Wer stellt hier eigentlich wem eine Falle?
Auf der ersten Ebene stellt natürlich die Protagonistin dem Mann eine Falle, den sie ganz eindeutig als den Mörder ihrer Schwester identifiziert haben will. Warum sie hier ohne polizeiliche Hilfe vorgeht, versucht die Autorin dadurch zu begründen, dass Conrads bereits im Ermittlungserfahren vor zwölf Jahren, als ihre Schwester starb, schlechte Erfahrungen gemacht hat. Die Polizei wollte ihr damals nicht glauben, also will sie jetzt alles allein regeln – ich finde das etwas überzogen/unlogisch, aber konnte mich damit arrangieren, es auf den komischen Charakter der Protagonistin zu schieben.
Eine zweite Falle gibt es in der Binnengeschichte, denn Linda Conrads schreibt ein Buch über den Mord an ihrer Schwester, mit dem sie den von ihr verdächtigten Journalisten zu sich locken möchte. Auch in diesem Buch selbst wird dem Mörder eine Falle gestellt. Hier kann man sich natürlich fragen, warum der Protagonistin überhaupt daran gelegen ist, den Mörder durch das Buch schon darauf hinzuweisen, dass auch sie ihm eine Falle stellen wird. Klar macht es das Erzählte spannender, wenn "der Böse" schon weiß, dass ihm "der Gute" auf den Fersen ist, aber unbedingt logisch erscheint mir auch das nicht.
Zunehmend stellte ich mir die Frage, ob gerade mir als Leser/Hörer des Buches eigentlich auch eine Falle gestellt wird, denn mit Linda Conrads hat Autorin Melanie Raabe eine interessante Protagonistin geschaffen, bei der man sich fragen kann, ob es sich bei ihr um eine zuverlässige Erzählerin handelt. Allzu überzeugt wirkt die leicht verschrobene Linda von ihrer Version der Geschichte und irgendwann wird deutlich, dass die Abgeschiedenheit, in der sie lebt, nicht ganz spurlos an ihr vorbeigegangen sein kann...
Wie wird das Ganze erzählt?
Die Grundkonstruktion in eine Rahmen- und eine Binnenhandlung fand ich grundsätzlich ganz interessant und solide umgesetzt. Manchmal ist allerdings nicht ganz ersichtlich, warum wann welche Einblicke in das Buch-im-Buch gegeben werden. Mich hat das nicht gestört, ich fand es sogar eher spannend, mir selbst die Frage zu stellen, was der jeweilige Einblick ins Buch mir gerade überhaupt sagen soll, wie viel „Wirklichkeit‟ das Buch denn jetzt abspiegelt und ob wir dadurch neue Einblicke in das „echte‟ Geschehen bekommen. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Grundstory manchem Krimileser durch diese „doppelte‟ Erzählung etwas langatmig vorkommt.
Dass die Protagonistin irgendwie immer verrückter zu werden scheint und sich immer mehr in die Geschichte hereinsteigert, ist aufgrund ihrer Lebenssituation zwar verständlich, ich empfand es allerdings auch als etwas anstrengend. In einem entscheidenden Moment handelt sie meiner Meinung nach auch nicht ganz ihrer Charakterisierung entsprechend – mir fehlte, dass sie sich eine bestimmte Frage stellte, die mir sofort kam. Sie hätte hier etwas wissen müssen, aber für die Weiterentwicklung des Plots war wichtig, dass sie es nicht wusste.
Zudem muss ich sagen, dass zwar das ganze Buch über eine solide Grundspannung gehalten wird, mir aber eine Schlüsselszene ein wenig zu sehr in die Länge gezogen wurde. In dieser Szene wird die Zeit überhaupt nicht gerafft, wir sind als Leser sehr nah am Geschehen, verfolgen Dialoge detailliert und sind einer bestimmten Situation verhältnismäßig lange ausgesetzt.
Wie war das Hörbuch?
Was die Lesung als Hörbuch betrifft, so war ich anfangs ganz angetan. Dass die beiden Erzählstränge – die Rahmenhandlung mit Linda Conrads und die Binnenhandlung, die das von ihr geschriebene Buch umfasst – von zwei Personen gelesen werden, empfinde ich als sehr gelungen, so gerät man mit den Ebenen nie durcheinander.
Devid Striesow, der die Binnenhandlung liest, macht seine Sache hervorragend. Anfangs gefiel mir auch die Lesung von Birgit Minichmayr, sie verleiht der zurückgezogenen, leicht verschrobenen Autorin Linda Conrads eine sehr passende, von allem etwas ernüchtert klingende Stimme. Allerdings fiel mir zunehmend auf, dass sie bei manchen Sätzen die Betonung einfach nicht passend zum Inhalt setzte. (Damit meine ich etwas in der Art von „Ich habe das Buch nicht GELESEN‟ statt „ICH habe das Buch nicht gelesen‟ = Betonung der Handlung statt der Person.)
Dennoch kann ich die Vertonung insgesamt empfehlen, das Buch eignet sich trotz seiner zwei Ebenen hervorragend zum Hören, da man als Leser sehr gut durch das gesamte Geschehen geführt wird, und die Lesung wirkt überwiegend sehr engagiert und zur Stimmung des Inhalts passend.
Fazit:
Insgesamt ein Krimi, der den Fokus auf das Innere der Figuren legt, mit den Erwartungen des Lesers spielt und – sieht man über kleinere Logikfragen hinweg – solide, unblutige, wenn auch teils etwas ausschweifend erzählte Unterhaltung bietet. Als Hörbuch trotz kleinerer Betonungsauffälligkeiten empfehlenswert, da Rahmen- und Binnenhandlung von zwei verschiedenen Lesern vorgetragen werden, und man so gut folgen kann.