Cover des Buches Finding Jake (ISBN: 9781481533409)
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Rezension zu Finding Jake von Bryan Reardon

Das eigene Kind - ein Amokläufer?

von papercuts1 vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Ein Amoklauf an einer Schule. Ein Vater muss sich der furchtbaren Frage stellen: Ist mein Kind einer der Täter? Intensiv.

Rezension

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papercuts1vor 9 Jahren

Zum Hörbuch:

Haltet euer Herz gut fest, liebe Eltern. Es wird brechen, wenn ihr Bryan Reardon’s Debut-Roman FINDING JAKE hört. Der Alptraum aller Mütter und Väter wird hier wahr: An einer Schule geschieht ein Amoklauf, und das eigene Kind ist nicht nur unauffindbar, sondern unter Verdacht, einer der Täter zu sein.

Genau durch diese Hölle müssen Simon und Rachel Connolly. Als sie die Nachricht erreicht, dass an der Highschool ihres Sohnes Jake ein Schüler um sich geschossen hat, eilt Simon an den Ort des Geschehens. Der Todesschütze, ein als auffällig bekannter Junge, ist tot. Wo aber ist Jake? Er bleibt als Einziger verschwunden, und schnell kommt der Verdacht der Mittäterschaft auf.

Zwischen Sorge und Zweifel

Was folgt, sind qualvolle Tage der Suche, des Wartens und des Zweifelns für Jake’s Eltern und dessen kleine Schwester Laney. Aus der ich-Perspektive erzählt, folgen wir dabei ausschließlich den Gedankengängen von Simon. Während seine Frau Rachel nämlich von Anfang an in Vollzeit gearbeitet hat, ist Simon ein ‘stay-at-home Dad’, der nur stundenweise von zu Hause aus seinem Job nachgeht und die Kinder hauptverantwortlich großgezogen hat (genau wie Autor Bryan Reardon).

Das ist eine ungewöhnliche, hoch interessante Konstellation. Zunächst überzeugt von der Unschuld seines Sohnes, schleichen sich bei Simon Zweifel und Schuldgefühle ein. Während er und Rachel sich einer Hexenjagd durch die Medien und betroffene Eltern, Verhören und Anwaltsterminen stellen müssen, blicken wir durch Simon’s Augen zurück bis zu Jake’s Geburt und verfolgen dessen Entwicklung.

Ist die Erziehung schuld?

Welche Fehler mag Simon gemacht haben? Wie gut kennt er seinen Sohn überhaupt? Jake war immer ein zurückgezogenes Kind, und Simon war als einziger Vollzeitvater immer isoliert von den Müttern der Nachbarschaft, immer außen vor. Wozu mag das geführt haben? Und wieso hat Simon es zugelassen, dass Jake sich mit dem späteren Amokläufer angefreundet hat?

Diese innere Spurensuche ist herzzerreißend. Besonders, wenn man selber Kinder hat, leidet man furchtbar mit Simon mit. Zu unvorstellbar ist die Vorstellung, das eigene, geliebte Kind könne zum Killer geworden sein. Und dass man daran die Schuld mitträgt.

Hier geht’s um den Vater

Rachel bleibt etwas außen vor, und das ist vielleicht nicht ganz fair. Auch als ‘Teilzeit-Mutter’ ist klar, dass sie großen Einfluss auf Jake’s Entwicklung hatte, dass sie ihn liebt und angesichts der Ereignisse ebenso am Rande des Wahnsinns steht wie Simon. Allerdings ist die väterliche Perspektive hier die interessantere, hinterfragt sie doch traditionelle Eltern- und Geschlechterrollen.

Was macht ein Kind zum Täter?

Ein weiterer Aspekt der Geschichte soll nicht unerwähnt bleiben: Anhand des Todesschützen wird der Umgang mit auffälligen Kids thematisiert. Wo man hingucken muss und kann, wo etwas versäumt wird, wo Stigmatisierung zum Verderben führt, wo man aber auch machtlos ist.

Natürlich kann man nicht umhin, diesen Roman mit dem Film WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN oder dem weniger bekannten Buch DEFENDING JACOB zu vergleichen. Ersteres birgt allerdings wesentlich mehr Kälte, mehr Gestörtheit, während letzteres vergleichbar ist mit FINDING JAKE, am Schluss aber einen ganz anderen Weg geht.

Apropos Schluss: Eine Achterbahn der Gefühle. Wie gesagt: Haltet eure Herzen fest. Mehr sage ich dazu nicht, sonst verrate ich zu viel. Betreten auf eigene Gefahr!

Zum Sprecher:

George Newbern ist Sprecher-Neuland für mich. Er ist gut ausgewählt: stimmlich Typ Durchschnittsamerikaner. Ein Normalo.
Es gibt keine Besonderheiten, keine Auffälligkeiten. Die Stimme ist weder sonderlich hoch, noch tief, ohne hörbaren regionalen Akkzent. So wie diese Geschichte überall passieren könnte, hört sich Newbern wie ein Vater, wie ihn jeder Teenager haben könnte. Genau das macht es unmöglich, sich zu distanzieren. Genau deshalb geht es einem so nah.

Fazit:

Eine ganz andere Sichtweise auf einen Highschool-Amoklauf: Der Vater eines als Mittäter verdächtigen, verschwundenen Teenagers erzählt. Die alte Debatte zwischen Erziehung und Veranlagung kommt hoch, gewürzt durch die Tatsache, dass hier ein Vollzeit-Vater betroffen ist. Emotional wird man durch die Mangel gedreht. Besonders Eltern stürzt dieses Buch in Abgründe, in die man eigentlich nicht schauen mag.

Ein schmerzhafter Roman, der viele Fragen aufwirft, von George Newbern passend umgesetzt. Hat mich arg mitgenommen, und trotzdem (oder gerade deshalb) gibt es eine eindeutige Empfehlung von mir!

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