Cover des Buches Wir Ertrunkenen (ISBN: 9783442741083)
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Rezension zu Wir Ertrunkenen von Carsten Jensen

Rezension zu "Wir Ertrunkenen" von Carsten Jensen

von Gospelsinger vor 14 Jahren

Rezension

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Gospelsingervor 14 Jahren
Ich leihe oft Neuerscheinungen aus der Bücherei aus. Bei manchen Büchern bedauere ich hinterher, dass ich es nicht gekauft habe und warte auf die Taschenbuchausgabe, um es noch einmal zu lesen. „Wir Ertrunkenen“ ist solch ein Buch. Und es ist jetzt endlich als – leider etwas unhandliches – Taschenbuch erschienen, mit einem sehr lesenswerten Anhang, in dem der Autor beschreibt, wie das Buch zustande gekommen ist und wie viele wahre Geschichten darin enthalten sind. Wir befinden uns in der dänischen Stadt Marstal. Die Geschichte beginnt im Jahr 1848 und fängt gleich mit dem Krieg zwischen Dänemark und Deutschland 1849 an. Die unerfahrenen Jungen, die mit 12 oder 13 Jahren das erste Mal eine solche Situation erleben, stürzen sich im Branntweinrausch enthusiastisch in die Schlacht. Aber schnell erleben sie die Realität des Krieges: Taub vom Kanonendonner (was sich als Segen erweist, weil sie so die Schreie der Verwundeten nicht hören müssen) und mit vollgeschissenen Hosen geraten sie in Gefangenschaft. Auch nach dem Krieg haben die Kinder viel auszuhalten: In der Schule werden sie mehr verprügelt, als dass ihnen etwas beigebracht wird. Nach der Konfirmation gehen sie auf See und werden wieder geprügelt, diesmal vom Steuermann. Daneben droht jetzt auch noch der Tod durch Ertrinken. Gewalt und Willkür bestimmen das Leben. Die Realität der Seefahrt ist alles andere als romantisch. Zurück an Land blieben die Frauen, mit der ständigen Ungewissheit, ob ihre Männer oder Söhne wiederkehren, mit der Aufgabe, alles an Land Nötige allein zu erledigen, allein die Kinder erziehend. Aber eine andere Möglichkeit als die Seefahrt gibt es für die Männer Marstals nicht. Es ist selbstverständlich, dass sie auf See gehen, und sie wollen es auch. Denn das Meer bedeutet auch, andere Kulturen kennenzulernen, unbekannte Dinge zu sehen. Wie Albert, der in der Südsee seinen verschwundenen Vater sucht und mit dem Schrumpfkopf des Kapitäns Cook zurückkehrt, sich dabei aber damit abfinden muss, gegen seine Überzeugung ein Sklavenschiff führen zu müssen. „Es schien so unendlich groß, das Meer. Es konnte dich überallhin führen, und doch legte es dich in Eisen.“ Eine Frau will diese Selbstverständlichkeit, dass Männer zur See gehen und oft auch auf See bleiben, durchbrechen. Durch ein traumatisches Kindheitserlebnis während einer Sturmflut hasst sie das Meer, das den Frauen die Männer nimmt. Als sie finanzielle Macht erreicht, bekämpft sie heimlich die Seefahrt des Ortes. In dieser Zeit finden tiefgreifende Veränderungen in der Seefahrt statt. Die Segelschiffe werden von Dampfern und später von Motorschiffen abgelöst, und es ist leicht durchführbar, die Stadt Marstal von dieser Entwicklung abzukoppeln. Ihr gewünschtes Ziel erreicht die Frau trotzdem nicht, ganz im Gegenteil. Das Buch endet mit dem Zweiten Weltkrieg. Wieder sind die Marstaler Seeleute mittendrin. Und wieder kommen nicht alle nach Hause. Nach dem zweiten Lesen ist mir klar, dass dieses Buch definitiv zu einem meiner Lieblingsbücher geworden ist! Denn es ist einfach großartig geschrieben. Es zeigt das wahre, also das harte, unromantische, Gesicht der Seefahrt. Und es enthält eine derartige Vielzahl von kleinen und großen Geschichten und Personen, dass es nie langweilig wird.
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