Catherine Fletcher

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Der vergessene Medici - Alessandro, Herzog von Florenz

Fast dreihundert Jahre lang, von der Mitte des 15. bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts, herrschten die Medici über Florenz. Ursprünglich waren die Medici Kaufleute und Bankiers. Im Laufe mehrerer Generationen stiegen sie in die Reihen des europäischen Hochadels auf. Eine entscheidende Phase in der Geschichte der Familie waren die 1530er Jahre. Die Stadtrepublik Florenz verwandelte sich in ein erbliches Fürstentum. Kaiser Karl V. erhob Alessandro de Medici (1511/12-1537) in den Rang eines Herzogs von Florenz. Doch wer war Alessandro de Medici? Selbst Fachleute wissen heute wenig mit seinem Namen anzufangen. Der erste Medici-Herzog hat kaum Spuren in der Geschichte hinterlassen. Zu kurz waren sein Leben und seine Herrschaft. Lohnt es sich, die Biographie eines Mannes zu schreiben, der kaum 30 Jahre alt wurde? Die britische Historikerin Catherine Fletcher gibt bereitwillig zu, dass sich Alessandro als Individuum kaum fassen lässt. Die Quellenlage ist ungünstig; Selbstzeugnisse aus der Hand des Herzogs fehlen weitgehend. Flechter möchte Alessandro rehabilitieren. Anfang 1537 wurde der Herzog von seinem Vetter Lorenzino de Medici (aus dem jüngeren Zweig der Familie) ermordet. Die Motive für die Bluttat liegen bis heute im Dunkeln. Waren sie privater oder politischer Natur? Lorenzino brachte nach dem Mord eine Rechtfertigungsschrift in Umlauf. Er behauptete, er habe Florenz von einem grausamen Tyrannen befreien wollen. Wie Fletcher im Prolog betont, wurde Alessandro zweimal getötet, erst mit dem Schwert, dann mit der Feder. Zeitgenössische Autoren und die Historiker späterer Jahrhunderte übernahmen das negative Bild, das Lorenzino von seinem Vetter gezeichnet hatte. Doch war Alessandro wirklich ein Tyrann, der einen gewaltsamen Tod verdient hatte? Fletcher bezweifelt das, und in ihrem Buch gibt sie konsequent solchen Quellen den Vorzug, die zu Alessandros Lebzeiten entstanden sind, nicht erst nach seinem Tod.

Noch heute steht nicht zweifelsfrei fest, wer Alessandros Eltern waren. Sein Vater war höchstwahrscheinlich Lorenzo de Medici (1492-1519), der letzte legitime Spross des älteren Zweiges der Medici. Fletcher sieht keine Belege dafür, dass Kardinal Giulio de Medici (1478-1534), der spätere Papst Clemens VII., Alessandros Vater war, wie manche Zeitgenossen munkelten. Alessandros Mutter war eine Dienerin oder Sklavin der Medici-Familie. Sie war möglicherweise afrikanischer Abstammung. Ein dunkler Teint und krauses Haar wiesen Alessandro als Mischling aus. Als Bastard konnte Alessandro nicht mit einer glänzenden Zukunft rechnen. Als er geboren wurde, lebten die Medici schon seit etlichen Jahren im Exil. Ein Umsturz hatte sie 1494 aus ihrer Heimatstadt vertrieben. Die beiden Medici-Päpste, Leo X. und Clemens VII., setzten alle Hebel in Bewegung, um Florenz für ihre Familie zurückzugewinnen. Doch wer kam als Herrscher über die Stadt in Frage? Giulio de Medici, der 1523 den Stuhl Petri bestieg, hatte nicht viel Auswahl. Zur Verfügung standen nur zwei Bastarde, Alessandro und Ippolito (1511-1535), ein unehelicher Sohn des Giuliano de Medici (1479-1516). Der Papst entschied, dass Ippolito die kirchliche Laufbahn einschlagen und Alessandro in Florenz regieren sollte. Mit Hilfe Kaiser Karls V. sicherten sich die Medici 1530 endgültig die Herrschaft über Florenz. Der Kaiser verlieh Alessandro die Herzogswürde und gab ihm seine uneheliche Tochter Margarete (die spätere Regentin der Niederlande) zur Frau. Sieben Jahre lang herrschte Alessandro über Florenz. Viele Florentiner trauerten der Republik nach. Doch nach Alessandros Tod erfolgte keine Rückkehr zur republikanischen Staatsform. Problemlos trat Cosimo de Medici (1519-1574) die Nachfolge seines ermordeten Vetters ab. Auch Cosimo sicherte seine Herrschaft durch enge Anlehnung an die Habsburger ab. Er und seine Nachkommen herrschten bis 1737 über Florenz und die Toskana.

Das Buch ist weniger eine Biographie als eine Geschichte des Hauses Medici im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts. Papst Clemens VII. und seine Neffen Alessandro und Ippolito sind die zentralen Protagonisten. Fletcher verbindet Sachkenntnis mit großem Erzähltalent. Die Darstellung ist ungemein farbig und anschaulich. Fletcher bietet faszinierende Einblicke in das Leben an der päpstlichen Kurie und an Alessandros Hof in Florenz. Mag der Herzog als Persönlichkeit auch schwer zu greifen sein, so stehen doch genug Quellen zur Verfügung, um das Geschehen in seinem unmittelbaren Umfeld zu erhellen. Die politischen Vorgänge und das höfische Leben in Florenz schildert Fletcher gleichermaßen gekonnt. Sie hat ein Faible für die Beschreibung von Festen und Zeremonien. Die Ambitionen der Medici werden in den Kontext der politischen Großwetterlage in Europa eingeordnet. Besonders wertvoll sind die Passagen über die Beziehungen der Medici zu Kaiser Karl V. In den deutschen Standardbiographien des Kaisers (Karl Brandi, Alfred Kohler) spielen Florenz und die Medici kaum eine Rolle. Wie Fletcher zeigt, war das Bündnis mit den Medici ein zentraler Pfeiler der Italienpolitik des Kaisers. Breiten Raum nimmt die Rivalität der Vettern Alessandro und Ippolito ein. Ippolito hatte kein Interesse an einer kirchlichen Laufbahn. Gerne hätte er die Kardinalswürde abgelegt und die Herrschaft in Florenz übernommen. Doch seine Versuche, Alessandro die Herzogswürde streitig zu machen, blieben erfolglos. Als Ippolito im Sommer 1535 plötzlich starb, wurde gemutmaßt, Alessandro habe seinen Vetter vergiften lassen. Ippolitos Tod wurde jedoch nicht untersucht und aufgeklärt. Fletcher hält die Vorwürfe, Alessandro sei ein Tyrann gewesen, für unbegründet. Als Herrscher von Florenz war er nicht brutaler und grausamer als andere italienische Potentaten seiner Zeit. Er war ein typischer Renaissancefürst: Gebildet und kunstsinnig, genussfreudig und trotz seiner Jugend politisch gewieft. Es ist keineswegs ausgemacht, dass Alessandro als Herzog von Florenz gescheitert wäre, hätte er länger gelebt.

Alessandro de Medici war eine Figur des Übergangs. Er steht bis heute im Schatten seiner berühmten Vorgänger und Nachfolger. Die großen Medici des 15. Jahrhunderts – Cosimo der Alte und Lorenzo der Prächtige – sind noch heute weithin bekannt, ebenso Cosimo I., der erste Großherzog der Toskana. Unter Alessandro vollendeten die Medici ihren Aufstieg in den Kreis der italienischen Fürstenhäuser. Sie ließen ihre bürgerlichen Wurzeln endgültig hinter sich. Cosimo I. erbte von seinem Vetter Alessandro eine stabile politische Ordnung und einen glänzenden Hof. Catherine Fletchers Buch ist ein schönes Beispiel für das Vermögen angelsächsischer Historiker, die Vergangenheit wieder lebendig werden zu lassen. Das Buch genügt wissenschaftlichen Ansprüchen und ist zugleich sehr gut lesbar. Nur eines gibt es zu beanstanden: Manche von Fletchers Ausführungen wären besser verständlich, wenn das Buch mit einer Karte des florentinischen Herrschaftsgebietes und einem Stadtplan von Florenz ausgestattet worden wäre. 

(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im August 2018 bei Amazon gepostet)

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