Rezension zu "Die verschwindende Hälfte" von Brit Bennett
"Die verschwindende Hälfte" ist zunächst einmal Kennzeichen des winzigen Ortes Mallard im Süden der USA. Denn dort wohnen nur Schwarze, die durch "Kreuzung" mit Weißen inzwischen ebenfalls fast weiß sind. Nach außen hin schwindet ihre schwarze Hälfte immer mehr, worauf man stolz ist.
In diesem Ort wachsen Zwillingsmädchen auf, Stella und Desiree, die als kleine Kinder mit ansehen mussten, wie ihr Vater Opfer eines Lynchmordes wurde. Als Teenager hauen sie eines Tages ab und ihr Heimatort wird für sie zur "verschwindenden Hälfte".
Nach einiger Zeit trennen sich jedoch auch die Wege der beiden jungen Frauen, denn Stella hat die Gelegenheit, sich als Weiße auszugeben, um einen besser bezahlten Job zu bekommen. Um dieses neue Leben konsequent durchziehen zu können, muss sie Desiree zurücklassen. Aus jedem Zwilling schwindet dadurch eine Hälfte.
Der Roman erzählt vom Leben der beiden Frauen sowie vom Leben ihrer beiden Töchter, die ebenfalls spüren, dass da etwas fehlt. Alle Figuren experimentieren mit Rollenbildern und Identität, schlüpfen gerne in neue Rollen oder würden das zumindest gerne tun. Dies spielt sich nicht nur auf der Ebene von Hautfarbe und Familie ab, sondern auch auf der der Schauspielerei und der Geschlechtszugehörigkeit. Diese Erweiterung macht den Roman für mich noch stärker.
Erschreckend fand ich - wie immer, wenn ich darüber lese - den Umgang mit Schwarzen in den USA. Noch erschreckender war für mich, wie wichtig auch Schwarzen Farbnuancen sind: Die Hellhäutigeren erheben sich gerne über die Dunkelhäutigeren.
Den Schlussteil des Romans fand ich etwas enttäuschend. Anfangs ist er so gut strukturiert und konstruiert, dass man das Gefühl hat, er steuert auf ein großes Finale zu. Dabei läuft er doch nur irgendwie aus.