbar zu beobachten, erst in zaghaften Schritten, dann fast schon ein Sprung, den man ihr zu Beginn des Romans nicht zugetraut hätte. Paulette ist eine eher unterkühlte Frau, die sehr zurückgezogen lebt und es Morgane nicht leicht macht, sie zu mögen. Die Wohnsituation der beiden Frauen verlangt ihnen einiges ab, doch bewirkt es bei Morgane auch eine gewisse Ruhe, nicht allein zu sein und von Paulette einiges zu lernen. Annick sprüht vor Lebenslust und ist das genaue Gegenteil von Morgane, wodurch sich die beiden Frauen wunderbar ergänzen. Armel ist ein ruhender Pol, dabei undurchsichtig und voller Geschichten von der Vergangenheit, ein Gesprächspartner, der Morgane herausfordert. Auch die anderen Protagonisten heben sich durch ihr Wesen und ihre Eigenheiten auf besondere Weise hervor. Das Zusammenspiel der verschiedenen Charaktere und ihre Beziehung untereinander machen die Geschichte besonders und so authentisch.

Bettina Storck ist mit „Die Stimmen über dem Meer“ ein ganz besonderer Wurf gelungen. Der Roman vermittelt dem Leser die ganze Bandbreite an Gefühlen. Die Geschichte erzählt von Verlust, Verrat, Trauer, Liebe, Freundschaft, Hoffnung, und Glück, so wie das richtige Leben. Eine absolute Leseempfehlung für alle, die sich in einem wunderbaren Schreibstil mit einer gefühlvollen Geschichte verlieren wollen. Chapeau, besser geht es nicht!

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