Diese Anthologie widmet sich in 17 Kurzgeschichten düsteren Sagen und Mythen aus dem deutschsprachigen Raum, wobei ein Großteil von Korndämonen handelt – bösen Wesen, die in Kornfeldern lauern und nicht selten arglose Kinder hineinlocken, um mit ihnen ihre grausamen Spiele zu treiben. Ob Hafermann, Kornmutter oder Roggenmuhme – trotz unterschiedlicher Namen und Erscheinungsformen in unterschiedlichen Regionen nehmen diese Wesen doch immer eine ähnliche Rolle ein. Trotzdem kam beim Lesen keine Langeweile auf, im Gegenteil: Die Autor*innen geben diesen aus Aberglauben entsprungenen Gestalten jeweils ein eigenes Gesicht und erzählen ihre Geschichten auf so unterschiedliche Weise, dass ich gar nicht genug davon bekommen konnte. Dazu kommt, dass ich bisher noch nichts über Korndämonen gelesen hatte (abgesehen von einer einzelnen lokalen Sage), und es freut mich sehr, eine Anthologie gefunden zu haben, in der so facettenreich von ihnen erzählt wird. Außerdem handeln einige der Geschichten auch von ganz anderen Sagengestalten, z.B. Zwergen oder Werwölfen.
Beim Lesen kam genau das wohlige Grusel-Gefühl auf, das ich von einem Buch mit diesem unheimlichen Cover erwartet hatte – an dieser Stelle möchte ich auch einmal die gelungenen düsteren Illustrationen erwähnen, die jeder Geschichte vorangestellt sind und die hervorragend zur Stimmung beitragen. Wie im Horror-Genre zu erwarten, kommt es häufig zu graphischen Gewaltbeschreibungen, und da es sich bei den Korndämonen oft um einen „Kinderschreck“ handelt, richtet sich die Gewalt auch hin und wieder gegen Kinder. Darauf wird aber bereits im Vorwort hingewiesen.
Obwohl es mir die Korndämonen sehr angetan haben, ist meine Lieblingsgeschichte dennoch „Nur der Wind weiß es“ von Elea Brandt. Durch die Aneinanderreihung von niedergeschriebenen Sprachnachrichten, Protokollen und Beschreibungen von Filmaufnahmen entsteht der Eindruck eines Found Footage-Projekts, in dem eine immense Spannung aufgebaut wird. Und das im Mittelpunkt stehende Wesen selbst, der Nachtgieger, ist auch unglaublich unheimlich.
Insgesamt hatte ich viel Freude (wenn man es denn so nennen kann) beim Lesen und empfehle diese Anthologie allen Fans von Horror-Kurzgeschichten, die Beschreibungen von Gewalt gegen Kinder aushalten und in die bisher wenig erforschte Welt des ländlichen Grusels eintauchen wollen.