Rezension zu Kleine Feuer überall von Celeste Ng
Hier prallen Lebensentwürfe aufeinander...
von parden
Kurzmeinung: Funken, Schwelbrände, Rauch und Flammen - hier knistert es gewaltig. Ein ruhig erzählter Roman voller Spannungen und unbequemer Fragen...
Rezension
pardenvor 6 Jahren
HIER PRALLEN LEBENSENTWÜRFE AUFEINANDER...
Es brennt! In jedem der Schlafzimmer hat jemand Feuer gelegt. Fassungslos steht Elena Richardson im Bademantel und den Tennisschuhen ihres Sohnes draußen auf dem Rasen und starrt in die Flammen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie die Erfahrung gemacht, "dass Leidenschaft so gefährlich ist wie Feuer". Deshalb passte sie so gut nach Shaker Heights, den wohlhabenden Vorort von Cleveland, Ohio, in dem der Außenanstrich der Häuser ebenso geregelt ist wie das Alltagsleben seiner Bewohner. Ihr Mann ist Partner einer Anwaltskanzlei, sie selbst schreibt Kolumnen für die Lokalzeitung, die vier halbwüchsigen Kinder sind bis auf das jüngste, Isabel, wohlgeraten. Doch es brennt. Elenas scheinbar unanfechtbares Idyll – alles Asche und Rauch?
Normalerweise schreibe ich eine Rezension gleich, nachdem ich ein Buch ausgelesen habe. Nicht so hier. Nicht, dass ich es nicht versucht hätte. Einmal, zweimal, fünfmal. Nun sitze ich hier, Tage später, zum wiederholten Male und versuche zu verdeutlichen, was ich da gelesen habe. Und wie es mir mit dem Roman erging.
Auch wenn es eine sehr ruhig gehaltene Erzählung ist, eröffnet Celeste Ng ihr neuestes Werk mit einem Knall. Die kleinen Feuer überall begegnen dem Leser nämlich bereits auf den ersten Seiten des Romans - und machen eine Familie heimatlos. Die Richardsons sind eine Wohlstandsfamilie und können es nicht glauben, dass es gerade ihr Haus ist, das da brennt. Die jüngste Tochter Izzy fehlt. Und es keimt rasch ein Verdacht auf. Doch kann es wirklich sein, dass das Mädchen die Brandstifterin ist?
Ich lehne mich hoffentlich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich hier sage: ja, Izzy hat den Brand gelegt. Und der Roman erzält im Grunde, wie es dazu kommen konnte - und noch viel mehr. Celeste Ng präsentiert hier Lebensentwürfe, die aufeinanderprallen, beleuchtet Verhältnisse von Müttern und Töchtern, stellt Fragen, die letztlich aufzeigen, dass es zuweilen kein Richtig und kein Falsch gibt, kein Schwarz oder Weiß, sondern irgendetwas dazwischen - insofern auch ein unbequemes Buch, das den Leser ebenso zu einer Positionierung herausfordert wie die Charaktere des Buches.
Auf der einen Seite gibt es hier die Familie Richardson mit dem Vater, der als Anwalt meist außer Haus ist, mit der Mutter, die zufrieden auf ihre vier Kinder schaut und gewissenhaft ihrem Job als Lokaljournalistin nachgeht, mit Trip, dem ältesten Sohn, der als Mädchenschwarm und erfolgreicher Sportler vieles als selbstverständlich nimmt, mit Lexie, der ältesten Tochter, die selbstbewusst durchs Leben geht und es versteht, andere auf charmante Art für ihre Zwecke einzuspannen, mit Moody, dem jüngeren Sohn, der nicht zu vorschnellen Meinungen und Verurteilungen neigt wie seine älteren Geschwister - und mit Izzy, der Jüngsten, dem Sorgenkind der Familie.
"Mit zehn war Izzy verhaftet worden, als sie sich in die Humane Society eingeschlichen hatte, um sämtliche streunenden Katzen zu befreien. 'Sie leben wie Gefangene im Todestrakt', hatte sie gesagt. Mit elf hatte ihre Mutter - überzeugt, dass Izzy zu ungelenk war - sie zum Tanzunterricht angemeldet, damit sie ihre Koordination verbesserte. Ihr Vater bestand darauf, dass sie mindestens ein halbes Jahr durchhielt, bevor sie aufhörte. Izzy saß Stunde um Stunde auf dem Boden und verweigerte jede Bewegung. Für die Aufführung hatte sie sich mithilfe eines Spiegels mit Edding NICHT DEINE MARIONETTE auf Stirn und Wangen geschrieben, bevor sie auf die Bühne trat und dann stocksteif stehenblieb, während die anderen betroffen um sie herumtanzten." (S. 54)
Muss ich betonen, dass ich Izzy spätestens seit diesem Absatz liebte? Dieses geradlinige Mädchen, dickköpfig und sensibel, das sich nicht verbiegen lässt und ihren Weg geht, obwohl sie mit dem Gedanken aufwuchs, das mit ihr etwas nicht stimmte - denn ständig korrigierte, nörgelte, mahnte die Mutter an ihr herum. Izzy wird von keinem in ihrer Familie verstanden, bestenfalls kopfschüttelnd hingenommen - aber sie hat ein untrügliches Gespür für Gerechtigkeit. Dass es auch anders geht - nämlich zugewandter, akzeptierender, wohlwollender, merkt Izzy erst, als Mia Warren und ihre Tochter Pearl in der Stadt auftauchen.
Die 36Jährige zieht mit ihrer Tochter von Stadt zu Stadt - immer wenn sie ein neues Kunstprojekt beendet hat, brechen sie wieder auf. Und nun hat es die unkonventionelle Frau ausgerechnet nach Shaker Heights verschlagen - einem Ort, der planvoll am Reißbrett entstand, und der seither von Regeln geprägt ist - in der Überzeugung, "dass sich Unschickliches, Unangenehmes und Katastrophales vermeiden ließ, wenn man alles nur gut durchdachte" (S. 19 f.). Mia Warren jedenfalls sticht mit ihrem selbstbestimmten und ungezwungenen Lebensstil aus dieser an Regelkonformität gewohnten Gemeinde heraus. Und als sie den Richardsons begegnet, prallen hier Lebensentwürfe aufeinander.
"Wir ziehen oft um. Immer, wenn es meine Mom packt." Pearl sah ihn durchdringend an, fast schon böse, und Moody stellte fest, dass ihre Augen, die er anfangs für haselnussbraun gehalten hatte, in Wirklichkeit dunkelgrün waren. Im selben Moment wurde ihm schlagartig klar, was an diesem Vormittag geschehen war: In seinem Leben gab es jetzt ein Davor und ein Danach, und er würde beide immer miteinander vergleichen. "Was machst du morgen?, fragte er. (S. 31)
Anfangs ist es Moody, der den Kontakt zu Pearl und seiner Mutter sucht, doch nach und nach häufen sich die Berührungspunkte zwischen den Familien. Pearl ist fasziniert von dem Leben, das die Richardsons in ihrem riesigen Haus führen, die Kinder der reichen Familie fühlen sich ihrerseits wiederum angezogen von der unkonventionellen Lebensweise der Warrens, vor allem aber von der toughen und geradlinigen Mia und ihrer hübschen Tochter. Nur Mrs. Richardson, die von Kindesbeinen an in Shaker Heights lebt, die idealistisch an die Kraft der Regeln glaubt, die überzeugt ist, dass man die Welt auf diese Art verbessern, ordnen, vielleicht sogar perfektionieren kann, ist Mia ein Dorn im Auge. Und so geraten die Dinge in eine Schieflage, die kaum noch aufzuhalten ist...
"Mia umarmte Pearl, vergrub ihre Nase im Haar ihrer Tochter und fühlte sich, wie immer, wenn sie das tat, von dem unveränderten Duft getröstet. Sie roch, dachte Mia plötzlich, nach zu Hause, als wäre zu Hause nie ein Ort gewesen, sondern immer diese kleine Person an ihrer Seite." (S 352)
Celeste Ng präsentiert hier einen vielschichtigen, komplexen und klug konzipierten Roman, in den vermutlich auch autobiografische Elemente eingeflossen sind, da die Autorin selbst in Shaker Heights aufwuchs. Die Spannung, die in der Erzählung unterschwellig schwelt, versetzte mich beim Lesen selbst ständig in Unruhe - und die Fragen, die hier aufgeworfen werden, lassen auch den Leser nicht unberührt. Begeistert hat mich der feine Schreibstil Ngs, die trotz einer unaufgeregten und eher nüchternen Schreibweise mit Worten warmherzige Bilder kreieren kann, die mich ein ums andere Mal berührten. Augenfällig fand ich die häufigen Anspielungen im Text auf das Thema 'Feuer'. Funken, Schwelbrände, Rauch und Flammen - hier knistert es gewaltig.
Ein ruhig erzählter Roman voller Spannungen und unbequemer Fragen... Eine beeindruckende Erzählung, die noch lange über die letzte Seite hinaus nachhallt. Für mich eines der Lesehighlights in diesem Jahr...
© Parden
Es brennt! In jedem der Schlafzimmer hat jemand Feuer gelegt. Fassungslos steht Elena Richardson im Bademantel und den Tennisschuhen ihres Sohnes draußen auf dem Rasen und starrt in die Flammen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie die Erfahrung gemacht, "dass Leidenschaft so gefährlich ist wie Feuer". Deshalb passte sie so gut nach Shaker Heights, den wohlhabenden Vorort von Cleveland, Ohio, in dem der Außenanstrich der Häuser ebenso geregelt ist wie das Alltagsleben seiner Bewohner. Ihr Mann ist Partner einer Anwaltskanzlei, sie selbst schreibt Kolumnen für die Lokalzeitung, die vier halbwüchsigen Kinder sind bis auf das jüngste, Isabel, wohlgeraten. Doch es brennt. Elenas scheinbar unanfechtbares Idyll – alles Asche und Rauch?
Normalerweise schreibe ich eine Rezension gleich, nachdem ich ein Buch ausgelesen habe. Nicht so hier. Nicht, dass ich es nicht versucht hätte. Einmal, zweimal, fünfmal. Nun sitze ich hier, Tage später, zum wiederholten Male und versuche zu verdeutlichen, was ich da gelesen habe. Und wie es mir mit dem Roman erging.
Auch wenn es eine sehr ruhig gehaltene Erzählung ist, eröffnet Celeste Ng ihr neuestes Werk mit einem Knall. Die kleinen Feuer überall begegnen dem Leser nämlich bereits auf den ersten Seiten des Romans - und machen eine Familie heimatlos. Die Richardsons sind eine Wohlstandsfamilie und können es nicht glauben, dass es gerade ihr Haus ist, das da brennt. Die jüngste Tochter Izzy fehlt. Und es keimt rasch ein Verdacht auf. Doch kann es wirklich sein, dass das Mädchen die Brandstifterin ist?
Ich lehne mich hoffentlich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich hier sage: ja, Izzy hat den Brand gelegt. Und der Roman erzält im Grunde, wie es dazu kommen konnte - und noch viel mehr. Celeste Ng präsentiert hier Lebensentwürfe, die aufeinanderprallen, beleuchtet Verhältnisse von Müttern und Töchtern, stellt Fragen, die letztlich aufzeigen, dass es zuweilen kein Richtig und kein Falsch gibt, kein Schwarz oder Weiß, sondern irgendetwas dazwischen - insofern auch ein unbequemes Buch, das den Leser ebenso zu einer Positionierung herausfordert wie die Charaktere des Buches.
Auf der einen Seite gibt es hier die Familie Richardson mit dem Vater, der als Anwalt meist außer Haus ist, mit der Mutter, die zufrieden auf ihre vier Kinder schaut und gewissenhaft ihrem Job als Lokaljournalistin nachgeht, mit Trip, dem ältesten Sohn, der als Mädchenschwarm und erfolgreicher Sportler vieles als selbstverständlich nimmt, mit Lexie, der ältesten Tochter, die selbstbewusst durchs Leben geht und es versteht, andere auf charmante Art für ihre Zwecke einzuspannen, mit Moody, dem jüngeren Sohn, der nicht zu vorschnellen Meinungen und Verurteilungen neigt wie seine älteren Geschwister - und mit Izzy, der Jüngsten, dem Sorgenkind der Familie.
"Mit zehn war Izzy verhaftet worden, als sie sich in die Humane Society eingeschlichen hatte, um sämtliche streunenden Katzen zu befreien. 'Sie leben wie Gefangene im Todestrakt', hatte sie gesagt. Mit elf hatte ihre Mutter - überzeugt, dass Izzy zu ungelenk war - sie zum Tanzunterricht angemeldet, damit sie ihre Koordination verbesserte. Ihr Vater bestand darauf, dass sie mindestens ein halbes Jahr durchhielt, bevor sie aufhörte. Izzy saß Stunde um Stunde auf dem Boden und verweigerte jede Bewegung. Für die Aufführung hatte sie sich mithilfe eines Spiegels mit Edding NICHT DEINE MARIONETTE auf Stirn und Wangen geschrieben, bevor sie auf die Bühne trat und dann stocksteif stehenblieb, während die anderen betroffen um sie herumtanzten." (S. 54)
Muss ich betonen, dass ich Izzy spätestens seit diesem Absatz liebte? Dieses geradlinige Mädchen, dickköpfig und sensibel, das sich nicht verbiegen lässt und ihren Weg geht, obwohl sie mit dem Gedanken aufwuchs, das mit ihr etwas nicht stimmte - denn ständig korrigierte, nörgelte, mahnte die Mutter an ihr herum. Izzy wird von keinem in ihrer Familie verstanden, bestenfalls kopfschüttelnd hingenommen - aber sie hat ein untrügliches Gespür für Gerechtigkeit. Dass es auch anders geht - nämlich zugewandter, akzeptierender, wohlwollender, merkt Izzy erst, als Mia Warren und ihre Tochter Pearl in der Stadt auftauchen.
Die 36Jährige zieht mit ihrer Tochter von Stadt zu Stadt - immer wenn sie ein neues Kunstprojekt beendet hat, brechen sie wieder auf. Und nun hat es die unkonventionelle Frau ausgerechnet nach Shaker Heights verschlagen - einem Ort, der planvoll am Reißbrett entstand, und der seither von Regeln geprägt ist - in der Überzeugung, "dass sich Unschickliches, Unangenehmes und Katastrophales vermeiden ließ, wenn man alles nur gut durchdachte" (S. 19 f.). Mia Warren jedenfalls sticht mit ihrem selbstbestimmten und ungezwungenen Lebensstil aus dieser an Regelkonformität gewohnten Gemeinde heraus. Und als sie den Richardsons begegnet, prallen hier Lebensentwürfe aufeinander.
"Wir ziehen oft um. Immer, wenn es meine Mom packt." Pearl sah ihn durchdringend an, fast schon böse, und Moody stellte fest, dass ihre Augen, die er anfangs für haselnussbraun gehalten hatte, in Wirklichkeit dunkelgrün waren. Im selben Moment wurde ihm schlagartig klar, was an diesem Vormittag geschehen war: In seinem Leben gab es jetzt ein Davor und ein Danach, und er würde beide immer miteinander vergleichen. "Was machst du morgen?, fragte er. (S. 31)
Anfangs ist es Moody, der den Kontakt zu Pearl und seiner Mutter sucht, doch nach und nach häufen sich die Berührungspunkte zwischen den Familien. Pearl ist fasziniert von dem Leben, das die Richardsons in ihrem riesigen Haus führen, die Kinder der reichen Familie fühlen sich ihrerseits wiederum angezogen von der unkonventionellen Lebensweise der Warrens, vor allem aber von der toughen und geradlinigen Mia und ihrer hübschen Tochter. Nur Mrs. Richardson, die von Kindesbeinen an in Shaker Heights lebt, die idealistisch an die Kraft der Regeln glaubt, die überzeugt ist, dass man die Welt auf diese Art verbessern, ordnen, vielleicht sogar perfektionieren kann, ist Mia ein Dorn im Auge. Und so geraten die Dinge in eine Schieflage, die kaum noch aufzuhalten ist...
"Mia umarmte Pearl, vergrub ihre Nase im Haar ihrer Tochter und fühlte sich, wie immer, wenn sie das tat, von dem unveränderten Duft getröstet. Sie roch, dachte Mia plötzlich, nach zu Hause, als wäre zu Hause nie ein Ort gewesen, sondern immer diese kleine Person an ihrer Seite." (S 352)
Celeste Ng präsentiert hier einen vielschichtigen, komplexen und klug konzipierten Roman, in den vermutlich auch autobiografische Elemente eingeflossen sind, da die Autorin selbst in Shaker Heights aufwuchs. Die Spannung, die in der Erzählung unterschwellig schwelt, versetzte mich beim Lesen selbst ständig in Unruhe - und die Fragen, die hier aufgeworfen werden, lassen auch den Leser nicht unberührt. Begeistert hat mich der feine Schreibstil Ngs, die trotz einer unaufgeregten und eher nüchternen Schreibweise mit Worten warmherzige Bilder kreieren kann, die mich ein ums andere Mal berührten. Augenfällig fand ich die häufigen Anspielungen im Text auf das Thema 'Feuer'. Funken, Schwelbrände, Rauch und Flammen - hier knistert es gewaltig.
Ein ruhig erzählter Roman voller Spannungen und unbequemer Fragen... Eine beeindruckende Erzählung, die noch lange über die letzte Seite hinaus nachhallt. Für mich eines der Lesehighlights in diesem Jahr...
© Parden