Rezension zu "Mit Vergnügen" von Birgit Faschinger-Reitsam
"Waren es nicht ohnehin immer die gleichen Themen, die Frauen bewegen? Gesundheit, Selbstzweifel, Beziehungsfragen, Geld und Beruf und über allen die Sinnfrage: Wer bin ich eigentlich?", schreibt Birgit Faschinger-Reitsam in ihrem Buch "Mit Vergnügen".
In einem Informationsblatt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit dem Titel "Zellen außer Kontrolle" habe ich gelesen, dass Wissenschaftler davon ausgehen, dass es bis zu 20.000 Mutationen täglich auf unserer DNA gibt. Auch wenn ein großer Teil davon wieder rückgängig gemacht wird, zeigt das nicht nur, was Evolution ist, sondern weist auch auf die Individualität jedes einzelnen Menschen hin.
Trotz meiner 60 Jahre bin ich kerngesund, erfreue mich an meinem Selbstbewusstsein, komme gut ohne Beziehungsfragen aus, habe keine Geldsorgen und liebe die Kreativität meines Berufes. Auf die Frage, wer ich bin, habe ich eine klare Antwort: Seele.
Als Seele vereine ich beide Geschlechter, vereine die Welt in mir.
Ein Knoten in der Brust, eine Kündigung und der Betrug ihres Mannes verhelfen Nina, der Protagonistin, zu einem neuen Körpergefühl, das mit einer Abkehr von der Kausalität verbunden ist und ein Zielbewusstsein eröffnet.
Zehn Minuten gibt ihr ihre Freundin Beate am Anfang des Buches, um wie der biblische Hiob zu jammern. Aus der Frage, warum das Leid, wird, "was willst du stattdessen?", oder, "was macht mich glücklich?"
Nina möchte sich nicht mehr anpassen, um Liebe zu erfahren, sondern Selbstliebe lernen. Neben Beate ist ihr die Weltenbummlerin und Boutiqueinhaberin Elvira eine Helferin auf ihrem neuen Weg.
Elvira schmiss in ihrer Jugend ihr Jurastudium, wurde Tänzerin, Stripperin und verbrachte einige Zeit in einem asiatischen Kloster.
"Scham macht uns zu Opfern", belehrt Elvira ihre neue Bekanntschaft. Sie fährt fort: "Wenn wir uns von der Scham regieren lassen, geben wir die Macht über unser Leben ab ... Ich habe einen Göttinnenkörper gewonnen."
"Achtest du auf deine Figur?", fragt Nina Elvira. Diese antwortet: "Das hier sind meine 'Maniglie dàmore' - unentbehrlich beim Liebemachen." Wenn mich jemand fragen würde, wäre meine Antwort: "Ja, ich achte darauf, nicht noch dünner zu werden." So viel zur Individualität.
Häufig streicheln sich die Frauen im Buch über den Busen, um ihr weibliches Körpergefühl zum Ausdruck zu bringen. Wieder einmal dachte ich in diesem Zusammenhang, dass der BH wohl eine Erfindung des Mannes sein muss und dass ich im Fall, dass ich mich an einem heißen Sommertag mit freiem Oberkörper in der Öffentlichkeit zeigen würde, als Exhibitionistin angezeigt werden würde.
Ich stimme der Autorin zu, unseren weiblichen Körper nehmen wir meist viel zu wenig an, sondern lassen uns von gesellschaftlichen Schönheitsidealen manipulieren. Zu dick, schiefe Zähne, einen Hallux valgus, Hängebrüste, Cellulite, graue Haare; diese Liste könnte ich endlos weiterführen.
Noch weniger aber nehmen wir die männlichen Anteile in uns wahr, sondern projizieren unseren Animus in die Außenwelt.
Faschinger-Reitsams Frauen tanzen alle mögliche Tänze: Swing, Hula, Butho, Bauchtanz, aber keine erlernt einen Kampfsport. Der Schutz der Frau wird der männlichen Präsenz überlassen. Elvira und Nina trinken Tee, während die Feuerwehrmänner das Wasser aus dem überschwämmten Laden pumpen. Der freundliche Hausmeister entsorgt das feuchte Mobiliar aus dem Geschäft.
Ein zweiter Teil des Buches mit dem Titel "Mit Vergnügen männlich" würde mir gut gefallen.
Obwohl mir Vergnügen nicht genügen würde, nur mit Liebe hätte ich Frieden und Glückseligkeit.
Mit der Integration unseres Animus hätte auch Gertrud keinen Zutritt mehr zu unserer Wohnung, sondern wäre ihren Schranken verwiesen. Gertrud ist die Personifikation der Ohnmacht in Faschinger-Reitsams Buch.
Sowohl als Innenarchitektin als auch als Immobilienmaklerin beachtet Nina die Regeln von Feng Shui, heißt es im Buch. Dabei aber wird die Autorin nie konkret. Zum Baden zündet
sich Nina Kerzen an, obwohl sich Feuer und Wasser gar nicht miteinander vertragen.
Auch fiel mir auf, dass sich keine der Frauen mit einem Werkstoff verbindet. Elvira näht die Kleider, die sie verkauft, nicht selbst. Auch auf die Idee, eines, der durch das Wasser beschädigten Möbelstücke zu restaurieren, kommt sie nicht, sondern wirft weg, wie das in unserer Wegwerfgesellschaft üblich ist. Beate schleift ihr Jadeei nicht selbst und Nina erwirbt die Stoffe für ihre erste Kundin in Tunis, statt sie selbst zu weben.
Das Shampoo aus dem Discounter entsorgt Nina und benutzt nun jenes, welches sie von einer Freundin zum Geburtstag geschenkt bekommen hat. Eine meiner Freundinnen wäscht sich die Haare mit Roggenmehl. Das enthält sicher keine Silikone.
Obst und Gemüse wird unachtsam im Mixer zu Smoothies zermatscht. Selbstliebe geht nur über Nächstenliebe, meine ich. Die Lehre der Kabbala besagt: "Der höchste Stein der Mauer fällt am weitesten weg von der Mauer." Demut hilft, um von seinem hohen Ross herunterzukommen. Auch Arbeit. "Liebe ist die tätige Sorge für das Leben und das Wachstum dessen, was wir lieben", schrieb Erich Fromm in seinem Buch "Die Kunst des Liebens".
Sabine Paul dagegen hat sich hervorragend mit Tinte und Papier verbunden. "Wohltuend empfand ich auch die sinnlich-verspielten Illustrationen. Sabine Paul schaffte es mit einem Pinselstrich, dass mir warm ums Herz wurde", schreibt Anandi Iris Mittnacht im Nachwort. Ihre Libellen am Ende des Buches gefielen mir besonders. Die filigranen Wesen helfen bei der Selbstverwirklichung, fördern die Innenschau und stärken beim Wandlungsprozess.
Einiges wusste ich schon über Birgit Faschinger-Reitsam. Nicht aber, dass sie sich für das Schmieden und Holzbildhauerei interessiert. Hier wäre der Ansatz für die Integration des Animus.
Ich danke Birgit Faschinger-Reitsam und Sabine Paul herzlich für ihre Denkanregungen.
Vera Seidl