Rezension zu "Man sitzt insgesamt viel zu wenig am Meer" von Carolin Uliczka
Nach der Buddhistin Pema Chödrön lebt nur voll und ganz, wer sich ständig im Niemandsland befindet und jeden Augenblick neu erlebt. An dieses Zitat musste ich oft denken, während ich den Roman „Man sitzt insgesamt viel zu wenig am Meer“ von Carolin Uliczka gelesen habe.
Gleich vorweg: Ich bin kein Freund vom Meer. Schon wenn mir jemand ein „Moin!“ aus dem oberlippenfreien zusammengepressten Strichmund entgegenzischt, rollen sich meine Fußnägel hoch. Was ist an plattem Land, Kreischmöwen, einem Geruch nach Algen und fauligem Wasser interessant? Eben!
Trotzdem habe ich mich an diesem literarischen Meer sehr wohl gefühlt und hätte beinahe meine Vorurteile – Achtung, es folgt eine maritime Metapher – über Bord geworfen.
Ihre Registrierung als Stammzellenspenderin brachte alles ins Rollen: In klarer Sprache beschreibt Uliczka eine Phase des Innehaltens, der Neusortierung und Weichenstellung für die Zeit, die bleibt. Dabei erspart sie den Leser:innen ellenlange Erklärungen und Gefühlsduselei, sondern lässt Raum für eigene Interpretationen.
Definitiv ist bei „Man sitzt insgesamt viel zu wenig am Meer“ nicht die Handlung die treibende Kraft, sondern die stille Beobachtung und die aus der Selbstreflexion entstehenden Cope-Mechanismen. Und dann sind da auch noch die vielen zwischenmenschlichen Herausforderungen …
Ein kompaktes Lesevergnügen, das lange nachklingt und mein Gedankenkarussell angekurbelt hat.