Rezension zu "Ein ganz kleines Glück" von Camille Anseaume
"Jede Frau schildert gern in aller Ausführlichkeit den Moment, in dem sie erfahren hat, dass sie Mutter wird."
Camille Aneseaumes kleines, schön gestaltetes Büchlein lächelte mich im Buchladen an. Ich las den Hintergrund und verliebte mich in die Idee, einer jungen, freien Journalistin in der aufregenden Grossstadt Paris durchs Leben zu folgen, stundenlang Cafés abzuklappern und Inspiration suchen, ihr Leben mitzubekommen. Allerdings ist das anders, ziemlich anders, und das wird ab dem ersten Satz klar. Von diesem Leben ist nämlich nur noch ein Hauch anwesend, ein kleines bisschen, eine Sehnsucht. Denn plötzlich ändert sich alles, denn Camille erwartet ein Kind. Ein Baby. Aber vielleicht will sie es auch gar nicht, vielleicht doch, so oder so wird danach nichts mehr sein, wie es ist, und diese Entscheidung ist bei Weitem die Schwerste, die ihr wohl je gestellt wird. Sie erlebt drei Monate voller Zögern, voller Angst vor der falschen Wahl und lernt sich dabei besser kennen, den Mann, den sie nicht mal geliebt hat und der nicht mehr da ist, dessen Charakter lernt sie ebenfalls besser kennen. Nur von ihrer Zukunft hat sie noch keine Ahnung. Aber sie darf sie selbst aussuchen, darf eine Wahl treffen und ihr Leben so leben, wie sie es möchte.
Aber nicht nur in dem Sinn habe ich mir in dem Buch etwas anderes vorgestellt. Denn anstatt Situationen beschreiben, ist es eine Dokumentation der schönsten Gedanken von Camille in dieser Zeit, Momentaufnahmen an feste Gefühle gebunden, die mich jedes einzelne Mal mehr und mehr in ihren Bann zogen. Klar, manchmal waren ihre Gedanken roh und unausgereift, manchmal jedoch schreib die Autorin die klarsten und wunderbarsten Zeilen nieder. Das Buch spielt im Kopf von Camille, der Protagonistin, die gleich wie die Autorin heisst. Nicht nur das ist ein Indiz dafür, dass die Geschichte echt sein könnte, noch dazu ist es so realistisch und authentisch geschrieben, dass man sich gleich bestätigt fühlt.
Ich habe Bücher über Teenieschwangerschaften gelesen, und keines davon konnte eine solch wichtige Zeit im Leben so schön und wichtig erzählen wir Camille Aneseaume. Ich glaube, ich würde ihr alles abnehmen. Manchmal geht es darum, wie grausam die Situation eigentlich ist, wenn man nicht weiss, ob man das Kind behalten möchte, oder es... 'verwerfen' möchte, die Schwangerschaft abbrechen und die ganzen Gedanken und Gefühle, ein ganzes, kleines Leben, das noch gar nicht begonnen hat, tief in sich vergraben möchte. Ich bin definitiv dafür, dass Frauen abtreiben dürfen. Aber dennoch bin ich mir sicher, dass es das Schrecklichste sein muss, vor einer solchen Entscheidung zu stehen. Und auch Camille findet es ganz schrecklich, manchmal schwankt sie für Tage nur durch ihr Leben, ohne etwas wahrzunehmen. Und dann gibt es da diese Glücksmomente, und dieser extreme Wechsel nimmt man ihr ohne Weiteres ab. Denn auch die Glücksmomente stecken die Leserin bestimmt in Nullkommanix an.
Der Schreibstil hat mir den Rest gegeben. Camille erzählt so fantasievoll und doch auch so bedrückt, und manchmal so schweigend. Ich glaube, man weiss erst, was ich meine, wenn man eigens Zeuge ihrer Worte wird, ihrer treffenden Vergleiche und ihrer Seiten, die man alle gleichermassen anstreichen und nicht mehr vergessen möchte. Nach dem Lesen hatte ich das Gefühl, dass ich gerne gleich wieder von vorne beginnen möchte.
Camille sieht Schwierigkeiten auf sie zukommen. Und sie denkt nicht ans Glück oder ans Positive, bei ihr ist das Glas immer halb leer. Aber das ist gut so. Anders als bei vielen Charaktereigenschaften befürchte ich nämlich, dass ein zu positiver Mensch schnell unglaublich naiv wirken kann in Büchern. Im echten Leben mag das manchmal ganz aufheiternd sein. Trotzdem ist Camille gewappnet, um in den echten Situationen dann völlig hilflos zu sein. Ich wurde nicht richtig schlau aus ihr, aber das ist gut so, denn auch wenn sie vielleicht nicht ganz zu greifen war, liebte ich es, von und mit ihr zu lesen und leben, für ein wenig, zumindest. Denn Camille hat mich inspiriert, und ich glaube, sie kann auch viele andere Leser überzeugen. Und dabei ist es ziemlich egal, in welcher Lebenslage man gerade steckt, vor welchen Problemen man steht. Das Buch regt mich an, meine Gedanke auf eine andere Weise zu hinterfragen. Man taucht mit Camille in ein riesiges Abenteuer, in dem es vielleicht oberflächlich um jemand anderen geht, aber eigentlich lernt sie sich dann erst kennen und weiss, was sie in ihrem Leben möchte.
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