Cover des Buches Die Einkreisung (ISBN: 9783453811133)
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Rezension zu Die Einkreisung von Caleb Carr

Dr. Kreislers erster Fall

von Stefan83 vor 13 Jahren

Rezension

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Stefan83vor 13 Jahren
Als besonders interessierter Leser von Geschichten, die im viktorianischen Zeitalter bzw. zur Jahrhundertwende spielen, war es natürlich nur eine Frage der Zeit bis ich irgendwann über Caleb Carrs "Die Einkreisung" stolpern musste. Vom Klappentext schon mehr als angetan, schien klar, dass mich eine sicher sehr spannende Lektüre erwartet. Da dieses Kriterium jedoch eine ganze Menge der Bücher in meinem Regal erfüllen, blieb Carrs Debütwerk vorerst lange Zeit unangetastet. Eine echte Nachlässigkeit, wie ich nun, nachdem ich es gelesen habe, feststellen muss, denn "Die Einkreisung" ist ohne Zweifel DER beeindruckendste Psychothriller, den ich bisher zwischen den Fingern hatte. Dieses Buch zu bewerten, ohne Begriffe wie "Meisterwerk" oder "Highlight" in den Mund zu nehmen, scheint gänzlich unmöglich, denn Carr hat eine Geschichte auf Papier gebracht, die nicht nur das New York der 1890er en detail zum Leben erweckt, sondern auch von der ersten bis zur letzten Zeile ohne Unterbrechung zu fesseln weiß. Ihren Anfang nimmt sie im Jahre 1919 am Grabe des verstorbenen Theodore Roosevelt. Dort stehen mit John Schuyler Moore und Sara Howard zwei seiner ältesten und engsten Freunde aus der Zeit, als der Präsident der Vereinigten Staaten noch Polizeichef von New York war. Gemeinsam erinnern sie sich an ihre Jagd auf einen Serienmörder, der über Monate hinweg die Elendsviertel des Big Apple in Angst und Schrecken versetzt hat. Aus der Sicht des Journalisten Moore erzählt, blicken wir zurück in das Jahr 1896: Eine Reihe bestialischer Morde an Stricherjungen erregt im von Gewalt und Gesetzlosigkeit durchsetzten New York keinerlei Aufsehen. Die Polizei ist durch und durch korrupt, der neue Polizeichef Roosevelt gerade erst im Begriff, das Justizsystem zu modernisieren und verräterische Elemente aus seiner Truppe zu entfernen. Für ihn, der als einer der wenigen Trauer für die toten Jungen zeigt und in ihnen mehr als "kleine Erwachsene, die ihren Weg selbst gewählt haben" sieht, ist dieser Fall zu etwas Persönlichem geworden. Er zieht seinen alten Jugendfreund aus Studiumstagen, den Psychologen Dr. Kreisler hinzu, der sich nach Begutachtung des ersten grauenvollen Tatorts den Ermittlungen anschließen will. Roosevelt kann offiziell nichts unternehmen und lässt Kreisler im Geheimen sein eigenes Team zusammenstellen, dem neben der Sekretärin Roosevelts, Sara Howard, auch die Polizisten Lucius und Marcus, und Journalist Moore angehören. Gemeinsam macht man sich auf die Jagd nach dem Mörder... Auf dem Papier sicherlich kein besonderer Anfang, den aber gleich mehrere Elemente einzigartig machen, denn mit ihm beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Verfolger und Gejagtem, das in diesem Genre wohl seinesgleichen sucht. Unter Benutzung von für damalige Zeit noch völlig unbekannten Ermittlungsmethoden, erweisen sich Kreisler und sein Team als Vorreiter in Sachen Profiling. Mittels Methoden wie der Untersuchung von Fingerabdrücken und forensischer Kenntnisse versuchen sie die Fährte aufzunehmen, während ein moralisch verkommener Polizeiapparat und die High-Society ihriges tut, um diese Nachforschungen zu unterbinden. Das Carr dabei ein wenig klaut, unter anderem einen Fall Joseph Bells exakt übernimmt, ist übersehenswert, denn im Ganzen überzeugt der Autor nicht nur spannungstechnisch, sondern vor allem mit literarisch allerhöchstem Niveau. Die Figuren könnten lebendiger nicht sein, die Atmosphäre ist so dicht, dass man sie mit dem Messer schneiden könnte. Völlig unbewusst beginnt man hier das Nägelkauen, während man den Jägern in die düstersten Abgründe New Yorks folgt und streckenweise brutalsten Szenen ausgesetzt wird. Dabei überrascht Carr jedoch auch mit einer Tiefgründigkeit, die neben all dem Ekel zu berühren weiß. Das Schicksal der Stricherjungen lässt uns schlucken und einen erhellenden Blick in die damalige Gesellschaft werfen. Auch im Aufbau des Krimiplots erweist sich Carr als herausragend. Stück für Stück wird die Indizienkette zusammengesetzt, der Täter eingekreist, während man selbst rettungslos im New York des Jahres 1896 versinkt. Das Ende ist dann so meisterhaft wie das ganze Buch und setzt das krönende Tüpfelchen aufs i. Insgesamt ist "Die Einkreisung" ein meisterhafter Psychothriller, der nicht nur ein treffendes Bild einer vergangenen Zeit malt, sondern sein Augenmerk auch auf die noch in Anfängen begriffenen psychologischen Beurteilungen des Täters richtet. Eine Empfehlung für alle Leser, die neben blutigen Morden auch das Mitdenken bei einer Ermittlung lieben und die für knapp 590 Seiten (es hätten ruhig noch mehr sein können) mal durchgehend Gänsehaut erleben möchten. Ein groß- und einzigartiges Stück Literatur, das mir auf ewig im Gedächtnis bleiben wird.
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