Cover des Buches Blauer Hibiskus (ISBN: 9783442735723)
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Rezension zu Blauer Hibiskus von Chimamanda Ngozi Adichie

Rezension zu "Blauer Hibiskus" von Chimamanda Ngozi Adichie

von Aldawen vor 14 Jahren

Rezension

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Aldawenvor 14 Jahren
Kambili und ihr älterer Bruder Jaja führen ein privilegiertes Leben in Nigeria, betrachtet man die materiellen Lebensumstände. Die Familie ist gut situiert, obwohl der Vater selbst aus einfachsten Verhältnissen kommt und sich mit Hilfe der Missionare Bildung als Sprungbrett für seinen ökonomischen Erfolg angeeignet hat, er besitzt inzwischen mehrere Fabriken und eine Zeitung. Daraus ist nicht nur eine bedingungslose, ja schon geradezu fanatische Hingabe an die Religion und ihre (tatsächlichen oder vermeintlichen, keine Ahnung, ich bin nicht katholisch) Regeln geworden, sondern auch ein unmenschlisches Anspruchsdenken an die Familie, vor allem die Kinder. Diese müssen immer als Klassenbeste nach Hause kommen, der zweite Platz wird schon bestraft. Das gilt auch für alles, was der Vater als Sünde betrachtet, und die Strafen sind durchaus körperlich schmerzhaft (von extremen Prügeln bis zu Verbrühungen). Die Kinder haben detaillierte Tagespläne mit „Lernzeit“ und „Familienzeit“ (in der aber natürlich nicht z. B. Ferngesehen, sondern Zeitung gelesen wird, höchstens mal ein Schachspiel mit dem Vater ist drin). Kein Wunder, daß in dem Haus auch nicht gelacht wird. Daher sind Jaja und Kambili natürlich höchst irritiert, als sie für eine Woche ihre Tante Ifeoma und deren drei Kinder besuchen, wo das Leben miteinander ein ganz anderes ist – inklusive diskutieren, lachen und singen. Auch der Großvater, der sich noch an die alten Igbo-Götter hält und Traditionen beachtet, wird ernstgenommen und geliebt. Jaja findet sich damit zwar schneller zurecht als Kambili, aber bei beiden wird innerer Prozeß angestoßen, der die einfache Rückkehr zum status quo ante bei der Heimkehr unmöglich macht. Vor allem liegt hier eine traurige Familiengeschichte vor, denn das Verhalten des Vaters ist in keinster Weise entschuldbar. Es ist zwar durchaus so, daß er seine Kinder auf eine gewisse Art liebt, aber eben nur, wenn sie seinem übersteigerten Ansprüchen an gottgefälliges Verhalten entsprechen. Die Mutter hat mehrere Fehlgeburten, es ist offensichtlich, daß diese (wenn nicht alle, so doch zum Teil) durch den prügelnden Vater verursacht sind, Holztische gehören nun mal nicht auf Menschen zerschlagen. Was den Charakter schwierig macht: Als Verleger beweist er dabei Zivilcourage. Er schützt seinen Chefredakteur, läßt diesen nach der Beseitigung der Zivilregierung durch Militärputsch kritische Leitartikel und für das Regime gefährliche Reportagen veröffentlichen und setzt viel Geld und Kontakte ein, ihn aus dem Gefängnis zu holen. Auch ist er seinen Angestellten gegenüber (finanziell) großzügig und unterstützt viele Sozialeinrichtungen. Die dadurch erzielten Sympathiepunkte wiegen aber sein Verhalten seiner Familie gegenüber nicht auf. Das Ende der Geschichte, soweit es die Familie betrifft, fand ich konsequent, anders hätte es mich auch irritiert. Sprachlich fand ich es passend umgesetzt. Kambili erzählt selbst, und auf Grund ihrer ganzen Erziehung, die sie sehr wortkarg und schüchtern gemacht hat, wird nicht mehr gesagt als unbedingt notwendig. Vieles bleibt daher nur angedeutet, wodurch aber der Kontrast zu den späteren Stellen, an denen sie anfängt Gefühle zu haben und zu zeigen, besonders deutlich wird. Am meisten hat mich „gestört“, daß mir insgesamt entschieden zu wenig Nigeria darin vorkam, es hätte in dieser Form auch an nahezu jedem anderen Ort der Welt spielen können. Die Familie hätte sich dann eben nicht von jollof, fufu und garri ernährt, sondern von anderen Dingen und statt Igbo hätte man eine andere Sprache gesprochen. So bleibt es im wesentlichen eine teils erschreckende Charakterstudie, aber nicht wesentlich mehr. Da hat mir ihr zweiter Roman "Die Hälfte des Himmels" deutlich besser gefallen.
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