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Hallo, bitte entschuldigen Sie die Google-Übersetzung - ich bin Cassie Alexander, eine Krankenschwester im echten Leben und Autorin, und ich freue mich darauf, all meine Drachenwandler-Bücher auf Deutsch herauszubringen!
Alle vier Bücher dieser Serie sind bereits veröffentlicht und überall erhältlich. Ich würde mich sehr über mehr Rezensionen zu ihnen freuen und hören, was Sie alle über Andis und Damians Abenteuer zu sagen haben.
Die ersten Kapitel des Buches folgen, ebenso wie Bilder der Hauptfiguren!
Kapitel 1
Während sie auf den Bus wartete, hatte Andrea Ngo – Andi – jede Menge Zeit, darüber nachzudenken, dass es vielleicht nicht unbedingt die beste Idee war, sich auf eine Online-Anzeige hin für einen Aushilfsjob als Nachtschwester zu bewerben. Allerdings zahlte sich ihr Studienkredit ja auch nicht von selbst ab. Aus diesem Grund arbeitete sie bereits nachts im örtlichen Krankenhaus. Abgesehen davon, war da noch die Sache mit der Kaution für ihren bescheuerten Bruder. Danny war ja schon öfter in dämliche Situationen geraten, aber sie hätte nie damit gerechnet, dass er sich aus dem Staub machen würde, seinen Gerichtstermin sausen und sie auf einer Kaution von zehntausend Dollar sitzen lassen würde.
Was waren da schon ein oder zwei Schichten mehr? Wer brauchte denn schon Schlaf? Schlaf wurde eindeutig überbewertet. Sie zog eine dicke Plastikbrille mit schwarzem Gestell aus ihrer Manteltasche und setzte sie auf. Sie hatte zwar eine ausgezeichnete Sicht, wusste jedoch aus Erfahrung, dass die Leute eine Asiatin mit Brille entweder für superschlau oder für superbehütet halten würden – beides hatte sich schon einmal zu ihren Gunsten ausgewirkt.
Der Bus kam, sie stieg ein und fuhr bis zur Bushaltestelle am anderen Ende der Stadt, vor dem Briars Country Club. Beim Anblick des bedrohlich wirkenden und von Dornen umrankten, schmiedeeisernen Tors rief sie sich schnell das Datum ihrer letzten Tetanusspritze in Erinnerung. Sie zückte ihr Handy, um der mysteriösen Nummer eine SMS zu schicken, von der sie erfahren hatte, dass sie den Job überhaupt bekommen hatte.
Bin da, schrieb sie. Fünf Minuten zu früh, um genau zu sein. Sie nahm ihre Brille ab, die ziemlich schmutzig war, weil sie viel zu selten benutzt wurde, und hauchte die Gläser an, um sie zu säubern. Sie war dem BCC noch nie so nahe gewesen – sie war niemals Mitglied dort gewesen und hatte auch nicht vor, demnächst eines zu werden.
Das Herumfummeln an ihrer Brille hielt sie davon ab, auf ihr Telefon zu starren. Die Person, die ihr die Nummer genannt hatte, als sie den Job bekommen hatte, hatte behauptet, Damian Blackwoods Sekretärin zu sein. Andi konnte das kaum glauben. Wozu in aller Welt sollte ausgerechnet Damian Blackwood eine persönliche Krankenschwester für eine einzige Nacht brauchen? Oder, und vielleicht ist das die bessere Frage, für wen?
Sie hatte einmal mit einer Krankenschwester gesprochen, die für einen ganzen Tag bezahlt wurde, nur um einen saudischen Prinzen in seinem Wagen zu begleiten. Sie könnte also durchaus dafür bezahlt werden, jemandem beim Atmen zuzusehen, sofern es nicht zu einem Attentat kam. Das klang durchaus profitabel und spannend.
Allerdings würde sie keinem davon erzählen können – nicht einmal ihrer Mitbewohnerin Sammy –, weil sie eine Verschwiegenheitserklärung hatte unterschreiben müssen. Und in der SMS, in der ihr mitgeteilt worden war, wann sie hier sein sollte, war eindeutig klargestellt worden, dass es sich um einen Auftrag handelte, bei dem „keine Fragen gestellt“ werden durften.
Das würde ihr ziemlich schwerfallen, denn sie liebte Fragen. Das war ja auch nur allzu verständlich: Geheimnisse konnten einen umbringen, aber Fragen zu stellen konnte Leben retten.
Andi fuhr energisch mit dem Daumennagel über das linke Brillenglas, um einen Fleck wegzukratzen. Dabei entdeckte sie einen tiefen Kratzer. Verdammt. Sie hätte die Brille zu Hause anprobieren und lieber eine andere mitnehmen sollen, wo sie doch ein halbes Dutzend zur Verfügung hatte. Sie seufzte, steckte sie wieder ein und griff erneut nach ihrem Handy, um auf die Uhr zu sehen.
Mittlerweile waren sie – wer auch immer sie waren – zu spät.
Vielleicht war das alles nur ein raffinierter Streich. In der Dunkelheit verschränkte sie die Arme und wandte dem Tor und den dahinter liegenden Villen den Rücken zu. Sie hasste solche Gedanken, denn sie wusste, dass die leicht paranoide Angst, die sie zwar zu einer ausgezeichneten Krankenschwester machte, ein zweischneidiges Schwert war, wenn es darum ging, sich im Leben zu behaupten.
Allerdings hatte sie diese Angst davon abgehalten, in den Subaru STI zu steigen, den Danny sich von einem Freund „geliehen“ hatte, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte – was sie davor bewahrt hatte, ihre Fingerabdrücke in seinem frisch gestohlenen Auto zu hinterlassen.
Andi warf noch einmal einen Blick auf die Uhr und sprang dann auf, als sich das schwere Tor hinter ihr zu öffnen begann und die Dornen wie am Ende der Geschichte von Dornröschen verschwanden. Ein schwarzes Auto mit einer Marke, die sie nicht kannte, fuhr vor. Sie bemerkte, dass es für sie bestimmt war, als das Auto anhielt und ein Fahrer in einem Anzug ausstieg.
Er sah ... atemberaubend aus. Ein hellhäutiger Mann mit schwarzem Haar, einer markanten Nase und einem kräftigen Kinn, volle Lippen und stechend hellbraune Augen, die fast golden wirkten. Der schicke schwarze Anzug ließ ihn noch attraktiver aussehen, aber das hatte er eigentlich gar nicht nötig – was sie zu dem Gedanken verleitete, wie er wohl ohne aussehen würde. Im Moment war das kaum angebracht, aber Andi konnte sich einfach nicht beherrschen. Er sah verdammt gut aus auf die Art, bei der man sich umdreht und am Ende noch von einem entgegenkommenden Bus überfahren wird, den man nicht bemerkt hat. So verdammt gut, dass er sich dessen bewusst sein musste. Sie kannte solche Typen zur Genüge, und sie war fest entschlossen, sich ihre Gedanken nicht anmerken zu lassen.
„Miss Ngo?“, fragte er, als er ihr die Beifahrertür öffnete.
„Nur Andi“, korrigierte sie ihn, nahm auf dem Rücksitz Platz und rutschte rüber. Er blickte sie einen Moment lang an und sie spürte leise die Begierde, die sie allerdings mit einem knappen Lächeln zu verbergen mochte.
„Natürlich“, meinte er dann, nickte leicht und schenkte ihr dann ein herzliches Lächeln, als er ihre Tür schloss. Schließlich setzte er sich wieder vors Lenkrad und wendete den schwarzen Wagen, um mit Schwung in die Einfahrt des Briars zu fahren.
Sie hatte keine Ahnung, in was für einem Auto sie saß, aber sie vermutete, dass es Danny gefallen würde. Das Leder im Innenraum fühlte sich butterweich an, und die Fahrt war definitiv um ein Vielfaches angenehmer als im städtischen Linienbus.
Zu schade, dass sie sich bei dem Gedanken unwohl fühlte, einen persönlichen Fahrer zu haben. Leider, das musste sie zugeben, konnte sie selbst nicht Auto fahren, also brauchte sie tatsächlich einen. Ihr Exfreund hatte ihr bei ihrem ersten Date nicht einmal die Tür geöffnet. Und Josh sah garantiert nicht so aus.
Andi, du musst mehr Spaß haben und öfter mal ausgehen. Sie konnte förmlich hören, wie Eumie sie in ihrem Kopf sanft zurechtwies, und gleich danach ihre Mitbewohnerin Sammy, die hinzufügte: Und du musst dich auch mal flachlegen lassen.
Sie gab ja zu, dass beides vielleicht nötig war, aber heute Abend würde nichts dergleichen passieren.
„Wir fahren also zu Blackwoods Anwesen?“, fragte sie den Fahrer und versuchte, eine belanglose Unterhaltung zu führen, während das Auto die Hügel hinauffuhr. Sie warf einen Blick in den Rückspiegel, während sie auf seine Antwort wartete, und bemerkte, dass die trotzige blaue Strähne in ihrem schwarzen Haar zu sehen war. Scheiße, scheiße, scheiße. Sie hatte bis jetzt noch nicht in den Krankenschwesternmodus geschaltet, aber nun war es höchste Zeit. Sie streckte ihre Hände nach oben und flocht ihr Haar geübt zu einem Dutt, der die Strähne verbarg.
„Das tun wir in der Tat“, entgegnete der Fahrer, ohne seinen Blick von der Straße zu nehmen.
„Wissen Sie, um wen ich mich kümmern werde?“
Auf diese Frage hin sah er sie im Rückspiegel an und hob belustigt die Brauen. „Offenkundig um jemanden, der Ihre Hilfe braucht.“
Andi stöhnte innerlich auf. „Das ist ein bisschen vage.“
„Wäre es Ihnen lieber, wenn ich Ihnen eröffnen würde, dass ich nicht darüber sprechen darf?“ Sein Tonfall war eindeutig scherzhaft.
„Nein, eigentlich nicht.“ Andi verdrehte die Augen. Wieder einmal konnte man jemandes Attraktivität nicht damit gleichstellen, wie charmant er war. „Und? Wie ist er so?“
„Wer?“, fragte der Fahrer dümmlich.
„Sie wissen schon, wer, ich bitte Sie“, schnaubte sie und beugte sich im Auto vor, um zwischen den Vordersitzen mit ihm zu sprechen. „Damian.“
Sie hatte ihn natürlich gegoogelt, aber das hatte sie nicht gerade weitergebracht. Die Blackwoods gehörten zum Establishment und waren auf der Mayflower übergesetzt: Aktien, Yachten, Inseln. Aber es schien, als hätte niemand ein Foto von dem Mann geschossen, seit er dreißig geworden war, und das war vor zwanzig Jahren.
„Wie kommen Sie darauf, dass er mit der Einstellung von Aushilfen zu tun hat?“, fragte der Fahrer und drehte sich zu ihr um, um ihr zuzulächeln.
So viel zur Solidarität der Arbeiterschaft. Andi ließ sich in ihren Sitz zurücksinken und löste ihr Halstuch. „Okay. Können Sie mir etwas über diesen Job erzählen? Oder tut man einfach, was er sagt, ‘ohne Fragen zu stellen’?“, meinte sie in einem scherzenden Tonfall, weil sie sich über die SMS lustig machte, die sie erhalten hatte.
„Hmmm. Es ist generell nicht ratsam, zu viele Fragen über die Blackwoods zu stellen“, warnte er vorsichtig. „Oder überhaupt über irgendjemanden.“
„Zu dumm, dass das quasi das Wesentliche meines Jobs ist“, murmelte Andi leise, dann wiederholte sie lauter: „Keine Fragen, hm? Klingt nach einem tollen Arbeitgeber.“
Das Auto schnitt rasant eine Rechtskurve. „Tun Sie einfach, was man Ihnen sagt, dann wird schon nichts schiefgehen.“
„Ja, natürlich“, erwiderte sie knapp. Eine gute Hilfskraft tratschte nicht – und das war schließlich alles, was sie sein würde. Sie wurde nicht dafür bezahlt, neugierig zu sein. Der Fahrer bog nach links ab, ohne den Blinker zu betätigen, und sie schaukelte im Auto mit.
Die Straße führte im Zickzackkurs einen Hügel hinauf. Sie wandte sich um, um hinter sich zu schauen, und erhaschte einen Blick auf die Stadt unter ihr, die wie ein gewelltes Blatt aus Gold leuchtete. Es war so unerwartet schön, dass ihr kurz der Atem stockte – bevor es sich so anfühlte, als würde man sie niederstechen. Als würde man ihr ein Messer in die Brust rammen, direkt unter ihrem Herzen. Sie presste eine Hand unter ihre Brust und versuchte herauszufinden, was mit ihr los war und ob sie es diesem seltsamen Mann anvertrauen sollte. Aber dann verband sich der Schmerz mit dem seltsamen Gefühl, dass sie zu den Lichtern der Stadt zurückkehren sollte, wo sie wusste, dass sie in Sicherheit sein würde – aber wovor? – als die Angst wie eiskaltes Wasser durch ihren Körper strömte.
„Geht es Ihnen gut?“, fragte der Fahrer und blickte sie im Rückspiegel an. Seine Stimme hörte sich zum ersten Mal, seit sie ihn kennengelernt hatte, ernst an.
„Ja“, erwiderte sie trotzig, obwohl sie immer noch das Gefühl hatte, von der Angst niedergezwungen zu werden. Ihr Herz hämmerte so schnell wie damals, als sie wegen ihres bescheuerten Bruders von der Polizei gejagt worden war, oder wie an dem Tag, als sie überfallen worden war – aber sie hatte noch nie einen so starken Drang verspürt, zu fliehen, sofort zu fliehen.
Aber warum?
Sie blinzelte zweimal, zwang sich durchzuatmen und blickte aus dem Fenster auf den goldenen Lichterteppich der Stadt. Wie Flügel umspannte er die Hügel zu beiden Seiten, und irgendwo aus den Tiefen ihrer Kindheitserinnerungen drang die Stimme ihrer Tante Kim zu ihr durch: Es gibt Drachen auf dieser Welt.
„Fräulein Ngo?“ In der Stimme des Fahrers lag ein Anflug von Besorgnis, der vorher nicht da gewesen war.
Warum in aller Welt dachte sie gerade jetzt an Großtante Kim? Es war Jahre her, dass sie die alte Frau gesehen hatte, die sich in den Sommermonaten um sie gekümmert hatte, als sie noch ein Kind gewesen war, und die ihr und Danny Geschichten von Drachen erzählt hatte, nachdem ihr Vater sie verlassen hatte und ihre Mutter arbeiten musste. Andi atmete tief ein und schüttelte den Kopf. Was auch immer es ist, du bist stärker als das. Du hast schon Schlimmeres überstanden. Du kommst schon klar.
Oder, entgegnete ein dunklerer Teil ihres Verstandes, du hast einen Herzinfarkt in einem ungewöhnlich jungen Alter, und in etwa drei Sekunden musst du Mr. Traumtyp hier bitten, den Notruf zu wählen.
„Andi?“, drängte der Fahrer.
„Wissen Sie, wie man eine Herzdruckmassage durchführt?“, fragte Andi, halb im Scherz, halb ernst, aber dann verflog das panische Gefühl so schnell, wie es gekommen war. „Oh mein Gott“, flüsterte sie vor sich hin und ließ sich in das luxuriöse Lederinterieur des Wagens zurücksinken. „Okay. Macht nichts. Mir geht’s gut. Ehrlich.“
Im Rückspiegel musterte er sie mit zusammengekniffenen Augen. Ein Anflug von Wut? Das lag an ihm, nicht an ihr.
„Keine Sorge“, knurrte er, plötzlich deutlich finsterer als zuvor. „Ihnen ist es gestattet, hier zu sein.“
Was für eine merkwürdige Formulierung.
Sie hätte ihn gefragt, warum er das so gesagt hatte, aber sie war einfach nur erleichtert, dass sie nicht mehr das Gefühl hatte, sterben zu müssen. Das Auto wendete erneut, und die Straße wurde zu Kopfsteinpflaster, als sie durch ein letztes Tor fuhren.
Der Fahrer wurde langsamer und parkte im Kreisverkehr, direkt vor den riesigen, kirchenähnlichen Toren des Herrenhauses. Sie stieg schnell aus, um frische Luft zu schnappen, bevor er ihr helfen konnte, auszusteigen. Sie lehnte sich gegen das Auto und blickte nach oben.
Verglichen mit allen anderen Orten, an denen Andi je gelebt oder die sie je gesehen hatte, sah das Haus geradezu grotesk aus. Es war weniger ein Haus als vielmehr ein Schloss, und es hatte die Art von Türmchen, aus denen man normalerweise Bogenschützen herausspähen sah, obwohl es in der heutigen Zeit und mit dem Geld von Blackwood wohl eher Maschinengewehre waren. Die oberen Stockwerke waren mit Buntglasfenstern versehen, von denen einige erleuchtetet waren, während die unteren dicht von Efeu bewachsen waren. Er wucherte aus einem Garten, den man bestenfalls als verwildert bezeichnen könnte. Dahinter befand sich ein riesiger runder Springbrunnen mit einem Drachenkopf, der statt Rauch Wasser ausstieß.
Der Fahrer schritt um sie herum und öffnete die Eingangstür, und von irgendwoher kam ein Lichtstrahl, als er ihr ein Zeichen gab. „Bereit?“
Andi zwang sich, locker zu bleiben, auch wenn sie sich nicht wirklich so fühlte, und setzte ein dermaßen süßes Lächeln auf, dass sie schon fürchtete, Karies zu bekommen. „Mehr als je zuvor!“
Sie schluckte, um Kraft zu schöpfen, und betrat hinter ihm das Haus. Sie befanden sich in einem riesigen Eingangsbereich mit drei Treppen: jeweils einer breiten Treppe, die zum rechten und linken Flügel des Hauses hinaufführte, und einer merkwürdigen Wendeltreppe, die direkt nach oben ging. Andis Augen folgten ihr bis zu einer runden Tür in der Decke, zwei Stockwerke höher. Ein Glockenturm? Eine Art Wartungsluke? Ihre Vermutungen wurden unterbrochen, als der Fahrer seine Hand nach ihr ausstreckte. Sie wich schnell zurück, ohne nachzudenken. „Ich habe Ihren Namen nicht verstanden.“
„Der tut nichts zur Sache“, erwiderte er.
Sie blickte auf seine offene Hand und schaute dann zu ihm. Seine Mundwinkel waren schelmisch nach oben gezogen, und es fühlte sich an, als würde ihr Herz für einen Moment aufhören zu schlagen. Verdammt noch mal. Wollte er sie ärgern oder mit ihr flirten? Fühlte er sich so attraktiv, dass er einfach annahm, er würde seinen Willen bekommen? Oder war er so sehr daran gewöhnt, mit reichen Leuten herumzuhängen, dass er dachte, er sei einer von ihnen, so wie die Angestellten in schicken Geschäften, die grundlos unhöflich zu einem waren?
Er räusperte sich und hob die Hand leicht. „Soll ich Ihnen den Mantel abnehmen, oder behalten Sie ihn bei der Arbeit lieber an?“
Sie verspürte den plötzlichen Drang, ihn spätabends in einem Billardsalon zu treffen und zu sehen, wie viel sie ihm abknöpfen konnte, aber dann zog sie ihren Mantel aus und reichte ihn ihm. „Sie gehen davon aus, dass ich den Job bekomme.“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich gehe davon aus, dass Sie kompetent sind. Aber ich habe mich auch schon mal geirrt.“
„Danke für den Vertrauensbeweis, Mr. Tut-nichts-zur-Sache“, bemerkte sie. Warum wollte er ihr nicht seinen Namen nennen? Ihre Mitbewohnerin Sammy war davon überzeugt, dass Andi durch die Bewerbung auf eine Online-Anzeige für eine Aushilfsstelle als Nachtschwester direkt in einer Krimiserie auf dem Dokukanal enden würde – und vielleicht war da ja auch was dran. Vielleicht war Mr. Tut-nichts-zur-Sache ein Krimineller oder so etwas? Etwas, das er mit Danny gemeinsam hätte, wenn sie ihren Onkel Lee nicht überreden würde, ihrem Bruder einen teuren Anwalt zu besorgen. Sie blinzelte zu dem Fahrer hinüber. Sein Widerwillen, ihr seinen Namen zu nennen, machte sie nur noch neugieriger.
Er widerstand ihrem Drängen. „Und Ihr Telefon?“, fragte er. Sie reichte es ihm, noch widerwilliger als zuvor. „Sie haben eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben“, erinnerte er sie, als er es in seine Tasche steckte.
„Aber was ist, wenn es einen Notfall gibt?“
„Wir geben Ihnen ein Ersatztelefon.“
Ein Ersatztelefon war nicht das Gleiche wie ihr eigenes Telefon, aber sie versuchte, darüber hinwegzusehen.
Er warf einen Blick auf seine Uhr und seine Miene wurde ernst. „Wenn Sie mir bitte folgen würden“, erklärte er und ging voran, ohne sich zu vergewissern, dass sie ihm auch wirklich folgte. Sie musste ihm fast hinterherlaufen. Er war so viel größer als sie – mindestens 1,90 m im Vergleich zu ihren 1,50 m – und er hatte es offensichtlich eilig. Vielleicht löste sie aber auch nur jemanden ab, eine andere Hilfskraft zum Beispiel, die schnell wegmusste.
Zumindest konnte sie seinen Hintern bewundern, während sie ihm hinterherlief. Sein Anzug war besonders gut geschnitten und überließ nicht viel der Fantasie, jedenfalls nicht, wenn sie so ausgeprägt war wie die ihre. Er überraschte sie, indem er anhielt und sich umdrehte, als hätte er gewusst, dass sie ihn beobachtete. Auch sie blieb stehen, als würden sie das Ampelspiel spielen: Bei Rot bleibst du steh’n, bei Grün darfst du geh’n.
„Kommen Sie?“, fragte er und winkte sie heran.
„Ich versuche es ja“, zischte sie und schritt vorwärts, fast außer Atem.
„Dann machen Sie mal ein bisschen schneller“, forderte er. Seine Augen verengten sich kurz, und sie war sich sicher, dass er genau wusste, was er zu ihr gesagt hatte, als er sich wieder umdrehte. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie sich ärgern oder freuen sollte – ihr Verstand sagte Ersteres, während ihr Körper Letzteres sagte.
Halt die Klappe, Körper. Andi verliebte sich immer in die kaputten, temperamentvollen Typen. Es hatte etwas Verlockendes an sich, Dinge und Menschen zu reparieren, aber nach mehreren Ex-Freunden wusste sie es besser und versuchte stattdessen, all das in der Arbeit auszuleben, wo man tatsächlich Menschen wieder in Ordnung bringen musste.
Sie rasten praktisch durch ein Wohnzimmer, das mit einer Mischung aus Plüschsofas im alten und modernen Stil, Statuen aller Art, zwei Kaminen an beiden Enden, die groß genug waren, um einen Bären darin zu braten, und mit Blumen gefüllten Vasen, die fast bis zur Decke reichten, ausgestattet war. Dahinter befand sich ein Speisesaal mit einem kunstvoll gedeckten Tisch, zu vielen Kronleuchtern, um sie zu zählen, und ein langer Flur mit vielen verschlossenen Türen. Andi erkannte, dass sie verschlossen waren, weil sie von außen verriegelt waren. Einige hatten mehr als einen Riegel, und die Schlösser waren so übertrieben, sogar skurril, als wären sie für Piratenschatztruhen gedacht. Sie konnte nicht anders, blieb vor der letzten verschlossenen Tür stehen und atmete ein, eine Frage auf den Lippen.
„Mm, mmm“, summte er mit geschlossenem Mund, spöttisch, als wäre sie ein ungezogenes Kind. Dann besaß er die Frechheit, sich umzudrehen und ihr zuzuzwinkern. „Keine Fragen, schon vergessen?“
Andi presste ihren Kiefer zusammen. Sie wollte unbedingt seinen Namen herausfinden. Aber er ging weiter, ohne auf sie zu warten, bis sie eine letzte Tür erreichten.
„Sie sind spät dran“, bemerkte eine Stimme aus dem Inneren des Raumes. Damian selbst? Sie straffte ihre Schultern und ging hinein.
Nein. Der Mann, der gesprochen hatte, war viel zu jung, um Damian zu sein. Während Mr. Tut-nichts-zur-Sache so attraktiv war, dass er fast überirdisch wirkte, war dieser hier der Stolz des Mittleren Westens, ein Musterknabe durch und durch. Rostfarbene Haare, die Haut leicht gebräunt und eine Statur, die bewies, dass er problemlos ein Mädchen – oder mehrere gleichzeitig – aufreißen konnte.
„Entschuldigung. Jemand hat die Tore nicht geöffnet.“ Die Stimme von Mr. Tut-nichts-zur-Sache klang fast säuerlich, und Andi wurde klar, dass er im Auto auf diesen Mann wütend gewesen war, nicht auf sie. Aber warum? Alle Tore, die sie gesehen hatte, hatten sich geöffnet.
Es war eigentlich egal, denn gleich hinter dem Ballkönig konnte Andi endlich sehen, warum sie hierhergebracht worden war.
Sie erkannte, dass der Raum einmal eine Bibliothek gewesen war, auch wenn die Regale größtenteils leer waren und allein die zur Seite geschobenen Ledersofas und der Duft alter Bücher noch auf die frühere Funktion hinwiesen. Jetzt jedoch war der Platz, an dem die Sofas gestanden hatten, von einem Mann in einem Krankenhausbett eingenommen, umgeben von den Gerätschaften für Kranke und Gebrechliche: Sauerstoffflaschen, Monitore, Infusionspumpen an Infusionsständern, eine Thoraxdrainage, eine Nahrungspumpe, die sich wie eine Spindel drehte, und, für sie kaum relevant, eine kleine Siamkatze, die zusammengerollt am Ende des Bettes lag.
„Ich war ein bisschen beschäftigt“, verteidigte sich der andere Mann und deutete auf den Bettlägerigen. Offenbar interessierte sich niemand für die Katze.
Mr. Tut-nichts-zur-Sache öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber Andi fiel ihm ins Wort. „Nun, jetzt bin ich ja da.“ Sie trat auf das Bett zu und blinzelte in das schwache Licht. Sie glaubte, den Mann im Bett von den körnigen Zeitungsfotos zu kennen. „Ist das ... Mr. Blackwood?“ Er sah so aus, zumindest ein wenig.
Mr. Tut-nichts-zur-Sache trat zu ihr. „Es spielt keine Rolle, wer das ist. Können Sie ihn acht Stunden lang am Leben erhalten?“
Sie legte den Kopf schief und sah zu ihm auf. „Vielleicht, wenn Sie mir zuerst sagen, was mit ihm los ist.“ Soweit sie erkennen konnte, war er mit blauen Flecken übersät. Er hatte eine Sauerstoffmaske auf dem Gesicht, und Andi bemerkte erst später, dass seine ans Bettgestell fixierten Arme sowohl wahnsinnig muskulös als auch mit Tattoos übersät waren.
Definitiv nicht Mr. Blackwood, es sei denn, er war noch faszinierender, als sie angenommen hatte.
„Er ist die Treppe hinuntergefallen“, erklärte Mr. Midwest wenig überzeugend. Andi schaute zu ihm hinüber, um nach weiteren Informationen zu fragen, und bemerkte, wie er über sie hinweg zu Mr. Tut-nichts-zur-Sache schaute, sein Gesicht voller Sorge. „Er wacht langsam auf. Ich will nicht, dass das erste Gesicht, das er sieht, ein fremdes ist.“
„Grimalkin ist ja hier“, entgegnete Mr. Tut-nichts-zur-Sache mit einem prüfenden Blick auf die Katze, dann wies er mit dem Kopf zur Tür. „Ich brauche dich heute Abend bei mir draußen. Du weißt, warum.“ Er hielt ein Handgelenk hoch und tippte auf eine Uhr, die wahrscheinlich so viel kostete wie das Auto, mit dem er sie gefahren hatte.
Chauffeure verdienten mit Sicherheit nicht so viel Geld.
Mr. Tut-nichts-zur-Sache-mit-einer-schicken-Uhr.
Andi verkniff sich einen unangemessenen Laut. Sie wusste bereits aus eigener schmerzlicher Erfahrung, dass reiche Leute seltsame Dinge abzogen, und wenn sie diesen Job bekommen würde, indem sie vorgab, dämlich zu sein, dann würde sie das tun. Es war ja schließlich nur für eine Nacht. Je eher sie zu arbeiten begann, desto eher konnte sie Dannys Kaution hinterlegen, und dann würde das Ganze vielleicht doch noch einen Sinn ergeben – mit Betonung auf vielleicht. „Hören Sie – kann mir bitte mal irgendjemand erklären, was hier vor sich geht?“
Der Mann, den sie ablöste, wandte seinen Blick von Mr. Tut-nichts-zur-Sache ab und begann zu reden. Mit ihr, um genau zu sein.
Sie zückte Stift und Papier und schrieb alles auf, wobei sie zu gegebener Zeit die richtigen Fragen stellte. Trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie teilweise angeschrien und auf jeden Fall beurteilt wurde. Als er fertig war, hob sie eine Hand. „Drei Dinge sind mir unklar.“
„Legen Sie los“, meinte er.
„Was ist mit der Katze?“ Sie konnte nicht anders, sie musste es einfach wissen.
Der Chauffeur antwortete ihr. „Sie gehört praktisch zur Familie und bleibt definitiv in diesem Raum, keine Diskussion. Was noch?“
„Okay, na schön.“ Seltsame reiche Leute. Andi zuckte mit den Schultern und sah wieder zu dem Patienten. „Also, warum ist er hier? Warum steckt er nicht in einem Krankenhaus?“
„In der Stadt?“ Mr. Midwest blickte sie ungläubig an.
„Ja, warum auch nicht? Dort gibt es gute Krankenhäuser.“
„Krankenhäuser sind nicht sicher“, erklärte Mr. Midwest, als wäre das eine bekannte Tatsache.
Andi biss sich auf die Lippen, um seine merkwürdigen Ansichten nicht zu kommentieren. „Also gut“, fuhr sie fort. „Die dritte Frage ist, wer sind Sie? Aus medizinischer Sicht, meine ich.“
„Sein Name ist Austin, er war früher Sanitäter“, erwiderte Mr. Tut-nichts-zur-Sache an seiner Stelle.
„Und bei den Marines“, fügte Austin hinzu.
Sie streckte ihre Hand aus, damit Austin sie schütteln konnte. „Ich bin Andi.“
„Ah. Die Andi, nicht der Andy“, kommentierte Austin, indem er die Artikel betonte, und warf Mr. Tut-nichts-zur-Sache einen bösen Blick zu.
„Es ist nicht meine Schuld, dass du so sexistisch bist“, entgegnete Mr. Tut-nichts-zur-Sache mit einem leichten Grinsen um seine Mundwinkel. Dann schaute er erneut bedeutungsvoll auf seine Uhr, und Austin verschwand in einem Flur. „Acht Stunden also?“, meinte Mr. Tut-nichts-zur-Sache zu ihr.
Aus Austins Bericht ging hervor, dass dieser Patient hauptsächlich überwacht werden sollte. Er war verletzt und bewusstlos, aber es gab keinen wirklichen Grund, warum er noch nicht aufgewacht war, abgesehen von möglichen Hirnschäden. Was diese ganze Geheimniskrämerei möglicherweise verständlicher machte. Wenn man vermögend war und sich jemand in seiner Obhut verletzte, musste man die Probleme vielleicht unter Verschluss halten. Sie warf einen Blick auf die Vitalwerte des Patienten auf dem Monitor, auf den Urinstand im Katheter und auf die sich langsam entleerende Thoraxdrainage. Sie konnte fast jeden acht Stunden lang am Leben erhalten, wenn das in einem Krankenhaus geschah. Aber was würde hier passieren, wenn die Sache schiefging? Die Situation war eigenartig, und obwohl man ihr eine Menge Geld zahlte, musste sie immer noch an ihre Lizenz denken. Sie blickte auf und stellte fest, dass Mr. Tut-nichts-zur-Sache sie schamlos beobachtete: so schamlos, dass sie rot wurde.
Austin tauchte wieder auf und brachte einen Rollwagen mit Notfallequipment, bevor sie etwas Weiteres sagen konnte. „Wissen Sie, wie man damit umgeht?“
„Natürlich.“ Die Tatsache, dass es Notfallequipment gab, zerstreute nur einen Teil ihrer Sorgen. „Aber ... ich bin keine Ärztin.“
„Wenn er einen Arzt braucht, rufen Sie mich einfach an, ich werde sofort einen holen. Meine Nummer ist eingespeichert.“ Mr. Tut-nichts-zur-Sache reichte ihr ein Telefon, während Austin weitersprach.
„Und nach wem soll ich fragen?“, fragte sie und versuchte, nicht neugierig zu klingen.
Mr. Tut-nichts-zur-Sache schnaubte, als wolle er sagen: netter Versuch. „Ich werde schon wissen, dass Sie es sind.“
Austin unterbrach sie. „An der Wand lehnen noch mehr Sauerstoffflaschen. Sorgen Sie einfach dafür, dass es ihm gut geht, bis wir zurückkommen.“
Andi sah zwischen den beiden hin und her. Nichts von alledem ergab einen Sinn, nicht die Katze, nicht dieser Job, nicht dieses Haus und schon gar nicht diese beiden extrem gutaussehenden, aber äußerst merkwürdigen Männer. „Wo wollen Sie denn überhaupt hin?“
Mr. Tut-nichts-zur-Sache schüttelte auf ihre Frage hin den Kopf. „Raus. Aber wir werden im Morgengrauen zurück sein, und ich verspreche Ihnen, dass Sie den ersten Bus zurück in die Stadt erwischen werden. Okay?“
Der Blick von Mr. Tut-nichts-zur-Sache war drängend, während Austin sich ihr bedrohlich näherte.
Sie atmete scharf ein, um ihnen zu verstehen zu geben, wie verrückt das alles war, und um den Rückzug anzutreten, aber dann erinnerte sie sich daran, dass das einzig Wichtige die Tatsache war, dass sie hier in einer Nacht so viel verdiente wie mit ihrem normalen Job in einem ganzen Monat. Dann warf sie einen Blick auf den Patienten und tat ihr Bestes, um mit dem verinnerlichten Krankenschwester-Radar, den sie über Monate hinweg während ihren Schichten geschärft hatte, seine Gesichtsfarbe zu analysieren und die Zahlen auf dem Bildschirm zu lesen. Er war mit Abstand der normalste Mensch hier. „Ja, okay“, antwortete sie entschlossen. Sie holte das Telefon heraus, das man ihr gegeben hatte, und winkte Mr. Tut-nichts-zur-Sache damit zu. „Ich rufe an, sollte etwas passieren, ansonsten sehen wir uns in acht Stunden.“
„Gut“, meinte Mr. Tut-nichts-zur-Sache und lächelte sie zum ersten Mal in dieser Nacht an. Dass sie seine Zufriedenheit empfand, fühlte sich fast so schlimm an wie das, was ihr auf dem Weg hierher passiert war. Sie wollte weglaufen, aber sie konnte nicht. Sie war wie vor den Kopf gestoßen, als wäre sie ein Reh im Scheinwerferlicht. Er war einfach zu viel für sie.
Dann sprang die Katze vom Bett und schlang sich um die Beine von Mr. Tut-nichts-zur-Sache. Er blickte zu Boden, und der Moment war vorbei. Das Scheinwerferlicht war weitergewandert. Sie sackte zusammen, fing sich und hoffte, dass er es nicht bemerkt hatte. Es sah jedenfalls nicht so aus, als er sich hinkniete, um den Kopf der Katze sanft zu streicheln.
Die Katze miaute ihn wiederholt an, als hätte auch sie eine Meinung zu all dem, und Mr. Tut-nichts-zur-Sache warf ihr einen mürrischen Blick zu. „Nein, sie hat nichts für dich mitgebracht“, meinte er zur Katze und sah dann wieder zu ihr. „Wenn Sie irgendwelche Geräusche im Haus hören, ignorieren Sie es einfach. Es ist ein altes Haus, da knarrt es oft.“ Austin hustete an der Tür, und Mr. Tut-nichts-zur-Sache eilte zu ihm. Die Audienz war vorbei. Die Männer verschwanden, und die Katze folgte ihnen.
Andi entspannte sich, doch dann schämte sie sich dafür, wie sie sich gefühlt hatte. Was war sie, ein Schulmädchen? Du weißt es doch besser! Wer auch immer sie in dem Moment gewesen war, als er sie angesehen hatte, so dumm und glücklich, töricht und hoffnungsvoll und nur ein kleines bisschen verängstigt, wie sie gewesen war, es war sicher nicht die echte Andi gewesen.
Die echte Andi war Krankenschwester, die genau wusste, was zu tun war, und zwar immer und überall.
Sie ging zum Krankenbett, nahm ihr Stethoskop vom Hals und begann, ihren Patienten zu untersuchen.
Kapitel 2
„Was hat Grim gesagt?“, fragte Austin Damian auf dem Weg zur Garage.
„Dass sie zu unbedeutend ist, um von Nutzen zu sein.“ In Wirklichkeit hatte Grimalkin gefragt, ob Andi ihm Käse mitgebracht hatte, je blauer, desto besser, denn im Haus gab es keinen mehr. Zum Glück war Damian der Einzige, der den mächtigen multidimensionalen Wächter verstand, der ihm bei seiner Geburt zugeteilt worden war, sodass niemand sonst wusste, wie einfach es war, ihn mit so einem Käsegeschenk abzulenken.
„Ausnahmsweise sind die Katze und ich einer Meinung. Wenn mein Bruder aufwacht ...“
„Ich weiß“, unterbrach Damian und beendete das Gespräch. Wenn Zach aufwachte, während sie weg waren, und das war ein großes Wenn, dann würden er und die Krankenschwester hoffentlich ein vernünftiges Gespräch führen, nach welchem sie ihm die Fesseln abnehmen würde. Er würde verwirrt sein über das, was passiert war, aber er würde klug genug sein, um zu erkennen, dass sie nicht zu ihnen gehörte.
Damian stieg in den gepanzerten Geländewagen, in dem der Rest seiner Crew wartete. Heute Abend waren nur er und die Jungs da. Max fuhr, Jamison hatte seine Augen auf die Elektronik gerichtet, und er selbst saß dicht neben Austin, der damit beschäftigt war, den Lauf von etwas Schwarzem und Glänzendem abzuwischen.
Schließlich ließ er sich in seinen Sitz zurücksinken und dachte an die Krankenschwester.
Sie roch gut, stellte sein Drache fest.
Pst, ermahnte er seinen Drachen, aber er hatte recht.
Öl, Plastik, aber vor allem der Geruch von Eisen umgab ihn. Menschen hatten so viel Eisen im Blut, dass es ihn erstaunte, dass sie nicht magnetisch waren. Da er unter Menschen lebte, hatte er sich irgendwann an den metallischen Geruch gewöhnt, aber aus irgendeinem Grund erschien ihm dieser heute Abend noch stechender als sonst.
Das lag an ihr.
Als sie ins Auto eingestiegen war, hafteten der Benzingeruch des Busses, in dem sie gesessen hatte, und die medizinischen, chemischen Düfte, die für ihren Beruf typisch waren, an ihrem Mantel. Das war zu erwarten gewesen.
Doch hinter all dem verbarg sich ihr eigener, dezenter Duft, der für die meisten Menschen nicht wahrnehmbar war, aber ihm dennoch unvermittelt das Wasser im Mund hatte zusammenlaufen lassen.
Äpfel und Karamell, ja, das war es gewesen – und Salzwasser.
Wie seltsam.
Er überflog seine E-Mails und öffnete die ungelesenen Dateien, die Mills ihm geschickt hatte. Sie war die Beste ihres Jahrgangs im Community College und dann in der Krankenpflegeschule. Aber sie hatte Studentendarlehen, eine schwindelerregend hohe Summe Schulden bei einem Krankenhaus, die wie Arztrechnungen für einen Verwandten aussahen, bevor sie gelöscht wurden, vermutlich, weil dieser gestorben war, und einen Bruder, der offenbar seinen Spaß daran hatte, in Streifenwagen mitzufahren. Sie war ideal für das, was er im Sinn hatte: verzweifelt genug, um ständig auf der Suche nach Geld zu sein, klug genug, um Zach am Leben zu erhalten, und hoffentlich auch schlau genug, nicht noch mehr Fragen zu stellen. Wenn sie zu neugierig wurde, gab es ja immer noch das Feuer des Vergessens. Als er ihren Werdegang genauer unter die Lupe genommen hatte, hatte er festgestellt, dass sie in einem aufstrebenden Teil der Stadt in einer Wohnung über einer griechischen Bäckerei lebte. Das erklärte wohl ihren Geruch. In ihrer Wohnung roch es wahrscheinlich tagein, tagaus nach Backwaren.
Das Rätsel war gelöst, und Damian steckte das Telefon zurück in seine Tasche. Trotzdem musste er sofort wieder an sie denken. Andi. Was für ein seltsamer Name für ein Mädchen. Er hatte das seltsame Bedürfnis, ihn laut auszusprechen, nur um zu sehen, ob er so gut klang, wie sie roch. Und diese interessante blaue Strähne, die er kurz gesehen hatte, bevor sie ihr dunkles Haar nach oben gewickelt hatte ... Dass sie sie versucht hatte, zu verstecken, brachte ihn auf den Gedanken, die Strähne wieder aufzuwickeln und sie zum Vorschein zu bringen, um vielleicht zu spüren, wie sie sich um seine Hand wickelte.
„Warum hast du sie vor dem Haus gewarnt?“, fragte Austin Damian und lenkte ihn von seinen Gedanken ab.
„Weil Grimalkin keine Fremden mag.“
„Er mag niemanden“, konterte Austin.
„Er behält Zach im Auge, stimmt’s?“, entgegnete Max vom Fahrersitz aus und verteidigte die Redlichkeit von Damians Vormund. Damian wusste, dass sein Kater und sein alter Waffenmeister einander gut verstanden, und das mussten sie auch: Sie waren die einzigen beiden Dinge, die mit ihm aus den Reichen gekommen waren, wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten. Die Kampfrüstung, die Max trug, ließ seine weiße Haut um sie herum noch erschreckender erscheinen, und Damian wusste, dass seine Haare geisterhaft blass wären, wenn er seinen Hut abnehmen würde. Er hatte auch die blassen Augen eines Albinos gehabt, bevor er sie in einem Kampf mit einem anderen Bärenwandler verloren hatte. Mills hatte sie durch etwas Magisches ersetzt, das von einer Schutzbrille verdeckt wurde und ihn zum perfekten Träger von Damians Feuer des Vergessens machte, da dessen Kräfte bei ihm nicht mehr zu wirken schienen. Und mit den Augen, die er jetzt hatte, konnte er eine überirdische Kreatur auf siebenhundert Meter Entfernung ausschalten.
„Grimalkin hofft wahrscheinlich, dass er stirbt“, erklärte Austin düster.
Max grinste und bleckte die Zähne. „Nee, wenn Grimalkin einen von euch tot sehen wollen würde, wärt ihr das schon, mein Kleiner.“
Austin schnaubte ihn an. „Besser ein kampferprobter Wolf als ein schornsteinfegender Bär“, murmelte Austin, bevor er sich wieder an Damian wandte. „War sie so feinfühlig, dass sie die Sicherungsgrenze gespürt hat?“
„Auf jeden Fall.“
Austin brummte. „Wie hat sie sich geschlagen?“
„Bewundernswert, wenn man bedenkt, dass sie nicht wusste, dass es Magie war, die sie angegriffen hat.“ Es gab mehrere konzentrische Sicherheitsbereiche um sein Haus, manche hatten mit Magie zu tun, andere nicht. Er hatte ihre Panik sowohl gesehen als auch gespürt, als sie durch einen von ihnen gefahren waren. Nämlich den, den Austin eigentlich hätte ausschalten sollen. Er hatte gesehen, wie andere Männer sich vor Angst aus fahrenden Autos stürzten und nicht wussten, warum sie weinend zurück ins Tal kriechen wollten. Andi hatte zwar Angst gehabt, aber sie war nicht abgehauen. Eine weitere interessante Tatsache.
„Glaubst du, sie hat es uns abgekauft?“, fragte Austin und tat so, als würde er eine Fahrermütze aufsetzen.
Damian wusste, dass er damit die Masche meinte, dass er sich als Chauffeur ausgab, der bei ihm angestellt war. Austin wollte die Person kennenlernen, die sich um Zach kümmerte, um ein Gefühl für sie zu bekommen, aber Damian hatte nicht erwartet, dass er so fasziniert von ihr sein würde.
„Ist doch egal“, entgegnete Damian. „Entweder sie kauft es uns ab, gut, oder sie tut es nicht, und dann wird das Feuer sie alles vergessen lassen.“
„Wozu sich die Mühe machen? Es würde ihr ohnehin niemand glauben. Sie wäre nur eine weitere Spinnerin aus dem Internet“, meinte Jamison, während er konzentriert auf den Computer auf seinem Schoß starrte, so vertieft darin wie Austin in seine Waffen. Er war dunkelhäutig und schlank, im Gegensatz zu Max’ hellem Weiß und Austins muskulösem Körper, und angesichts der Hardware auf seinem Schoß und der Hardware an seinem Arm, den sie durch Technik ersetzt hatten, war der Mann praktisch ein halber Computer.
„Du meinst, so wie du?“, zog Austin den jüngeren Mann auf.
„Bring mich nicht dazu, dein Netflix-Passwort zu ändern“, schnauzte Jamison, dann winkte er mit der Hand, um für Ruhe zu sorgen. „Wir nähern uns der Quelle des Signals. Langsam, Max.“
Max brummte zur Bestätigung. Er fuhr das, was Damian „den Tourbus“ nannte. Es war ein schwer gepanzerter Geländewagen, der mit Metallschilden, kugelsicherem Glas und einem explosionssicheren Fahrgestell ausgestattet war, und, was noch wichtiger war, von der mächtigsten Hexe diesseits des Pazifiks persönlich bewacht wurde. Damian wusste anhand des Geruchs, wo sie sich befanden. Salzwasser–, Benzin- und Ölgeruch konnte nur von dem vertrauten Dunst der Docks stammen, und sie waren hier, weil sich irgendwo in der Nähe eine überirdische Kreatur befand, die sie töten mussten.
Vor ein paar Tagen hatte sich in Damians Reich ein Portal geöffnet. Portale waren zufällige Risse oder Spalten zwischen dieser Welt und anderen Reichen, die dort entstanden, wo sich die Erde und andere Reiche überschnitten. Portale ließen überirdische Gestalten durch, solange der Durchgang offenblieb. Sie konnten so klein sein wie ein Atom und ein kleines Rinnsal von Materie durchlassen, die dort nicht hingehörte, sodass unbedarfte, nichtmagische Menschen glaubten, sie hätten Bigfoot, UFOs oder Geister gesehen, oder sie konnten aufplatzen wie ein aufgestochenes Furunkel und Kreaturen durchlassen, die dort nicht hingehörten, und fliegend, krabbelnd oder kriechend Verwüstung anrichten bei denen, die das Pech hatten, ihnen zu begegnen. Die Aufgabe von Damian und seinen Leuten war es, die Monster zu töten, die Portale zu schließen und die Erinnerungen der noch lebenden Menschen auszulöschen.
Das letzte Portal siebzig Kilometer außerhalb der Stadt hatten sie mit Leichtigkeit geschlossen, aber nicht, bevor noch drei große Kreaturen hindurchgekommen waren. Die gefährlichste Kreatur, die sofort ausgeschaltet werden musste, war ein insektengleiches Wesen von der Größe eines Busses mit kugelsicherem Chitin und einem Gewebe, das härter zu durchtrennen war als Stahlseile. Es war auch unempfindlich gegen Feuer, zumindest was menschliches Feuer anging. Deshalb hatte Damian wieder einmal seinem inneren Drang nachgeben müssen.
Sie hatten das Monster in einer flachen Schlucht eingekesselt, aber es war eine Felswand hinaufgeklettert und hatte die Verteidigungslinie, die Damian für die Männer errichtet hatte, überwunden, sodass er von ihnen abgeschnitten war. Zach verließ seinen Posten, eilte zu Hilfe und wurde von dem Monster erfasst. Er hatte geschrien, und Damian konnte diese Schreie immer noch hören: Er hatte gequält und verängstigt geklungen. In weniger als einem Augenblick hatte sich Damian verwandelt. Von dem Menschen, der er vorgab zu sein, zu dem Drachen, der er tatsächlich war.
Gewaltig. Ohne Kontrolle. Ungeheuerlich.
Wütend.
Sein Drache erledigte die Kreatur in wenigen Augenblicken, genoss seine Freiheit und die Zerstörung, drehte schließlich den Spieß um und krallte sich in seinen Unterleib. Danach hatte Damian damit zu kämpfen gehabt, die Kontrolle wiederzuerlangen. Und das war nicht leicht gewesen.
„Wie weit noch?“, fragte Max mit zusammengebissenen Zähnen.
Damian konnte die Anspannung seiner Mannschaft spüren, die leise auf Jamisons nächste Anweisung wartete. Angesichts Zachs Verletzung und dem Verlust von Michael im letzten Jahr ... Nur weil sie in dem, was sie taten, gut waren, hieß das nicht, dass es ungefährlich war.
„Fast geschafft. Wir müssen es überholen, um es zu orten. Fahr einfach weiter“, erwiderte Jamison, der sich um nichts anderes kümmerte als um die Daten, die er auf seinem Bildschirm sammelte.
Damian hatte Jamison und Mills angewiesen, vorrangig eine Technologie zu entwickeln, mit der sie vorhersagen konnten, wann sich die Portale öffneten, sodass sie diese vorbeugend versiegeln konnten, bevor die Überirdischen durchkamen. Sie machten Fortschritte, aber bis sie die Technologie perfektioniert haben würden, würde sein Team immer in Gefahr sein, und Damian auch. Denn jedes Mal, wenn er sich verwandelte, kam sein Drache dem Ziel näher, endgültig die Kontrolle zu erlangen und diese auch zu behalten.
„Stopp“, rief Jamison und ballte seine Metallhand zu einer Faust.
Das Fahrzeug verlangsamte sich, und die Männer beeilten sich, ihre Ausrüstung einsatzbereit zu machen, während Damian an all das dachte, was er aufgegeben hatte, um so weit zu kommen, an all das, was seine Männer durchmachen mussten. Da waren all die Überirdischen, denen sie gegenübergestanden hatten, der Verlust von Michael und jetzt fast der Verlust von Zach.
„Wow“, bemerkte Austin und sah ihn fragend an. Damian erkannte, dass er Rauch ausatmete. „Behalt diesmal besser die Fassung, okay?“
Damian sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. „Zach wäre fast gestorben.“
„Ich weiß“, entgegnete Austin mit einem nüchternen Gesichtsausdruck. „Er ist mein Bruder. Aber das tut nichts zur Sache.“
Damian hielt seinem Blick stand und kämpfte gegen den Drang an, seine Augen durch Magie aufflackern zu lassen.
Das Gleiche, was ihn einzigartig machte, was ihn zu einem Mitglied dieses Teams machte, war auch das, was sie alle in Gefahr brachte.
Sein eigenes überirdisches Erbe.
Austin war derjenige, der nie vergaß, was Damian wirklich war. Und wenn er sich schließlich verwandeln und endgültig ein Drache werden würde, ohne Hoffnung auf ein Zurück, wusste Damian ohne jeden Zweifel, dass Austin auch derjenige sein würde, der ihn zur Strecke bringen würde.
„Wer ist heute Abend dran?“ Max drehte sich um und sah nach hinten, jetzt, wo sie eingeparkt hatten. „Die Dame oder der Tiger?“ Alle hatten die beiden anderen Kreaturen gesehen, die sie vorerst links liegen hatten lassen müssen, um das Bus-Käfer-Ding zu töten.
„Wartet mal.“ Jamisons magische Ausrüstung war auf diese Entfernung nicht annähernd so empfindlich wie die von Damian. Er schloss seine Augen und schärfte seine Sinne. Die nur allzu vertraute rote Magie blühte in seinem Geist auf und wurde zu einer Vision der Quelle des Signals. Er spürte die feurige Wärme, die alle überirdischen Wesen besaßen, aber am meisten fühlte er die Sehnsucht, das Verlangen und den Trieb, die sein Herz schneller schlagen und seine Hitze sinken ließen.
„Die Dame“, erklärte Damian.
Alle stöhnten auf. Es war nicht so, dass sie es nicht mit einem Sukkubus aufnehmen konnten. Die waren schon ziemlich häufig aus der überirdischen Sphäre ausgebrochen, aber die Auswirkungen dieser Wesen machten die Sache verdammt schwierig.
„Es muss ein verdammter Sukkubus gewesen sein“, stöhnte Max. „Die sind echt gruselig, wenn man das wahre Monster darunter entdeckt.“
„Stimmt“, erwiderte Austin, dann wandte er sich an Damian. „Wie sieht die hier aus?“
Er konzentrierte sich wieder auf die Hitze.
„Im anderen Reich hat sie weiße Flügel, zusammen mit den Tentakeln“, antwortete dieser schließlich. „Hier hat sie große Brüste und blondes Haar: eine Mischung aus einem Weihnachtsengel und einem Pornostar.“
Austin fluchte, griff aber nach der Netzpistole, bevor er ausstieg.
Sie waren tatsächlich, wie Damian vorausgesagt hatte, an den Docks. Ein ungewöhnlicher Ort für einen Sukkubus, es sei denn, in der Nähe gab es eine Art spaßige Kreuzfahrt, und die Betonung liegt auf spaßig. Aber Max hatte seine Schutzbrille auf und musterte die umliegenden Gebäude. „Da drüben“, meinte er und zeigte auf etwas. Nun konnte es auch Damian spüren, ohne technische oder magische Hilfsmittel.
Irgendwo, in einem dieser Gebäude, war ein basslastiger Beat zu hören.
Eine illegale Lagerhausparty an den Docks, die einen Sukkubus anlockte? Ja, das wäre definitiv möglich. „Sphären, Jamison?“
„Fangen.“ Der Mann griff ins Gürtelholster und holte murmelgroße magische Objekte heraus, die er jedem von ihnen zuwarf. Damian fing seines auf und spürte, wie ihn eine Schicht Magie umhüllte, als sie die Gasse hinuntergingen. Sie diente nicht dazu, ihn zu schützen, sondern vielmehr dazu, andere Menschen vor ihm und der Mannschaft zu schützen. Niemand sollte die Gruppe übermäßig muskulöser und bewaffneter Männer auf der Straße sehen, also zeigte die Sphäre ihnen stattdessen, was sie sehen wollten: Männer ohne Waffen, Welpen, wegfliegende Ballons. Damian hatte keinen blassen Schimmer, was die Sphäre genau zeigte. Er wusste nur, dass sie funktionierte.
„Das Problem ist ...“, begann Austin, als sie sich dem Geräusch näherten.
„Wir brauchen immer noch ein Opfer, um die Dame wegzulocken“, beendete Damian seinen Satz. Er nahm seine Waffe aus dem Holster und übergab sie Jamison.
„Wie kommt es, dass nur du mit den hübschen Damen reden darfst?“, stichelte Jamison.
„Weil ich gegen ihre Reize immun bin. Und wenn diese hier so schlimm ist, wie sie sich anfühlt, hat sie sehr böse Messer.“ Er gab auch seine Sphäre zurück und verzichtete auf die Schutzwirkung ihrer Magie. Die anderen trugen alle Einsatzkleidung, aber er hatte den Anzug anbehalten, den er getragen hatte, als er Andi abholte. Er brauchte keine Ausrüstung, wenn in ihm ein fast zwanzig Meter großes, feuerspeiendes Reptil steckte, das sich danach sehnte, herauszukommen und alles in Schutt und Asche zu legen.
Max knackte mit den Fingerknöcheln. „Wo sollen wir hin?“
Damian suchte mit den Augen das Gebäude ab. Zwei riesige Männer standen Wache vor einer Tür, die von den Bässen des dahinterliegenden Gebäudes praktisch vibrierte. Das Haus selbst hatte nur oben kleine Fenster, die wegen der Lichter im Inneren rot und golden flackerten, was bedeutete, dass die Sicht von außen beschissen war. Er hatte jedoch das Gefühl, dass er das Ding herauslocken konnte.
„Der südöstliche Ausgang ist am besten“, meinte Jamison und sah sich die Pläne auf einem Tablet an. „Die anderen Gebäude dort bilden einen natürlichen Käfig.“
„Das wäre geklärt“, erklärte Max und lief zur anderen Seite des Lagerhauses. Jamison winkte Damian mit seinem Metallarm zu und lief in die andere Richtung, sodass er und Austin allein waren.
„Versuche, nicht zu viel Spaß zu haben, ehe es weh tut“, bemerkte Austin mit einem Schmunzeln, dann machte er sich auf den Weg zur Rückseite. Damian zählte bis zwanzig, um ihnen allen Zeit zu geben, und steuerte dann mit seinem verruchtesten Lächeln auf den Eingang zu.
Reinzukommen war einfach, ein Hundert-Dollar-Schein reichte dafür aus. Doch sobald er drin war, fiel er auf, weil er ganz anders als all die ausgelassenen Tänzer aussah. Während er elegant gekleidet war, wie ein Model aus Gentlemen’s Quartely, waren alle anderen verschwitzt, high und kaum bekleidet: ein wildes Gewusel von Menschen.
Eher wie Jagdbeute, grummelte die Kreatur in ihm.
Er ignorierte sie und vergewisserte sich, dass der südöstliche Ausgang erreichbar war. Die Tür befand sich am Ende eines Ganges und war nicht durch Paletten blockiert oder mit Ketten verschlossen.
„Südost ist in Ordnung. Over and out“, sprach er, nahm sein Headset aus dem Ohr und ging auf eine behelfsmäßige Bar aus Paletten und Lagerkisten zu. Er nahm es dem Sukkubus nicht übel, dass sie hierhergekommen war, denn als Mensch hätte er das selbst gern getan. Um einfach alles loslassen zu können, und dennoch zu wissen, dass er in Sicherheit und alles in Ordnung war.
Doch diese Freiheit hatte er nicht.
Damian schloss die Augen und ließ die Kräfte in seinem Inneren pulsieren, um wie mit einem Radar nach dem Wesen zu suchen. Einmal, zweimal, dreimal, und die Bestie würde ihn spüren, aber das war egal, denn er fand sie, mitten auf der Tanzfläche. Eine Gruppe von Männern und Frauen umkreiste sie und schien sich zu amüsieren. Er wusste, dass er ihre wahre Gestalt sehen würde, wenn er seinen Drachenblick schweifen ließ: Die Flügel nach hinten gestreckt, während ihre hüfthohen Fangarme sich ausbreiteten, um jeden in der Nähe aufzuspießen. Jeder, den sie durchbohrte, würde denken, er sei verliebt in sie, in das Hier und Jetzt, in das Leben, ganz egal. Und wenn sie nicht aufgehalten werden würde, würde sie ihnen die Energie entziehen, bis sie sich in willenlose Sklaven verwandelten.
Er bestellte einen Whiskey und kippte ihn an der Bar hinunter, bevor er sich auf die Tanzfläche begab. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für ein Schlückchen. Aber wenn er sie dazu bringen wollte, ihm nach draußen zu folgen, musste er durch und durch menschlich wirken, und jeder Mensch hier trank. Das Grüppchen um sie herum war von fünf auf zehn Menschen angewachsen, und er musste schnell handeln. Doch er zögerte absichtlich, als wäre er unsicher, und stellte sicher, dass er bei einer Drehung ihren Blick erhaschte.
Sie hatte Haare wie Sonnenstrahlen, die um sie herumwirbelten, wie es ihre Fangarme getan hätten, wenn man sie denn hätte sehen können. Er stand am Rande der Tanzfläche, sah reich und böswillig und missbilligend aus, ließ seinen Blick nicht von ihr ab und forderte sie auf, zu ihm zu kommen.
Sie war wie eine Kobra, die mit einem Schlangenbeschwörer tanzte, und tat alles in ihrer Macht Stehende, um ihn näher in Reichweite ihrer Fangarme zu locken. Aber das würde nicht funktionieren. Er brauchte sie allein, also beobachtete er sie aufmerksam, ließ sie wissen, dass er interessiert war, aber er war nicht bereit, sich unter die gewöhnlichen Leute zu mischen.
Einer nach dem anderen schienen die Tänzer aus ihrer Hypnose zu erwachen, und stolperten an den Rand der Tanzfläche, als sie sie losließ, nicht wissend, wie nahe sie dem Tod gekommen waren. Er hatte Mühe, nicht zu lächeln. Es war nicht das erste Mal, dass er mit einem Sukkubus zu tun hatte. Sie waren alle gleich: Völlig überzeugt von ihren Fähigkeiten, Menschen zu quälen, und komplett unfähig, eine Herausforderung auszuschlagen.
Sie war jetzt ganz nah und tanzte immer noch, aber nur für ihn. Sie trug fast nichts, die hohen Schlitze ihres Rocks zeigten ihre Beine, als sie sich hypnotisch bewegte und ihm immer näher kam. Er konnte das süchtig machende Pheromon riechen, das sie ausströmte, und wünschte sich fast, es würde auf ihn wirken, denn es war schwer, stillzuhalten, weil er wusste, dass sie zuschlagen würde, sobald sie ein paar Schritte näher kam.
Sie lächelte gewinnend und der erste Fangarm traf ihn mitten in sein Herz. Der Drache in ihm brüllte und erhob sich und kämpfte, und er musste ihn so schnell wie möglich abschirmen. Komm zur Ruhe. Sofort!
Er gab sein Bestes, um für sie einen getroffenen Menschen zu verkörpern. „Du“, flüsterte er leise.
„Du ... du bist anders.“ Ihre Stimme war ein Schnurren mit einem unmenschlichen Dröhnen darunter.
Sie traf ihn mit einem weiteren Fangarm, und statt zu schreien, musste er so tun, als sei er verliebt. „Ich will dich.“ Im wirklichen Leben wäre er nie so forsch gewesen, aber verhexte Menschen verfügten über keinen gesunden Menschenverstand.
„Das ist gut“, säuselte sie. „Ich will dich auch.“ Sie streckte ihre Hand nach oben und berührte sein Gesicht. „Ich verrate dir ein Geheimnis. Ich will alle hier haben.“
Er lächelte sie an, tat so, als sei er unschuldig, und versuchte zu ignorieren, dass er spürte, wie die Speere ihrer Magie in ihn hinein- und wieder herausglitten und an seiner Lebenskraft saugten. Ihre Hand wanderte über seine Brust und schien entschlossen, weiterzugehen.
„Ich zuerst?“, flehte er.
Töte sie!, knurrte der Drache in ihm.
HALT DIE KLAPPE!, befahl Damian.
„Oh, ja. Du zuerst“, stimmte sie zu und ließ ihre Hand zu seinem Hosenbund sinken. Er griff nach ihr, zog sie an sich und küsste sie heftig, bevor sie spüren konnte, dass er der Einzige im Umkreis von zehn Metern war, der nicht von ihr erregt wurde.
„Ich brauche dich“, wiederholte er und schnappte nach Luft wie ein Ertrinkender. Die Dinge, die sie mit seinem Gehirn und seinem Inneren anstellte ... Er bekam eine Migräne, und es war schwer, einen klaren Kopf zu behalten, während sein Drache heulte. „Draußen?“
Sie lächelte ihn an, und da sein Drache ihm so nah war, sah es aus, als wären alle ihre Zähne Reißzähne. „Ja“, stimmte sie zu, und gemeinsam stolperten sie in Richtung des südöstlichen Ausgangs.
Damian war sich nicht sicher, auf welche Weise sein Team angreifen würde, als er mit der Kreatur den Gang hinunter in Richtung des südöstlichen Ausgangs rummachte. Er ignorierte den Schmerz und versuchte, sich auf das Gefühl ihrer Brüste an ihm zu konzentrieren und gleichzeitig nicht zuzulassen, dass sie ihn gegen eine Wand drückte.
Dann erreichten sie die Tür, und er stieß sie hinaus, wobei er ihr den Rückweg mit seinem eigenen Körper abschnitt. Er wollte nicht, dass der Sukkubus zurück in die Menge rannte, während sie mit gezückten Pistolen auf sie schossen. Zwar würde niemand verletzt werden, aber das Chaos, das sie verursachen würden, könnte eine Massenpanik auslösen.
Die Waffen, mit denen sie kämpften, waren abgesichert, bis hin zu den Kugeln. Das bedeutete, dass sie keine normalen Menschen verletzen würden, sondern nur überirdische Dinge.
Wie ihn.
Was auch bedeutete, dass er sich in Gefahr befand.
„Weg da!“, brüllte Austin ihn an. Der Sukkubus nahm seine Umgebung in Augenschein und bemerkte die blendenden phosphoreszierenden Lampen, die Damians Leute aufgestellt hatten, und die auf sie gerichteten Waffen.
„Waaaas?“ Ihre Stimme erhob sich unheilvoll. „Nein, ich bin nicht aus den Tiefen des ...“
Ein gezielter Schuss, der von Max von einem nahegelegenen Gebäude abgefeuert wurde, durchschlug ihren Hals und zerfetzte ihre Kehle. Er konnte fast hören, wie der Bärenwandler sagte: „Mir doch egal“, als er sie zum Schweigen brachte. Damian stieß sie mit aller Kraft nach vorne, spürte, wie die Fangarme sich für eine Sekunde lösten, als sie sich mit ihr bewegten, und dann fester zupackten. Er sank auf die Knie, als sie ihm die Kraft entzog, und mit geweiteten Augen sah er zu, wie ihre Verletzungen heilten.
Überirdische Dinge waren stärker als irdische, ja, aber sie heilten nicht auf diese Weise. Vielleicht hatte Max sie nur gestreift? Aber warum war dann sein Hemd mit so viel Blut verschmiert?
Seine Gedanken gingen nur eine halbe Sekunde, dann hörte er Jamison seinen Namen rufen. „Damian! Fang!“
Jamison warf ihm seine Waffe zu, doch der Sukkubus schlug sie mit einem jetzt sichtbaren Flügel zur Seite. Aber das spielte keine Rolle. Austin rückte vor und schoss auf sie, und Max schoss immer noch aus der Ferne auf das Wesen, und langsam wurde die menschliche Hülle von dem, was sie zu sein schien, weggesprengt, bis nur noch das Monster, das sie war, unter den phosphoreszierenden Lichtern leuchtete. Ihre Fänge wurden durch die Schüsse zurückgedrängt, und dann war Damian plötzlich frei. Sie sank auf die Knie, ihre Fangarme schlugen verzweifelt um sie und suchten nach neuen Opfern.
„Nein“, flüsterte sie, als ihr klar wurde, dass sie sterben würde. Ein schillerndes violettes Auge bewegte sich in einer übergroßen Augenhöhle, um ihn anzusehen. „Du und ich ... wir sind gleich. Ich habe es in dir gespürt. Warum schlägst du dich auf ihre Seite, wenn du doch mit mir hättest fliegen können?“
Damian hatte keine Antwort darauf; er erhob sich einfach und hob seine Waffe auf. Das hier musste ein Ende haben. Er feuerte einen Schuss auf ihren Kopf ab, als die Fangarme, die ihn durchbohrt hatten, sich schwach um seine Knöchel schlangen.
„Ich werde in dich hineinkriechen und deine Seele fressen“, drohte sie aus einem Mund, der sich plötzlich an ihrem Hals abzeichnete, als Jamison eine Lampe heranbrachte.
„Zu dumm, ich habe keine“, erwiderte Damian und gab den Schuss ab, der ihr endgültig den Garaus machte.