Rezension zu "Das Glück auf der letzten Seite" von Cathy Bonidan
Wenn man in Hotelzimmern die Nachtkästchen durchstöbert, dann findet sich meist eine Bibel. Doch im "Chambre 128" (so der Originaltitel dieses Romanes) des kleinen gemütlichen Hotels "Beau Rivage" im bretonischen Departement Finistère findet Anne-Lise Briard ein scheinbar vor langer Zeit vergessenes Manuskript. Es nennt keinen Verfasser und ist noch auf einer Schreibmaschine getippt worden. Anne-Lise liest es und ist von der Herzenswärme des Inhalts sehr berührt. Sie stellt fest, dass das Ende der Geschichte anscheinend von einer anderen Person verfasst worden ist. Eine Notiz mit einem Namen und einer Adresse lässt die Frau annehmen, dass es sich um den Verfasser der Zeilen handeln dürfte und sendet das Manuskript dorthin.
Diese Aktion führt dazu, dass Anne-Lise mit immer mehr Menschen in brieflichen Kontakt tritt, die das Manuskript über die Jahrzehnte auch lasen und die von der Warmherzigkeit des Gelesenen berührt waren. Und so reiht sich Mosaiksteinchen an Mosaiksteinchen aneinander und die Briefe ergeben langsam sympathische und emotionale Bilder der suchenden Anne-Lise, ihrer Freundin Maggie und führen zu dem sehr zurückgezogen lebenden Verfasser des ersten Teils der Geschichte: zu Sylvestre Fahmer, dem die Kontaktaufnahme zuwider ist.
Die einzelnen Briefe haben eine Sogwirkung, denn in ihrer Kürze und all den mitgeteilten gerade erfahrenen Kurzinformationen der Schreibenden greift man als Leser neugierig zum nächsten Brief und zum nächsten Brief... Die an der Suche beteiligten Personen wie auch Sylvestre selbst kommen miteinander auch persönlich in Kontakt und es entspinnen sich auf Grundlage dieser in einem Hotelzimmer vergessenen Liebesgeschichte neue Beziehungsgeflechte.
Die als Lehrerin tätige Cathy Bonidan erzählt in einem sehr schönen wortreichen Schreibstil eine spannende, lustige und nachvollziehbare Geschichte. Die Idee und die agierenden Figuren sind durch das schrittweise Kennenlernen, die durch die gewählte Form des selten präsentierten "Briefromans" zusätzlich gesteigert wird, interessant und spannend und die Auflösung ist zufriedenstellend und authentisch.
Ein Roman, der Lächeln und Erinnerungen an jene Tage erzeugt, als man nicht alles per Knopfdruck in Minutenschnelle parat hatte, sondern sich Zeit zum Verfassen von Gedanken und Gefühlen machte und diese dann zu einem Postamt trug und tagelang auf eine Reaktion warten musste. Eine gelungene Huldigung an die Macht der Worte, die Glücksmomente des Lesens und die Zeit, die man sich für liebe Menschen nimmt, um ihnen (vielleicht noch per Hand?) einen Brief zu schreiben.