Cover des Buches Erinnerungen an meinen Porsche (ISBN: 9783423140621)
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Rezension zu Erinnerungen an meinen Porsche von Bodo Kirchhoff

Rezension zu "Erinnerungen an meinen Porsche" von Bodo Kirchhoff

von WinfriedStanzick vor 12 Jahren

Rezension

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WinfriedStanzickvor 12 Jahren
Man könnte es die männliche Antwort auf Charlotte Roches "Feuchtgebiete" nennen, das neue Buch des bekannten Frankfurter Schriftstellers Bodo Kirchhoff, das nun nach der HC-Ausgabe bei Hoffmann und Campe als Taschenbuch bei DTV erscheint. Und dennoch ist "Erinnerungen an meinen Porsche" sehr viel mehr als das flache Buch von Charlotte Roche. In der Tradition seines vor sieben Jahren veröffentlichten "Schundroman" setzt sich Bodo Kirchhoff auf seine Weise mit der Finanzkrise auseinander, die er luzide auch als eine Krise einer bestimmten Form der Männlichkeit begreift. Die anonyme Bankerin Anne T. hat gerade in ihrem Buch "Die Gier war grenzenlos" berichtet, dass die hauptsächlich männlichen Broker von nichts anderem geredet haben als von Geld und Sex. Ähnlich war das wohl auch bei dem Protagonisten des vorliegenden Romans, schnell geschrieben in wenigen Monaten in Kirchhoffs Domizil am Gardasee. Er heißt Daniel Deserno, ist 1970 geboren und hat mit seinen Spekulationen Millionen gescheffelt. Ja, er behauptet nichts weniger, als dass er mit seinen Manipulationen von seinem Rechner aus den Benzinpreis an den Tankstellen beeinflusst hat. Seine Freundin Selma arbeitet in der selben Bank wie er, sie leitet dort eine Kulturstiftung und träumt heimlich von einem Kind von Daniel. Als sie ihm unter dem Weihnachtsbaum 2007 ein Ultraschallbild eines Fötus zeigt ( es ist das einer schwangeren Schwester) sagt Daniel nur: "O nein, Selma." Die ist durch diese Bemerkung schwer getroffen, zeigt es aber zunächst nicht. Während eines für Normalsterbliche sehr außergewöhnlichen Sexspiels ( Selma führt die Spitze des Korkenziehers, den sie Daniel geschenkt hat, in die Öffnung seiner Eichel ein) eskaliert ein Streitgespräch über seine flapsige Bemerkung und sie fügt ihm mit dem Korkenzieher an seinem Penis erhebliche Verletzungen zu. Sein "Porsche", wie die männlichen Banker ihr Gerät zu nennen pflegen, ist zerstört. Er findet sich nach einer Notversorgung im Krankenhaus einige Zeit später in einer teuren (1500 EUR pro Tag) Kurklinik im badischen Schwarzwald wieder. Dort beginnt er nach einiger Zeit im Rollstuhl sitzend ( er kann seit der Attacke Selmas nicht mehr gehen) mit den Aufzeichnungen der Erinnerungen an seinen Porsche, der sich übel zugerichtet und vollkommen tot sich in seinen Schamhaaren versteckt. Er begegnet in dieser edlen Kurklinik nicht nur verschiedenen skurrilen Personen des medizinischen Personals und der Pflegekräfte, sondern auch etlichen berühmten Menschen, die, aus irgendeinem Grund krank geworden, sich in diese Klinik begeben haben. Da ist vor allem Helene, eine Art Wiedergängerin Charlotte Roches, die mit einem anusfixierten, hoch sexuell aufgeladenen Roman über ihre Hämorrhoiden einen sensationellen Auflagenerfolg feierte, mit dem sie seelisch nicht fertig geworden ist. Da gibt es Anspielungen auf einen Manager, der aus seinem Vorgarten heraus verhaftet wurde ( Zumwinkel) und eine Literaturkritikerin, der man ihre Sendung weggenommen hat (Elke Heidenreich). Noch viele andere versuchen in dieser Klinik wieder auf die Beine zu kommen. Daniel Deserno erzählt von seinen Erfolgen, als sein Porsche noch intakt war, und wir erfahren, ähnlich wie bei Anne T. so einiges über das verkorkste Seelenleben der Broker der Jahre 2006 ff. Es ist aber auch ein Roman über einen Sohn, der sich nicht wirklich von seiner dominanten altlinken Mutter lösen kann. Als ein berühmter Schriftsteller zusammen mit seinem Hauskritiker zu einer exklusiven Lesung seines Roman über Goethes Liebesbeziehung zu einer jungen Frau in die Klinik kommt ( eine Anspielung auf Martin Walser), sagt sich nicht nur Daniels Mutter, sondern auch Selma an. Auf eine hier nicht zu verratende Weise kommt das für schrottreif gehalten Wrack seines Porsches wieder auf Touren. Das Buch ist amüsant zu lesen, die Sprache sexuell hoch aufgeladen. Ob man von diesem Buch in einigen Jahren noch sprechen wird, wie von so vielen anderen Büchern Kirchhoffs ( zuletzt das auch von mir hoch gelobte "Eros und Asche") wage ich indes zu bezweifeln.
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