Cover des Buches Jenseits des Protokolls (ISBN: 9783868832730)
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Rezension zu Jenseits des Protokolls von Bettina Wulff

Rezension zu "Jenseits des Protokolls" von Bettina Wulff

von halbkreis vor 12 Jahren

Rezension

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halbkreisvor 12 Jahren
Schlicht und ergreifend ein völlig belangloses, überflüssiges Buch. "Warum" war die Frage, die mir beim Lesen ständig im Kopf herumgeisterte - "Warum gibt es dieses Buch?" Ich will hier überhaupt keine grundsätzliche Debatte um "die ganze Wulff"-Sache anfangen. Ich bin jeglicher Form vom stammtischhafter Sozialneiddebatte total überdrüssig, deswegen ist es mir auch total egal, wieviel die Wulffs denn nun genau verdient haben, künftig verdienen sollen, und ob das irgendwie gerecht/ungerecht oder sonstwas ist. Darum geht es nicht. Es geht hier um ein Buch, dessen Aussage... das keine Aussage hat. Warum? Frau Wulff will sich rechtfertigen. Oder nicht? Ganz sicher will sie sich nicht entschuldigen, denn Fehler haben sie oder ihr Mann ja nicht gemacht. Und wenn doch, dann waren es halt irgendwie widrigen Umstände, die sie in diese Notlage gezwungen haben. Einsicht? Fehlanzeige. Warum auch? Schuld sind sowieso die anderen. Immer und überall. Frau Wulff wirft zwar nicht mit Dreck, überhaupt ist der Schreibstil an sich nicht so unangenehm wie erwartet. Einfach, aber nicht unterirdisch (bis auf die seltsam anmutenden drei Punkte am Ende eines jeden Kapitels). Bisschen geschrieben wie ein Jugendbuch. Jedenfalls hat Frau Wulff es einfach immer schwer gehabt. Das wird immer, immer, immer wieder betont. Alle waren gemein. Sicher haben Sie und ihr Mann einiges durchgestanden, Momente, die man selbst nicht erleben will. Aber diese ständige Wiederholung von fast schon jammervollen Klageliedern über sehr, sehr viele Nichtigkeiten ist einfach anstrengend und hat sehr, sehr hohes Fremdschämpotenzial. Dieses Selbstmitleid weil... ja, weil was? Frau Wulff hatte es einfach nur schwer, musste von Termin zu Termin hetzen, hier PR-Termin mit Michelle Obama, dort Wein, Käse und Cracker mit der Kanzlerin, ach ne, Angela halt. Das Leben ist hart. Nun denn. Man kann es nicht verstehen oder nachvollziehen, und Frau Wulff schafft es auch nicht, das Ganze nachvollziehbar zu beschreiben. Mein größtes Problem mit dem Buch: Frau Wulff zeichnet ein absolut unsympathisches Bild von sich selbst. Warum? Mehrere Beispiele. Seien es diverse Angestellte (Kindermädchen, Assistentin im Bundespräsidialamt), denen sie kurz nach Amtsantritt kündigt, weil es nicht passt - kann das wirklich immer an den Angestellten liegen oder an dem (in einem sehr seltenen Moment der scheinbar ehrlichen Selbstreflexion) leicht herrischen Ton, den sie selbst oft zu Hause an den Tag legt? Nächstes Beispiel: Die Art, wie sich selbst beschreibt, z.B. als Freundin. Sie weiß wohl, es klingt etwas komisch, so über sich zu reden - sie tut es aber trotzdem (Warum?) - sie findet, sie ist eine echt tolle Freundin. Das Ganze natürlich mehrfach erwähnen. Aha. Glückwunsch. Fremdschäm. Oder ihr Verhältnis zu ihrem Mann - hier stößt mein Verständnis an seine Grenzen. Warum? Sie erzählt viel davon, wie sie als Team aufgetreten sind. Wie sie als Team funktionieren. Doch als die Vorwürfe gegen Christian Wulff immer lauter werden, fällt ihr plötzlich ein, dass sie viel lieber als separate Persönlichkeit wahrgenommen werden will. Das sei auch der Grund, warum sie bei seiner Rücktrittserklärung absichtlich auf Distanz zu ihm gegangen ist. Warum? Weil sie in diesem Moment der Welt zeigen wollte, dass sie ein selbstständiges Individuum ist. W.T.F.??? Sorry, aber wäre das nicht gerade DER Moment, in dem ich meinen Partner den Rücken stärke? Für mich klingt das alles eher nach einem langsam vorbereiteten Abgang. Und damit meine ich nicht den Abgang von der politischen Bühne. Ziemlich unverständlich, unlogisch und unsympathisch. Hinzu kommt, dass ich Frau Wulff vieles schlicht und ergreifend nicht abnehme. Sie kann nicht so naiv sein, wie sie tut. Warum? Sie ist kein Landmädel, das bis fünf Minuten, bevor sie Herrn Wulff begegnet ist, in einem geschlossenen Raum fernab jedweder medialen Realität aufgewachsen ist. Nein. Diese Frau ist studierte Medienwissenschaftlerin. Sie war Pressesprecherin eines weltweit operierenden Unternehmens. Sie hat ihr Leben in Hannover und Umgebung verbracht, weiß also, wie der Hase läuft, weshalb ich ihr Naivität in Hinsicht auf gewisse mediale Resonanzen vor Ort nicht abnehmen kann. Denn der niedersächsische Ministerpräsident ist nun mal in Niedersachsen, speziell in der Landeshauptstadt, der wichtigste Mann. Und wenn dieser - besonders medienaffine (BundesvisionSongcontest etc.) - MP mit Schiegermutterimage nur wenige Tage nach der offiziellen Trennung von seiner Ehefrau mit seiner Neuen in die Öffentlichkeit geht - beim Public Viewing WM 2006, no less (!!!) - dann wundert sich Frau Wulff, damals Körner, Fachfrau in Sachen Medien und PR, dass die Journalisten in Hannover ihr nachstellen? Oh please. Never. Sorry. Kann ich nicht nachvollziehen, diese "Naivität". Und das ist der Punkt, an dem das Buch angefangen hat, von einer Belanglosigkeit zu einem Ärgernis zu werden. Genauso, wie es mich jetzt gerade ärgert, dass ich überhaupt so viel zu diesem belanglosen, überflüssigen Blablabla schreibe. Ich meine: Ein ganzes Kapitel über ein halbfertiges Tattoo. Noch Fragen? Außer "Warum???" P.S.: Okay, bisschen Erbsenzählerei, aber das Zitat "Ich kann gar nicht soviel fressen, wie ich kotzen möchte" entspringt übrigens nicht dem "Volksmund", sondern wird dem Künstler Max Liebermann zugeschrieben, der es anlässlich der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 gesagt hat. Kann man vielleicht wissen als Ex-First Lady - Deutsche Geschichte 101 ;)
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