Rezension zu "Alles Liebe, deine Lise" von Brigitte van Aken
Als ich im letzten Jahr auf der Frankfurter Buchmesse „Alles Liebe, deine Lise“ am Stand des Mixtvision Verlags entdeckte, war ich sofort neugierig. Zwei heikle Themen, Teenager-Schwangerschaft und Abtreibung, eingebunden in einen Briefroman – ein ungewöhnliches Format. Jetzt hatte ich endlich die Gelegenheit, das Buch zu lesen und was soll ich sagen? Dieses Buch ist wieder einmal der Beweis, dass auch in den Katalogen der kleinen Verlage wahre Perlen schlummern.
Zum Inhalt: Lise lernt den Nachbarsjungen Nishan kennen als sie acht und er zehn ist. Jeden Mittwoch, wenn sie bei ihrer Oma ist, spielen sie zusammen. Je älter sie werden, desto näher kommen sie sich. Nishan wird Lises große Liebe. Als Lise mit 15 schwanger wird, ändert sich alles. Sie lässt das Kind abtreiben und kommt auf ein Internat. Von dort aus beginnt sie, sich mit ihrer Oma via Email auszutauschen. In der Vertrautheit des Schreibens öffnet sich auch die Oma und erzählt Lise von ihrer ersten Liebe und dem Verlust, den sie erlitten hat.
Als ich damals den Klappentext las, fragte ich mich sofort, wie nähert man sich wohl einem solchen Thema. Welchen Weg muss ein Autor beschreiten, um Jugendliche und auch ihre Eltern zu erreichen? Der erhobene Zeigefinger sowie übertriebene Moralvorträge sollten sich wohl verbieten, ebenso das Dramatisieren.
Brigitte van Aken verzichtet tatsächlich auf all das. Zum Glück! Stattdessen lässt sie die Protagonistin Lise das Geschehene im geschriebenen Dialog mit ihrer Oma aufarbeiten. Lässt sie reflektieren darüber, was passiert ist, wie es dazu kommen konnte und welche Konsequenzen all das nach sich zog und zieht. Da ist die Belastung für ihre junge Liebe, das nicht immer leichte Verhältnis zu ihrer Mutter, die Entscheidung, sich auf einer neuen Schule verstärkt auf den eigenen Weg jenseits ihrer Gefühle und der Geschehnisse zu konzentrieren. Dies alles erzählt die Autorin mit viel Einfühlungsvermögen, lässt Raum für die widerstreitenden Gefühle von Bedauern, Verlust, Wut, aber auch Erleichterung. Die Figur der Oma dient dabei als Spiegel. Ebenso wie ihre Enkelin wechselt sie den Wohnort, muss sich in einem neuen Umfeld zurecht finden. Beide lassen gute Freunde und ein Haus voller Erinnerungen zurück. Stattdessen lernen sie neue Menschen kennen, die es ihnen nicht immer leicht machen. Darüber tauschen sie sich in ihren Emails ebenso aus, wie über Geschehenes. Durch all die Veränderungen und die Dinge, die ihrer Enkelin widerfahren, beginnt die Oma zurück zu blicken, auf die Zeit als sie selbst ein Teenager war, in den fünfziger Jahren in einem Kloster lebte und sich in den Bäckersjungen verliebte – ihre erste große Liebe. Sie beginnt sich ihrer Enkelin gegenüber zu öffnen und erzählt eine Geschichte, die außer den Beteiligten niemand je zu hören bekam. Und so verarbeiten zwei Frauen unterschiedlicher Generation gemeinsam, was das Schicksal für sie bereit hielt und hält.
Brigitte van Aken durchbricht den Briefwechsel der beiden Hauptprotagonisten durch eingeschobene Telefonate von Lise mit ihrer Mutter, die als unkommentierte Dialoge dargestellt werden und SMS-Wechsel zwischen Lise und Nishan. Aus all diesen Ebenen lässt sie das authentische Bild eines jungen Mädchens entstehen, das im Begriff ist, erwachsen zu werden. Das lernt, mit Verlust umzugehen, begreift, dass seine Handlungen Konsequenzen haben, und das beginnt nach vorn zu schauen und sich auf den eigenen Weg zu machen. All das wird mit viel Einfühlungsvermögen, aber auch spannend und unterhaltsam erzählt. Mich persönlich hat das gute sprachliche Niveau gefreut, das in Jugendbüchern nicht immer selbstverständlich ist. Öfters blieb ich an Formulierungen hängen, die wie kleine poetische Schlenker den Lesefluss aufbrechen und mich lächeln ließen.
„Alles Liebe, deine Lise“ ist kluges, sensibles und wichtiges Buch. Brigitte van Aken ist es gelungen, den Themen Teenager-Schwangerschaft und Abtreibung ausgewogen und differenziert zu begegnen. Dies tut sie mit angemessener Leichtigkeit und mit viel Herz für ihre Figuren. Sie vermeidet dabei jede Art von Schuldzuweisung oder moralischem Überbau. Stattdessen spürt sie den tatsächlichen und emotionalen Konsequenzen einer solchen Entscheidung nach. Ich könnte mir vorstellen, dass das Buch eine Brücke für manch eine Mutter zu ihrer Tochter sein kann, um zwei alles andere als einfache Fragen anzuschneiden und einen Dialog entstehen zu lassen, der über die „technischen“ Details hinausgeht.