Cover des Buches Die Kunst des Feldspiels (ISBN: 9783832162528)
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Rezension zu Die Kunst des Feldspiels von Chad Harbach

Kunst des Lebens

von rallus vor 10 Jahren

Rezension

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rallusvor 10 Jahren

"3. Es gibt drei Stadien. Gedankenloses Sein. Denken. Gedankenloses Sein.
33. Verwechsle nicht das erste und das dritte Stadium. Das gedankenlose Sein kann jeder erreichen, die Rückkehr zum gedankenlosen Sein nur sehr wenige."

Henry Skrimshander ist Shortstop beim Westish-College in der Baseballmannschaft.
Seit Monaten hat er die Kunst des gedankenloses Sein, die höchste dritte Stufe die im Buch "Die Kunst des Feldspiels" (Das Buch im Buch) seines Idols Aparicio Rodriguez geschildert wird, erreicht.
Er kratzt sogar an dem Rekord der längsten fehlerlosen Spiele.


Um Henry, als Auge im Sturm, versammelt Chad Harbach mehrere Figuren die um ihn, mit ihm kreisen, alle im College in der Kleinstadt in Wisconsin.


Mike Schwartz, vom Leben gebeutelt, schon mit 14 von seinen Eltern alleingelassen, ist der 'Entdecker' von Henry und treibt ihn in unermüdlichen Trainingsstunden an, sein aktives Spiel zu verbessern.
Sein Schulleben vor dem College war nicht einfach, doch er hat sich durchgebissen:
"- gesetztes Ziel der Einrichtung war es, soweit Schwartz das sehen konnte, dreitausend potentielle Irre so lange mit Langeweile zu sedieren, bis eine Abfolge von Geburtstagen sie in Erwachsene verwandelt hatte."
Trotzdem sieht er einen Sinn, ja ist es sein Lebensinhalt, der Kapitän der Baseball- UND Footballmannschaft im College zu sein.
Das Sportlerleben fordert seinen Preis, seine Knie knacken und krachen, die Schmerzen werden mit Tabletten und weiterem Training verdrängt.


Pella Affenlight, die Tochter des Universitätsprofessor, flieht in jungen Jahren in eine Heirat mit einem älteren Mann, von der sie ausgebrannt und depressiv nach Westish zurückkehrt:
"Sie war so schnell vorgeprescht, dass es sie aus der Kurve getragen hatte und sie nun weit hinter den anderen zurücklag. (...) Das echte Leben hatte sie eingeholt und war an ihr vorbeigezogen."


Ihr Vater - Guert Affenlight - freut sich über die Heimkehr der Tochter, sein Leben verläuft studierend in Schulen über Harvard ist er nach Westish als angesehener Professor zurückgekehrt:
"Einen Satz zu schreiben war einfach, wollte man hingegen ein Kunstwerk erschaffen, so wie Melville, musste jeder einzelne zu dem vorangegangenen passen und zu dem ungeschriebenen, der darauf folgen würde.", sinniert der junge Guert.
Der Verweis zu Melville, der Moby Dick schrieb, zeigt auf das Idol der Universität hin, weitab vom Meer steht doch Melville als Statue und mit seinem Buch, übermächtig, am See von Westish.


Das zentrale Thema ist das Feldspiel und wie Henry es betreibt, als gedankenloses Sein, und anfangs läuft noch alles rund für die Protagonisten im Buch.
Solange Henry im gedankenlosen Sein verharrt, spielt er zwar Baseball wie ein Gott, doch vernachlässigt sein eigentliches Leben.
Doch eines Tages zerbricht ein Wurf von ihm die schöne Ordnung und wie Kaskaden fallen alle anderen Figuren in ihr eigenes privates Chaos.
Henry ist gepeinigt von seinem Mittelpunkt und verweigert das Zurückkehren vom Denken, ins gedankenlose Sein. Ja er verweigert das ganze Leben, das Leben, was erst durch den Baseball für ihn als Einzelgänger überhaupt einen Sinn machte.
Durch die Neuorientierung wird das Feldspiel, das eigentliche Leben plötzlich anders, jeder Charakter besinnt sich, kommt an seine Grenzen und überschreitet sie.
Henry verzweifelt an seinem Denken was ihm ein gutes Spiel unmöglich macht, Schwartz verzweifelt am Festhalten von Henry, an seiner eigenen Zukunft, Guert Affenlight verliebt sich in einen Studenten, Pella kämpft mit ihrer Unabhängigkeit.


Harbach liebt seine Figuren, er lässt sie nicht alleine zerbrechen an dem Feldspiel und gibt ihnen immer noch Hoffnung.
Sensibel geht er mit dem Thema Homosexualität um: "Eine bestimmte Anzahl von Menschen ist schwul, so wie eine bestimmte Anzahl von Menschen blaue Augen hat. Oder Mumps.[..] Und ich weiß, dass Schwul sein keine Krankheit ist.
Worauf ich hinauswill, ist, dass es nur um Wahrscheinlichkeiten geht. Um Zahlen. Wie kann man sich nur über Zahlen aufregen?"


Vorsicht ist natürlich generell angebracht bei einem amerikanischen Buch über Baseball, dem "Ur-Sport" der Amerikaner.
Ein wenig Vorwissen wird sicherlich benötigt, doch nicht viel, um den Sportszenen zu folgen, vielmehr ist das Spiel als Allegorie als Prüfung zu verstehen, die Trainings als Lernen, das Feldspiel ist das Leben.

Ein träumerisches, positives, leichtfüßiges Debüt, trotz, oder gerade, wegen der menschlichen Tragödien die dort passieren.
Die Figuren bewegen sich teils leichtfüßig wie Owen (mit Spitznamen Buddha) über die Bühne des Lebens, sie wachsen einem so ans Herz, sind durch kleine Begebenheiten sehr plastisch beschrieben, fügen sich wie ein Tetris-Stein in die Gesamtheit ein.
Ein Sportbuch, ein Buch übers Aufwachsen, Erwachsenwerden, das normale menschliche Einerlei, er packt sehr viel in seine Geschichte hinein und fast schafft es Harbuch sich dem perfekten Buch zu nähern, wo ein Satz in den anderen übergreift.
Fast sage ich, denn zu viel bewirkt hier doch manches Mal das Zerfasern der Geschichte, auch wenn der Autor immer noch die Kurve bekommt.


Dabei benötigt der Leser auch das Hineingleiten in diese Geschichte, das transzendentale Bewusstsein den Rahmen zu umfassen und sich darauf einzulassen auf das unprätentiöse Beschreiben, auf die kämpfenden Figuren die sich wie beim Baseballspiel, mal mehr links oder rechts von den Bases aufstellen.
Alle Figuren strahlen etwas positives, Leuchtendes aus, kleine Kapitel wie Pella feststellt, dass der Koch ein Fels im Sturm ist, jemand der sich im Leben gefunden hat, aber auch jemand der oft übersehen wird.


Hier wird das Hingeben in das Leben, das Erleben, das Dasein, die Einfachheit protegiert, auch wenn es mit Schmerzen, Leid oder Irritation der Umwelt einhergeht.
Ein großartiges Debüt und Charaktere die einem lange im Kopf bleiben!

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