4,5/5 *
Isabel und ihre Schwester Meg verbringen also mit ihren Kindern die Sommerferien in einem beschaulichen Ferienort am Meer. Doch der Alltag wird gestört, als deren ältere Halbschwester Mildred, psychisch angeschlagen und von Krisen geplagt, in ein seit Jahren verlassenes Cottage zieht. In jenes Haus, welches vor 15 Jahren Schauplatz einer Tragödie war! Vor 15 Jahren wurde dort Mildreds Ex-Mann, der berüchtigte Onkel Paul, wegen eines Mordversuchs an seiner ersten Frau verhaftet. Nachdem Paul aus dem Gefängnis entlassen wird, fragen sich die Schwestern nun, ob er zurückkehren könnte, um Rache an denjenigen zu nehmen, die ihn einst zurückgewiesen und verraten haben...
Die Sommeridylle wird immer mehr von der Angst und den Erinnerungen der Frauen durchdrungen, denn war da nicht ein Klopfen? Und geht da nicht einer ums Cottage herum? Mitten in der Nacht? ...
Der Autorin gelingt es meisterhaft, das Lesen zwischen realer Gefahr und neurotischer Einbildung schwanken zu lassen. Die zentrale Stärke liegt in ihrem psychologischen Blick auf die Dynamik der Figuren.
Mildred ist ein neurotischer Mensch. Gerade jetzt, wo die Entlassung von Paul immer näher rückt, dreht sie im wahrsten Sinne des Wortes am Rad. Ihre jüngeren Schwestern Isabel und Meg lassen sich nach und nach von Mildreds Angst einfangen und wissen irgendwann selber nicht mehr, was wahr ist und was nicht! Und dann geschehen auch noch so seltsame Dinge...
Das vorherrschende Gefühl ist weniger die offene Bedrohung, dass Paul zurückkehren könnte um Mildred oder ihnen allen etwas anzutun. Vielmehr ist es diese anhaltende, schleichende Unsicherheit, die sich in jedem Dialog, jeder Gestik und vor allem in jeden Gedanken der Hauptfiguren manifestiert.
Und Onkel Paul ist allgegenwärtig, ohne auch nur einmal in Erscheinung zu treten! Er bleibt eine unheimliche, unwirkliche Figur...
Der Roman ist einfach zu lesen, trotzdessen der Text schon so viele Jahre auf dem Buckel hat. Die Kapitel sind kurz und knapp. Dies verstärkt die Wirkung der unterschwelligen Gefahr, die nie wirklich explodiert, sondern wie ein feiner Nebel über dem Text liegt. Die kurzen Kapitel und Dialoge schüren eher das Gefühl der (An-)Spannung bis zum Schluss...
Jetzt möchte ich aber auch noch auf das Cover zu sprechen kommen: Das Cover von „Onkel Paul“ ist in bläulichen Tönen gehalten mit einem Hauch von Rosa. So wird ein sommerliches Fleckchen Erde gezeigt mit einem kleinen Cottage am Meer. Doch die Szene bleibt merkwürdig leer und still, die Idylle wirkt aufgesetzt. Das Bild verstärkt das Gefühl des Romans: Ferien am Meer, doch hinter jeder Ecke lauert das Vergangene, die Bedrohung! ;-)
Celia Fremlins Roman ist ein Krimi, aber noch mehr als das. Eher ein Psychothriller, in dem es kein Verbrechen gibt! Er ist eine kluge Studie über Familie, Schuld und die Folgen von Traumata. Die Beziehungen zwischen den Schwestern und Mildred sind voller verborgener Konflikte, die immer wieder aufbrechen. Da der Roman in den 1950er-Jahren angesiedelt ist, reflektiert er sehr subtil auch die gesellschaftliche Stellung von Frauen, die ihre persönlichen Ängste und Sehnsüchte gegen das Korsett des Alltags zu behaupten versuchen.
Zusammenfassend ist „Onkel Paul“ ein atmosphärisches, feinsinnig konstruiertes Buch, das weit über den klassischen Kriminalroman hinausgeht und mit seiner ausbalancierten Mischung aus sommerlicher Leichtigkeit, psychologischer Spannung und subtilen Andeutungen auch anspruchsvolle Leser begeistert.
Mich hat dieser Roman sehr begeistert, es war mal etwas völlig anderes! :-)


















