Ich wollte nie Gerechtigkeit. Ich wollte Zerstörung.
von DaRoSo
Kurzmeinung: Carl Wilckens befreit mit einer unglaublichen Leichtigkeit das farbloseste Bunt im schwarz-weiss der Farbe.
Rezension
Und jetzt sitze ich hier.
Auf feuchten Stein frisst sich die Kälte langsam durch meine Kleidung. Ich rieche Zeit. Rieche zwischen Ammoniak und Schweiß förmlich die Vergessenheit meiner Gegenüber. Gefangen – und wie sie glauben mir gleich.
Meine Worte sind ihrer Lüsternheit Geschenk und so erzähle ich…
…was ich hier nun lesen will!
Ich bin zurück, im Hier, im Jetzt, der anvertrauten Realität.
Es ist später Vormittag, durch die Fenster erhellt die Sonne meinen Leseplatz und unsere Katze genießt das wärmende Licht.
Kein Stein! Keine Kälte, kein Gestank. Ich bin zurück…
…und gefesselt!
Binnen weniger Seiten war ich da. Binnen weniger Seiten war ich fort!
Carl Wilckens hat mich nicht entführt, sondern eingeladen, mich nicht fallen gelassen, sondern fliegen!
„13 – Das Tagebuch“ ist ein surrealer Rausch:
Das Kokain, das langsam durch die Adern fließt…
…die Flügel spreizen lässt, die Hölle zu erkunden, als der Gott der Fliegen, von den Kröten unbeirrt verschlungen, zu erkunden neues Elend, reinkarniert in ihren Weltenmägen und als Schmetterling, der Welt die Farbe!
„13 – Das Tagebuch“ erzählt drei Perspektiven, die sich zu einer Geschichte formen:
– die von Gordric End, der Symbolfigur des Bürgerkriegs;
– die von William D. Walker, einem Studenten;
– und die des Marionettenmannes.
Bis circa zur Hälfte des Buchs (ver)folgt man Ends Geschichte – eine wundervoll erdachte Phantastik, die man hier (durch)lebt. Nun beginnt das Buch seinem Titel zu gehorchen: man liest aus dem Tagebuch von W. D. Walker – die Phantastik weiß um die Realität und Wilckens lässt sie ungezwungen spielen. Hinzu gesellt sich alsbald der Marionettenmann aus dem verwunschenen Tal – ein fließender Surrealismus, der bedacht die Verbindung zwischen Phantastik und Realität ausbaut.
Zugegebener Maßen wusste ich mich anfangs mit dem Wechsel des Erlebens um Godrick Ends‘ Schicksal zu Williams Tagebuch und den damit verbundenen Intermezzi zum verwunschenen Tal kurz überfordert – zum einen durch den abrupten Wechsel mitten in den Geschehnissen, zum anderen durch den anfangs noch ungewohnten Stil, mit welchem Wilckens die Tagebucheinträge darlegt, bzw. dem zu Beginn noch rätselhaften Surrealismus des verwunschenen Tals.
Eine kurze „Flucht“ aus dem Buch, eine flüchtige Begegnung mit meinem Dasein im Jetzt und Hier, ließ diesen Moment jedoch schnell vergehen.
Wahn ist die tanzende Schwester der Realität – kontrolliert ist er eine Gabe! Ein seltenes Geschenk, dessen bewusste Beherrschung ein Kleinod musischer Inkarnation bedeutet.
Carl Wilckens weiss um diese Gabe – dieses Geschenk.
Wilckens schenkt, führt, generiert und manifestiert. Er befreit mit einer unglaublichen Leichtigkeit das farbloseste Bunt im schwarz-weiss der Farbe. Man verliert sich nicht, sondern gleitet durch einen Wachtraum, entsinnt ein Delirium der Freiwilligkeit und bettet sich auf Carl Wilckens Worten.
„13 – Das Tagebuch“ ist weniger ein Debüt, als der erste Rausch, welchem man ewig zurücksinnt.
Es handelt sich um den ersten Band einer hoffentlich langen Reise, auf deren Fortsetzung ich mich freue!
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