Rezension zu "Das fahle Pferd" von Boris Sawinkow
Das Innere eines Terroristen
Erschreckend, intensiv, kalt, das ist das Innere des ehemaligen russischen Topterroristen Boris Sawinkow, der in diesem autobiographischen Roman tatsächlich einen tiefen Blick in seine Persönlichkeit offen legt.
In der Form kurzer Tagebucheintragungen legt er den Weg seines Alter Egos im Buch, des Terroristen Georg, der zur Zarenzeit beginnt, eine wichtige Rolle im Terror gegen die Regierung des Zaren zu spielen, vor die Augen des Lesers.
Wobei die eigentlichen terroristischen Aktivitäten (die Ermordung von Mitgliedern der Regierung, welche das System je empfindlich traf) eher am Rande miterzählt werden. Den Mittelpunkt des Romans bildet durchweg diese merkwürdige, gefühllose, weniger im Blutrausch sich befindliche, eher ganz sachliche Haltung des Mannes. Terrorismus als Beruf, professionell, überzeugt, nüchtern. Seite für Seite.
Einer, der sich nicht innerlich entzünden kann, der mehr oder minder vom Fortgang der Dinge und den nicht überspringenden Funken des Terrors auf die Bevölkerung angeödet ist. Aber eben auch seiner „Tätigkeit“ beraubt wird. Einer, der Revolution, bewaffneten Kampf als Dauerzustand benötigt, ebenso, wie es der Autor des Buches zu Lebzeiten hielt. Bis hin zu einem fast verzweifelten Suchen nach irgendeiner terroristischen Betätigung.
„Ich habe verstanden. Ich will nicht mehr leben. Es ödet mich an: Worte, Gedanken, Menschen öden mich an, ihr Leben. Zwischen uns liegt eine Schwelle….Meine Schwelle, das rote Schwert“.
Ein entschlossener, zynischer, professioneller, klarer „Tatmensch“, das war das Bild Swanikows von sich selbst, so stellt der George im Buch dar und so legt er eine Wurzel einer „inneren Haltung“ des Terrorismus, der im Nachhinein um seiner selbst willen weitergeführt wird, weiter geführt werden muss und, nicht zuletzt, wie eine Blaupause und eine persönliche Prägung auch für nachfolgende Terroristen (RAF, Rote Brigaden etc.) eine tiefe Beeinflussung entfaltet hat.
„Der Terror hat versagt. Aber die Revolutionäre waren andere geworden. Ohr Kampf war zu einem Kampf um seiner selbst willen geworden….. Sie töteten, um nicht selbst getötet zu werden“.
So ist dieser George, so war dieser Swanikow: An der Revolution interessierte ihn nur, dass sie ihm gab, wonach ihm der Sinn stand. Ihn interessierte nichts als die Tat“.
So bietet dieser Roman einen realen, intensiven, ungefilterten Blick in das Wesen des „Berufs-Terroristen“, denn Swanikow schreibt nicht mit Reue oder aus später Einsicht heraus, sondern tatsächlich um das darzustellen, was ist und wie er ist.
„Das Töten muss zur Routine werden“.
Soweit, dass selbst politische Veränderungen, die Entfaltung einer neuen Strategie durch den „Kopf“ des damaligen Terrorismus, das „Komitee“ von George einfach beiseite gewischt werden.
„Was sie auch beschließen: Der Generalgouverneur wird getötet werden“.
Ein Stück Zeitgeschichte vor, während und nach der Oktoberrevolution, ein sezierender Blick in eine kühle Seele und ein ernüchterndes Bild vom „Sein“ des überzeugten Terroristen, der keine Grundlage für Gespräche oder Veränderungen in sich trägt, sondern nur den Fortgang seiner „Geschäfte“ im Sinn hat.
Mit weiterführenden Erläuterungen im Anhang, die einerseits auf den Swanikow als „Prototyp“ des Terrorismus verweisen und andererseits das Innere, die Prägung, differenziert darstellen,
Sowohl als Roman wie auch in den weiterführenden Betrachtungen eine gewinnbringende Lektüre.