Rezension zu "Con Brio" von Astrid Philippsen
Platonische Liebe
“Als Kind und später als junger Mann habe ich jedes Mal, wenn ich in einer kritischen Situation war, versucht, mich selbst zu verhexen. Mich aus der Situation zu befreien, aus meinem Körper herauszutreten und mich aus der Ferne zu sehen, als wäre ich gar nicht ich. (...) Doch je mehr ich unter meinen alten Zaubersprüchen kramte, die mich aus so manchen Schwierigkeiten gerettet hatten, desto klarer sah ich nur mich selber vor mir (...), bestürzt und niedergeschmettert.“
Der Schriftsteller R. A. Tibor ist sechzig und längst fester Bestandteil der Pariser Szene. Sein Leben folgt gewohnten Bahnen. Der Bourgeoise diktiert seine Texte einer Schreibkraft, die Wohnung putzt eine Haushälterin, er verkehrt in feinster Gesellschaft und blickt auf eine lange Reihe von Liebschaften und gescheiterten Ehen zurück. Als er bei einer Party seines Verlegers jedoch auf ein junges Mädchen trifft - sie ist 27 und nennt sich Grusenjka - geht alles sehr schnell. Tibor macht der Unbekannten einen Heiratsantrag. Sie willigt ein. Bald darauf verschwindet die Schreibkraft und die Haushälterin kündigt. Doch körperliche Nähe zu seiner Ehefrau, so sehr er sich darum bemüht, bleibt ihm verwehrt.
Beeindruckend an Brina Svits Roman ist nicht der Plot, es ist ihre Sprache. Reich an Bildern, wunderbar harmonisch, feinfühlig und zart erzählt sie die Geschichte des alternden Schreibers, der zwar erkennt wie sehr seine Obsession um ihn herum zu Veränderungen führt, doch den Blick zu spät auf sich selbst richtet.
Sein Drang die unsichtbare Mauer, welche Grusejnka umgibt wie ein ständiger Schatten, zu durchbrechen, sie letztendlich wirklich zu erobern, wird zur verhängnisvollen Manie. Sie schläft nicht in seinem Bett, schreckt vor seinen Berührungen zurück, und geht ohne ihn nächtelang aus. Seine eifersüchtigen Ahnungen bestätigen sich eines Tages, als er einen fremden Mann in ihrem Bett entdeckt. In seiner Verzweiflung unternimmt er alles um ihr Herz zu gewinnen. Bis ihn eine Herzattacke ins Krankenbett wirft, und dort verlässt sie ihn schließlich. Lässt ihn los, befreit ihn von seiner Obsession.
Tibors Lolita-Komplex, seine obsessive Liebe zur fremden und immer fremder werdenden 27-jährigen Grusenjka bringen ihn an den Rand der Raserei. Was Brina Svit hier gelingt ist eine akribische Studie einer Liebe, die ihre Grenzen hat. Die Machtlosigkeit, die Barrieren zu überwinden, die einer für den anderen errichtet hat, werden mit jedem Kapitel offensichtlicher. Tibor beginnt einem leid zu tun. Seine eigene Ehefrau ist ihm die unerreichbarste Frau von allen.
Die Slowenin Brina Svit lebt seit 20 Jahren in Paris